Neues Restaurant Augora: Hier wird Edelschimmel verkauft
In einem kleinen, unscheinbaren Kasten lagern die Sporen des Wunderpilzes. Eine der Schubladen ist mit Styropor verkleidet, darin liegt eine Heizmatte für ein Terrarium. Der Hefepilz Aspergillus flavus var. oryzae – besser bekannt unter seinem japanischen Namen Nihon Kōjikabi – darf hier auf Reiskörnern sein sporenreiches Dasein fristen. Luftfeuchtigkeit hat Koji (so die Kurzform) besonders gerne: Wenn er sich so richtig wohlfühlt, breitet er sich rasend schnell über die Fleischstücke aus: Nach 48 Stunden sehen die Karreestücke wie flach gedrückte Schneebälle aus.
Mit ihrem selbst gebauten Inkubator verstößt Alexandra Liberda gleich gegen zahlreiche Hygieneregeln, mit denen wir aufgewachsen sind: "Fleisch bei rund 30 Grad zwei Tage lang verschimmeln lassen und dann mit dem Schimmel einfach abbraten, klingt für viele nach einem No-go. Aber der Genuss überzeugt – Schimmel ist schön: Der Pilz, den es auch für die Herstellung von Miso und Sake braucht, verändert die Konsistenz des Fleisches und sorgt für herzhafte Umami-Noten. Es bräunt schneller, weil durch den enzymkatalysierten Prozess Zucker austritt."
Die Archäologin hat sich ganz der Fermentierung von Lebensmitteln verschrieben. Noch im März eröffnet sie in Wien-Mariahilf (Augora, Stumpergasse 1A) ein Delikatessen-Geschäft, in dem sie ausschließlich fermentierte Lebensmittel, Koji-Paste sowie Equipment verkaufen wird: Im Geschäftslokal wird es drei Gucklöcher in den Fermentier-Raum geben sowie 18 Sitzplätze, denn die Quereinsteigerin wird, sobald die Gastronomie wieder öffnen darf, Mittagsgerichte mit ihren eingelegten Schmankerln anbieten.
"Als ich mit dem Fermentieren begonnen habe, hatte ich anfangs Angst und viele Fragen im Kopf. Ich möchte mit meinem Geschäft eine Anlaufstelle für alle Interessierten und ihre Fragen sein.“ Besonders oft werde sie zum Beispiel gefragt, was man für knackige Salzgurken bei der Milchsäuregärung machen muss: „Der Trick: tanninhaltige Weinblätter oder Kirschenblätter.“ Dieses Fachwissen möchte die Expertin in Workshops vermitteln: Damit die Kunden nicht für die richtige Gurkensorte durch die Stadt laufen müssen, wird sie die Zutaten zum Einlegen verkaufen – das Gemüse kommt u. a. von der Bioschanze.
Bei einer Fermentation – der Begriff stammt aus dem Lateinischen von fermentare, also „gären machen“ –, verwandeln Mikroorganismen organische Stoffe (meist Glukose) in Säuren, Gase und Alkohol. Wenn dies unter Ausschluss von Sauerstoff passiert, sprechen Experten von Gärung.
Restlverwertung: From nose to tail
Viele Nahrungsmittel verändern dadurch Geruch, Konsistenz und Erscheinungsbild. Wenn keine Starterkulturen aus Schimmelpilzen, Hefepilzen oder Bakterien hinzugefügt werden, sondern diese an der Oberfläche der Nahrungsmittel natürlich vorkommen, spricht man von Spontangärung. Zu Beginn experimentierte Liberda mit Kimchi – für das koreanische Nationalgericht werden Chinakohlblätter mit Milchsäure vergoren: "Fermentiert wird nicht nur in Asien: Wir kennen eine Vielzahl von fermentierten Lebensmitteln wie Sauerkraut, Käse, Brot und Wein, aber auch Bier oder Rohschinken sind Produkte, die aus einem Gärprozess entstanden sind."
Vor zwei Jahren hat die Wahl-Wienerin ihren Job gekündigt, um einen Neuanfang im Leben zu wagen.
Warum sie sich für das Haltbarmachen so begeistert? "Auf der einen Seite ist das Thema für die Gastronomie spannend: Mit Koji werden weniger hochwertige Fleischstücke mürber, was absolut nachhaltig ist. Warum sollten wir nur Edelteile essen? Auf der anderen Seite experimentieren Köche mit dem Pilz für das Herstellen von Fleischersatz: Aus Asien kennen wir ja Tempeh, mit Schimmelpilzen fermentierte Sojabohnen."
Manche Lebensmittel werden durch den Gärungsprozess besser vertragen. So auch Kichererbsen, die Liberda nach dem Vorgaren fermentiert: "Die Hülsenfrüchte schmecken dann nussig und käsig, zudem werden sie viel bekömmlicher, da die Fermentation bereits für uns vorverdaut hat."
Top 3 Fermentieren
Das Ferment, 1020 Wien
Der Marktstand am Vorgartenmarkt bietet milchsauereingelegtes Gemüse, Kimchi, Miso oder Getränke wie Kombucha. Wechselnde Wochenkarte und Take-away.
Info: dasferment.at
Izakaya, 4801 Traunkirchen
Ein japanisches Wirtshaus poppt, sobald die Gastro öffnen darf, im Wirtshaus Poststube 1327 auf. Haubenkoch Lukas Nagl fermentiert regionale Zutaten zu asiastischen Würzpasten.
Info: www.hotel-post-traunkirchen.at
Fermentarium, 3470 Oberstockstall
Rudi Hoheneder legt Gemüse ein – Ab-Hof-Verkauf und via Bioigel. Sobald die Lage es erlaubt, veranstaltet der Landwirt gemeinsam mit Greti Mayer Kurse in der Wagram-Halle. Nur 300 Meter vom Feld entfernt: zuerst wird geerntet, dann fermentiert.
Info: fermentarium.at
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