Glasnost und Perestroika

Demokratie-Bewegungen: Im Vorhof der Sowjetunion entstehen Bürgerforen, die Reformen verlangen

Die Rolle von Glasnost und Perestroika unter Michail Gorbatschow darf nicht unterschätzt werden. Dieser Versuch des Generalsekretärs der KPdSU, der eigenen Partei die Macht zu erhalten, führte dazu, dass dieser mächtige Apparat mit sich selber beschäftigt war. Er hatte nicht mehr die Kapazität, die Veränderungen im Vorhof der Sowjetunion, in den Warschauer Pakt-Staaten, unter Kontrolle zu halten.

Wesentlicher ist aber, dass sich in diesen Staaten, etwa in Polen, Bewegungen entwickelt haben, die die Kommunisten dort trafen, wo sie von ihrem Ursprung her am empfindlichsten waren: bei den Arbeitern. Die kommunistische Arbeiterpartei hatte die Arbeiter aber schon lange verloren. Eine neue Gewerkschaftsbewegung unter den Vorzeichen eines christlichen Solidaritätsgedankens entstand in den Industrieregionen Polens. Nową Huta, Katowice und Krakau, das Ursus Werk in Warschau und vor allem die Lenin Werft in Gdańsk waren jene Orte, wo die Arbeiter dieser Betriebe in Konfrontation mit Partei und Regierung traten.

Glasnost und Perestroika
Glasnost und Perestroika

Es war ein langwieriger Vorgang mit Opfern und eine interessante Kooperation zwischen dem Elektriker Lech Wałęsa und Intellektuellen vom Typus Tadeusz Mazowiecki, Bronisław Geremek und Jacek Kuroń. Damit haben aber die Kommunisten ihre Glaubwürdigkeit definitiv verloren. Sie wurden gezwungen, nach Verhaftungen und Streiks, den Runden Tisch im Februar 1989 in Polen einzuberufen. Erstmalig saßen wirkliche Vertreter des arbeitenden Volks den Repräsentanten der Kommunistischen Arbeiterparteien gegenüber.

Der Vorgang endete im August 1989 als Mazowiecki in freien Wahlen Ministerpräsident wurde. Es gab einen Kompromiss mit der kommunistischen Staatsmacht, weil General Wojciech Jaruzelski Präsident blieb.

Die Vorgänge in Ungarn waren anders: hier hat das Donaukraftwerk Gabčíkovo-Nagymaros eine entscheidende Rolle gespielt. Es gab einen Staatsvertrag zwischen Ungarn und der Tschechoslowakei, diese beiden Staumauern zu errichten. Mit Nagymaros war ein im nationalen Verständnis der Ungarn schwieriger Ort gewählt worden: Vis-à-vis von Nagymaros liegt die Burg Višegrad, die ein Symbol für das Ungarn der Renaissance und des Mátyás Corvinus gewesen ist. Ich erinnere mich an die Zweite Jahresversammlung des Magyar Demokrata Fórum, die die Ablehnung dieser Staumauer zum Inhalt hatte. Mit meinen Erfahrungen rund um das Kraftwerk Hainburg konnte ich hier wesentliche Argumente liefern. Wir sprachen damals von „Nagyburg und Hainmaros“. Das hat auch die ungarische Regierung verstanden, wobei sie einen geschickten Schachzug machte: die kommunistischen Mitglieder legten ihre Parteibücher nieder und erklärten sich zu Reformern eines neuen Ungarn.

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Unter diesem nicht sehr sauber durchgeführten Wechsel leidet unser Nachbarland heute noch. Es ist offensichtlich nicht gelungen, einen klaren Trennstrich zwischen der kommunistischen Zeit und einem neuen demokratischen Ungarn zu ziehen.

In der Tschechoslowakei kamen die Änderungen relativ spät, aber durch die jahrelange Arbeit von Václav Havel und der „Charta 77“ sehr eindrucksvoll. Das „Bürgerforum“ in Prag spielte dabei eine wesentliche Rolle, während in der Slowakei das Komitee „Öffentlichkeit gegen die Gewalt“ die Veränderungen herbeiführte. Bereits nach dem Prager Frühling war die Slowakei seit 1969 eigene Wege gegangen: die Eigenstaatlichkeit dieses Landesteiles stand mehr im Vordergrund als etwa der Systemwechsel. Die Katholische Kirche spielte hier eine geringere Rolle.

