Glück im Unglück
Dass das Bedürfnis nach einem Krisenbegleiter jetzt wieder aufflammt, überrascht Singleberaterin Eva Fischer nicht: "Das Frühjahr war wegen des verordneten Rückzugs für viele alleinstehende Menschen emotional eine harte, herausfordernde Zeit. Einsamkeitsgefühle und die Verzweiflung stecken vielen noch in den Knochen."
Im Sommer habe sich die Situation kurzfristig entspannt: "Die Menschen haben viel Zeit draußen verbracht, waren mit Freunden oder der Familie an der frischen Luft. Das Bedürfnis nach partnerschaftlicher Nähe ist in den Hintergrund gerückt." Das Wetter spielt nun bald nicht mehr mit, die Sehnsucht nach Gesellschaft kehrt zurück. Der Umgang mit dem Beziehungswunsch ist in solchen Phasen zentral: "Zuerst sollte man versuchen, die Situation zu akzeptieren, wie sie ist. Das bedeutet nicht, dass man sich damit zufriedengibt, aber man sollte achtsam mit sich selbst und dem Singledasein umgehen. Dann gilt es, sinnvolle Schritte zu setzen, um Letzteres zu ändern."
Sich einen Isolationspartner zu suchen, den man trotz Abstandsregel umarmen und kuscheln kann, hält Fischer für eine "tolle Idee". Damit die gewählte Gemeinschaft frustfrei klappt, gelte es, vorab einige Alltagsregeln abzustecken. Treten dennoch Konflikte auf, sei das nichts Entmutigendes, sondern eine Wachstumschance. "Wichtig ist, dass man in angespannten Situationen richtig kommuniziert."
Fischer rät, das Problem sachlich zu benennen, Gefühle ohne Schuldzuweisungen zu transportieren und Bedürfnisse klar zu äußern. Abseits davon empfiehlt sie, spielerisch an das Experiment heranzugehen: "Im schlimmsten Fall packt man seine Sachen und fährt zurück in seine eigene Wohnung. Aber wer weiß, vielleicht ergibt sich aus so einer Zweckgemeinschaft am Ende ja sogar mehr."
Zweisam überwintern
Dass die kalte, von Rückzug geprägte Jahreszeit den Wunsch nach Nähe anheizt, ist kein unbekanntes Phänomen. Subsumiert wird es unter dem Begriff "Cuffing". Er lässt sich auf das englische Wort "cuff" ("Handschellen") zurückführen. Bildlich gesprochen ketten sich Partner beim "Cuffing" gewollt aneinander, um die Kuschelsaison nicht allein fristen zu müssen.
Keine Clubs, keine Partys, frühe Sperrstunden – Singles haben es derzeit schwer, klassisch neue Bekanntschaften zu schließen. Schon in der ersten Jahreshälfte kurbelte Corona das Online-Dating massiv an; Tinder führte eine Videochatfunktion ein, um Kennenlernen trotz sozialer Distanz zu ermöglichen. Das Frustrationspotenzial ist auf Dating-Portalen hoch, weiß Fischer: "Man darf nicht ausgehen, sofort erfolgreich zu sein. Wichtig ist, dass man eigene Erwartungen und Ansprüche vorab abklärt – und sich Spielraum lässt, um positiv überrascht zu werden."
Seele streicheln
"Wer mit seiner Lebenssituation – etwa mit seinem Beziehungsstatus – unzufrieden ist, verspürt eher psychischen Leidensdruck", weiß Psychotherapeut Christoph Pieh. Unglückliche Alleinstehende und psychisch vorbelastete Singles könnten bald emotional wieder stärker gefordert werden, betont er.
Der Winter lässt sich auch alleine gut überstehen. Fischer rät, dem Alltag durch neue Gewohnheiten Sinn zu geben und sich bewusst Gutes zu tun. Das können gute Gespräche mit Freunden sein, körperliche Zärtlichkeit durch Vollbäder und Massagen oder Austausch in Selbsthilfegruppen. "Wichtig ist, dass man Einsamkeitsgefühle nicht wegschiebt“, sagt Fischer, „denn Einsamkeit ist nichts, wofür man sich schämen muss".
Kommentare