Corona: Wie Nudging dabei hilft, den Sicherheitsabstand zu wahren

Schutzmaßnahmen im Supermarkt während der COVID-19-Pandemie
Bei der Methode aus der Verhaltensökonomik setzt man auf Anregungen statt Verbote.

Ein Forschungsteam unter der Leitung von Claas Christian Germelmann, der an der Universität Bayreuth den Lehrstuhl für Marketing und Konsumentenverhalten innehat, untersucht, wie der Gesetzgeber Bürgern Hilfestellungen geben kann, um beispielsweise Social Distancing einzuhalten.

Im Interview erläutert Germelmann, wie Nudging helfen kann, den Sicherheitsabstand zu wahren.

Seit Corona an der Tagesordnung ist, untersuchen Sie die „Entwicklung und Evaluation von Nudging-Interventionen zur Einhaltung des geforderten Sicherheitsabstands während der Covid-19 Pandemie“. Was verbirgt sich hinter dem sperrigen Forschungstitel?

Wir interessieren uns in der Forschung dafür, wie das Konsumentenverhalten vom Kontext beeinflusst wird. Unser Forschungsteam untersucht beispielsweise, wie man durch kleine Änderungen des Umfelds, in dem Konsumenten Entscheidungen treffen, positive Verhaltensweisen fördern kann. Solche Anstöße nennt man Nudges, „Anstupser“ des Verhaltens. Mit unseren Nudges, die wir erforschen, möchten wir Social Distancing beim Anstehen in einer Warteschlange erleichtern. Sie helfen auch zu verstehen, wie eine abstandswahrende Wegeführung in belebten, barrierefreien Umgebungen funktionieren kann. Wir wollen Empfehlungen geben, wie konkrete Nudging-Interventionen in der Praxis, zum Beispiel im Handel, umgesetzt werden können.

Wie sind Sie darauf gekommen, das Thema zu untersuchen?

Beim Einkaufen haben Jannike Harnischmacher und Lisa-Marie Merkl, beide wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl, sowie ich selbst beobachtet, dass Konsumenten, trotz auf dem Boden aufgemalter Linien im Supermarkt, oft den empfohlenen Sicherheitsabstand von 1,5 Metern zu anderen nicht einhalten. Der Gesetzgeber fordert jedoch Geschäftsbesitzer auf, diesen Mindestabstand und weitere Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz seiner Kundschaft und Belegschaft sicherzustellen. Bisher gibt es keine Vorgaben seitens des Gesetzgebers, welche Maßnahmen – wir sagen Nudging-Interventionen – den Kunden eine gute Hilfestellung sind, diese Forderungen auch einzuhalten. Wir untersuchen daher, welche Hilfestellungen am besten wirken.

Was ist bei den Klebestreifen auf dem Boden, die den Abstand markieren sollen, das Problem?

Auf die gesetzgeberische Forderung eines Mindestabstandes haben zahlreiche Besitzer bereits zu Beginn der Pandemie schnell reagiert und beispielsweise mit einfachem Klebeband Abstandshalter in Form von Linien auf den Boden gezeichnet. Eigene Beobachtungen im Vorfeld der Studie haben jedoch gezeigt: Während manche Kunden auf den Linien standen, warteten andere genau zwischen zwei Linien. Das haben wir zum Anlass genommen, Maßnahmen zu entwickeln, die eindeutig und leicht zu verstehen sind und die Kunden in Richtung der gewünschten Verhaltensweise stupsen.

Im Titel Ihrer Forschungsarbeit sprechen Sie von „Nudging-Interventionen“ – was genau meinen Sie damit im Kontext des Einzelhandels?

Bereits zu Beginn der Pandemie haben wir in unserer Studie die Effektivität von drei Nudging-Maßnahmen untersucht, die auf dem Boden der Kassenzone eines Supermarktes platziert wurden: erstens die schon erwähnten Linien, zweitens Fußabdrücke und drittens Fußabdrücke kombiniert mit Schildern, die auf den geforderten Mindestabstand von 1,5 Metern hinweisen. Die Ergebnisse zeigen für Kunden ohne Einkaufswagen, für die es besonders schwer ist, den Mindestabstand von selbst einzuhalten: In einer Schlange vor der Kasse, bei denen Fußabdrücke in Kombination mit Schildern platziert wurden, halten sich 63 Prozent der Kunden an den Sicherheitsabstand. In einer Schlange nur mit Linien hingegen wurde der Abstand lediglich von rund 34 Prozent eingehalten. Schon Fußspuren alleine führen dazu, dass rund 49 Prozent der Kunden den Abstand wahren, was bereits eine signifikant höhere Wirkung im Vergleich zu nur Linien darstellt. Ein ähnlicher Trend zeigt sich bei Kunden mit Einkaufswagen. Von ihnen nutzten rund 39 Prozent Fußspuren kombiniert mit Schildern zur Wahrung des Abstands, wohingegen nur 25 Prozent die vorgezeichneten Linien korrekt genutzt haben.

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus Ihren Untersuchungen?

Zusammengefasst zeigen unsere Untersuchungsergebnisse – sowohl für Kunden mit als auch ohne Einkaufswagen – eine signifikant höhere Wirksamkeit von Fußabdrücken kombiniert mit Schildern im Vergleich zu Linien auf dem Boden. Auf Basis dieser Ergebnisse appellieren wir an den Gesetzgeber: Forderungen, den Mindestabstand von Personen im öffentlichen Raum – und dazu gehören eben auch Geschäfte – sicherzustellen, brauchen auch konkrete Handlungsempfehlungen für beispielsweise die Geschäftsinhaber.

Kommentare