Die Entwicklungen wurden hier nicht verstanden
Umsturz im Osten: Erhard Busek hat die Umwälzungen in den Ländern Ost- und Südosteuropas seit dem Prager Frühling 1968 miterlebt. Er hat Dissidenten persönlich unterstützt.
KURIER: Herr Busek, Sie haben nie den Eisernen Vorhang in Ihrem Kopf gehabt: Wann kamen Sie mit Dissidenten im Osten in Berührung?
Erhard Busek: Über die Katholische Kirche kam ich zu Gruppen, die den Prager Frühling nicht innerhalb der KP, sondern außerhalb unterstützten. Das waren bescheidene Aktivitäten. Ich erinnere mich an Jiří Němec, der katholische französische Autoren übersetzte und die Texte auf zwölffachen Durchschlägen in die Schreibmaschine hämmerte. Alles wirkte so entsetzlich aussichtslos.
Wie war für Sie der Einmarsch der Warschauer Pakttruppen im August 1968 in Prag?
Erhard Busek: Mit Freunden kam ich zwei Tage nach dem Einmarsch nach Prag, wir waren die ersten westlichen Besucher. Ich fragte die Gruppen, was braucht ihr? Sie antworteten mit einem Satz, der für mich bestimmend blieb: ’Du sollst uns nicht vergessen.’ Ich habe mich verpflichtet, Kontakt zu halten. Einige mussten deswegen sogar ins Gefängnis. Über tschechoslowakische Gruppen, die sich mit dem Dialog zwischen Christentum und Marxismus beschäftigt haben, bekam ich Kontakte nach Polen. Ich war beim Gründungskongress der Solidarność Anfang der 1980er Jahre dabei.
Als in der Nacht zum 21. August 1968 sowjetische Panzer den "Prager Frühling" niederwalzten, hinterließen sie tiefe Spuren im internationalen Gedächtnis weit über das Ende des Kalten Krieges hinaus.
Was geschah nach dem Ende des Prager Frühlings?
Erhard Busek: Es gab eine lange Durststrecke. Als Wiener Vizebürgermeister konnte ich Leute einladen. Der Eiserne Vorhang bekam Rostlöcher. Da konnte man einiges durchreichen. Dass der Fall der Mauer bevorsteht, habe ich nicht wie andere, die das jetzt behaupten, geglaubt.
Wirkte die Solidarnosc auf andere Länder?
Es hat Kontakte zu Tschechen, kaum zu Slowaken oder Ungarn gegeben. Die Solidarność war stark an Westdeutschland interessiert, gegenüber der DDR gab es eine sehr starke Ablehnung.
Von 1981 bis 1983 herrschte Kriegsrecht in Polen. Wie reagierte die Solidarnosc?
Es gab den Klub intellektueller Katholiken. Das geistige Rückgrat waren Tadeusz Mazowiecki und Bronisław Geremek. Beide hatten ein strategisches Konzept: Gegen Polens Kommunistische Arbeiterpartei bauten sie eine wirkliche Arbeiterbewegung auf, um den Kommunisten zu zeigen, dass sie nichts für Arbeiter getan haben. Lech Wałęsa hat sich dafür sehr gut instrumentalisieren lassen.
Wurden Sie in Österreich unterstützt?
Die Entwicklungen wurden hier nicht verstanden. ÖGB-Präsident Anton Benya wollte Mazowiecki nicht einmal einen Termin geben. Ein Teil der Wiener ÖVP machte gerne mit. Kardinal König war eine wesentliche Figur. Ich hatte viele Sympathisanten unter polnischen Austauschstudenten. Unterstützt wurde ich auch von Journalisten, die mit mir in diese Länder gefahren sind.
Fanden Sie ein Ohr im Außenministerium?
Botschafter sagten mir, ich würde mit meinen Aktivitäten Österreich schaden. Im Bericht unseres Botschafters in Polen vor dem Runden Tisch 1989 stand, dass die Kommunisten an der Regierung bleiben würden und man die Solidarność völlig vernachlässigen könne. Viele Diplomaten hatte keine Strategie. Ausnahmen gab es.
Hatte Außenminister Alois Mock auch keine Strategie? Das Aufschneiden des Stacheldrahtzaunes war doch bemerkenswert, oder?
Das war eine Manifestation, die später künstlich aufgebaut wurde, ein Presse-Event. Von der Symbolik her war das Bild aber sehr wichtig.
Gab es für Sie konkrete Hinweise auf das Ende des kommunistischen Regimes im Osten?