Eine besondere Situation entstand in der DDR, wo vor allem Pastoren mit dem „Leipziger Montaggebet“ Zeichen setzten, die später wirksam wurden. Wahrscheinlich war auch das Regime der SED das am besten organisierte. Natürlich trat auch ein Dominoeffekt ein, etwa in Rumänien und Bulgarien. Hier verstanden Politiker innerhalb der KP, durch eine rechtzeitige Kehrtwendung Macht zu behalten. Die fernsehgerechte Hinrichtung des rumänischen Präsidenten Nicolae Ceauşescu ist ein solches Beispiel. In der Folge behielt eine Garnitur von Kommunisten die Macht, aber rechtzeitig bildeten sie neue politische Formationen.

Glasnost und Perestroika
In Prag ruft Václav Havel im Dezember 1989 die „Samtene Revolution“ aus.
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Gorbatschow und Papst Johannes Paul II beeinflussten auf ihre Art das Ende des Kommunismus. 1989 empfing der Papst Gorbatschow, eine einzigartige Geste.

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November 1985: US-Präsident Ronald Reagan mit Mikhail Gorbatschow in Genf.
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April 1986: Bruderkuss zwischen Gorbatschow und SED-Generalsekretär Erich Honecker anlässlich dessen Wiederwahl.
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Heute muss man feststellen, dass den Dissidenten von damals, die sich tapfer bemühten, Freiheit und Demokratie in ihre Länder zu bringen, kein langer Verbleib in politischen Ämtern beschieden war. Lediglich Václav Havel schaffte es eine längere Zeit, wobei auch er nicht verhindern konnte, dass „Wendehälse“ sich quasi der demokratischen Einrichtungen bemächtigten und Veränderung zu signalisieren versuchten.

Viele Kommunisten der hinteren Reihen sind entweder in die Wirtschaft gegangen, um später als Oligarchen mit besten Verbindungen zum Staat und mit Bedienung an der Kasse aufzutauchen – oder wieder in die Politik zu gehen. Die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit wird moniert, wobei das wahrscheinlich eines der schwierigsten Kapitel ist, denn auch wir haben mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit lange Zeit gebraucht. Natürlich hatten Personen, die mit dem Machtapparaten vor 1989 verbunden waren, mehr Kenntnisse über die Politik mitgebracht als jene tapferen Dissidenten, die eine hohe Moralität hatten, aber das politische Handwerk nicht lernen konnten, weil es ihnen verboten war.

Diese Entwicklungen sind auch an Jugoslawien nicht spurlos vorübergegangen, wobei man Jugoslawien nicht in den Einheitstopf der Warschauer Pakt-Staaten werfen darf. Es hat immer versucht, einen eigenen Weg zu gehen und gerade für Flüchtende aus dem Moskauer Imperium zumindest ein Durchgangsland zu sein. Es wird noch viel Arbeit von Historikern notwendig sein, um diese Ereignisse entsprechend aufzuarbeiten. Für die betroffenen Länder wäre das sehr gut. Bei uns müsste es dazu führen, für diese Entwicklung großen Respekt zu haben. Diese Entwicklungen ermöglichten uns die Auseinandersetzung mit der Frage eines gemeinsamen Europas.

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APA4121189-2 - 19052011 - LAVAMÜND - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT AI - Ein Kommandant einer slowenischen Polizei Sonderheiten macht das Viktoria-Zeichen am 29. Juni 1991, neben einem Schild "Republik Slowenien" am Grenzübergang Lavamünd. Die Unabhängigkeit Sloweniens von Jugoslawien musste in einem Zehn-Tage-Krieg mit der Volksarmee erkämpft werden, die ab 27. Juni 1991 die Grenzübergänge zu Österreich und Italien zu besetzen versuchte. APA-FOTO: GERT EGGENBERGER
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