Run auf Paarberatung
Auch, wenn hierzulande auf
Instagram harmonische Kuschel-, Koch- und Gartelfotos dominieren – hinter der Fassade könnte es schon bald weniger idyllisch zugehen, weiß
Susanne Pointner. Die Psychologin und Paartherapeutin hat sich entschlossen, für den Zeitraum der Ausgangssperre eine kostenlose Onlineberatung für Paare und Familien anzubieten. Nach dem Motto: Bevor Paartherapeuten nach Corona einen riesigen Scherbenhaufen aufräumen müssen, können sie mithelfen, dass erst gar nicht so viel kaputt geht. Der Bedarf scheint gegeben, auch die Dienstleistungsplattform ProntoPro verzeichnete jüngst 22 Prozent mehr Anfragen nach Eheberatern.
„Die Partner müssen oft Herhalten als Blitzableiter für Stress, der durch die Verunsicherung und die eingeschränkten Lebensumstände entsteht“, sagt Pointner. „Dazu kommt, dass durch die verordnete Ruhe manches unter dem Teppich hervorlugt, was sonst zur Seite geschoben wird.“
Bei
Simone L. und ihrem Freund Markus, beide Anfang 30, kinderlos, 60-Quadratmeter-Wohnung, war von Isolationsidyll gleich gar nichts zu spüren: „Sie redet nur noch vom Virus“, sagt er. „Die Arbeit zu Hause überlagert alles andere“, sagt sie. Von Romantik oder Sexualität sei man derzeit so weit entfernt wie Wien von Wuhan. Dass sich Langzeitstress ein Liebestöter sein kann, stellte der Schweizer Paarforscher Guy Bodenmann 2015 in einer Studie mit 2.000 Personen fest: Jene Paare, die in ihrem Alltag sehr unter Druck standen, beurteilten ihre Beziehung deutlich schlechter und hatten ein höheres Scheidungsrisiko. Die Intimität wurde weniger, Gespräche drehten sich vorwiegend um Organisatorisches, was beide als anstrengend empfanden.
„Die Partner erreichen einander nicht mehr und werden einander fremd“, skizziert Pointner den Worst Case. „Sie sehen nicht mehr das Leid des anderen hinter der vorwurfsvollen oder abblockenden Fassade und interpretieren seine Fluchtversuche als Desinteresse.“
Auf Entdeckungsreise
So weit muss es freilich nicht kommen, denn auch in diesem Lebensbereich gilt: In der
Krise kann Neues entstehen, Verkrustetes aufbrechen. „Wir haben, wenn wir es zulassen und die Kinder nicht zu sehr das Zusammenleben belasten, Zeit und Muße für Gespräche, neue Aktivitäten, Intimität, innere Entdeckungsreisen“, betont Pointner. „Jetzt können wir wieder üben, nicht nur über Organisatorisches zu sprechen, sondern über unsere Gefühle. Auch gemeinsam ist das gut möglich – während man alte Fotos anschaut oder über einen Artikel spricht.“
Manche Paare werden gerade jetzt den Mut finden, Heikles anzusprechen, für andere wird die Ruhezeit zum Prüfstein werden, prophezeit Pointner. „Das kann langfristig befreiend sein, so schmerzhaft der Trennungsprozess ist. Wenn die Quarantäne spürbar macht, dass die Nähe des anderen schon länger mehr Belastung als Bereicherung ist, wird es Zeit, über eine würdevolle Trennung nachzudenken.“ Thematisieren sollte man solche Gedanken jedenfalls erst danach – oder aber online, mit einem Profi.
Fünf Gebote für Paare in der gemeinsamen Isolation
1. Selbstfürsorge: Jeder bekommt Privatsphäre und Zeit für sich. Nehmen Sie sich morgens Zeit für Ihr Wellnessprogramm. Während einer joggt, schaut der andere auf die Kinder usw.
2. Einander zuhören: Nehmen Sie die Sorgen des anderen, z. B. einen etwaigen Jobverlust, ernst. Fragen oder Korrekturen erst am Ende des Monologs.
3. Spaß haben: Probieren Sie Neues: Brettspiele, Online-Tanzkurse, Partner-Fragebögen. Verteilen Sie die Rollen in der Beziehung für einen Tag neu.
4. Toleranz einüben: Wappnen Sie sich, viel nachsehen zu müssen. Jetzt ist nicht die Zeit für Grundsatzdiskussionen.
5. Hilfe suchen: Freunde sind oft dankbar, wenn jemand das Tabu bricht und über Liebeskrisen spricht. Viele Therapeuten beraten dieser Tage kostenlos, etwa auf www.imagopaarambulanz.at
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