Es gab Hoffnung. Ich war im August 1989 bei einem Treffen mit Papst Johannes Paul II. in Castel Gandolfo dabei. Der Papst telefonierte ständig mit Polen, er verhandelte, er war involviert. In Rom habe ich das Knistern der Geschichte gehört. Ich war Hauptredner beim Magyar Demokrata Forum in Esztergom, wo ich damals schon die nationale Komponente gerochen habe. Viktor Orbán startete Mitte links, ich unterstützte ihn bei der Parteigründung, sah aber nicht voraus, was er aus der Partei machte. In der ČSSR hat man nicht mit einem Umsturz gerechnet. Kommentatoren wie Timothy Gordon Ash meinten, der Kommunismus bleibe dort bestehen. Wichtig war Václav Havel mit seinem Bürgerforum und in Bratislava die Bewegung „Öffentlichkeit gegen die Gewalt“. Die Teilung der ČSSR war damit vorgezeichnet.
Warum war der Umsturz in Rumänien gewaltsam?
Die herrschende Machtgruppe hat Ceauşescu liquidiert, um selber an der Macht zu bleiben. Das wirkt sich bis heute aus. Securitate-Leute haben noch immer viel im Griff.
Wie war die Entwicklung in Jugoslawien?
In Slowenien gab es Literaturgespräche, an denen Peter Handke teilnahm. Dazu kam der KP-Jugendclub, die Liberalen Demokraten. In Serbien waren der Schriftsteller Ivan Ivanji und der Belgrader Bürgermeister, der Architekt Bogdan Bogdanović, wichtig. Mit der Kosovo-Frage kippte alles: Zuerst Kosovo, dann Demokratie, hieß es. Slobodan Milošević nützte das sehr geschickt. Es gab es eine große Distanz zur DDR, auch zu den Leipziger Montagsdemos. Die DDR wurde als Musterschüler Moskaus gesehen. So wurde auch nie geklärt, ob 1968 DDR-Truppen beim Einmarsch in Prag dabei gewesen waren oder nicht.
Wie wichtig war der Fall der Mauer?
Die Symbolik war sehr stark. In Ost- und Südosteuropas hat das gar nicht so eine große Rolle gespielt. Wichtiger war die Flucht der DDR-Bürger in die ČSSR, die über Ungarn nach Österreich ausreisen konnten.
Welches Land hat es am besten geschafft?
Sicher Polen. Es gab hier die Katholische Kirche, starke intellektuelle Kräfte, aber keinen totalen Kommunismus. In der DDR und der Tschechoslowakei nach 1968 gab es die brutalsten kommunistischen Regime.
Welche Rolle haben die Europäische Gemeinschaften und die USA am Umsturz gespielt?
Die EU (als einheitlich agierende Institution, Anm. d. Red.) gab es noch nicht, die Mitglieder hatten unterschiedliche Einschätzungen. Die USA spielten eine perspektivische Rolle. Polen war stark Amerika-orientiert. Auf höchster Ebene gab es drei Figuren, die den Wandel beeinflussten: US-Präsident Ronald Reagan, als er 1986 in Reykjavik Michail Gorbatschow traf. Die Reagan-Entourage erkannte die Zeichen der Zeit. Und Papst Johannes Paul II.
Nutzen Sie die Pfeile links und rechts, um durch die Ereignisse zu navigieren.
Berufliche und politische Karriere ÖVP-Klub 1964-’68; 1972 Generalsekretär Österr. Wirtschaftsbund; ÖVP-Generalsekretär 1975-’76. Vizebürgermeister in Wien 1978-’87; ÖVP-Wien Obmann 1976-’89; ÖVP-Bundesparteiobmann 1991-’95. Wissenschaftsministrer 1989-’94; Unterrichtsminister 1994-’95; ÖVP-Vizekanzler 1989-1995.
Europäische Tätigkeiten 1996 Chef d. Südosteuropa-Initiative (SECI); 2002-’08 Koordinator Stabilitätspakt für Südosteuropa; 2000-’12 Präsident Europäisches Forum Alpbach; Vorstand Institut für den Donauraum und Mitteleuropa.
Teil 1: Interview mit Erhard Busek
Teil 2: Wie es zur Wende kam
Teil 3: Glasnost und Perestroika
Teil 4: Das Jahr 1989
Teil 5: Das Wunder von Leipzig
Bonus Material: Erhard Busek und die KURIER-Serie – backstage
Kommentare