Das Wunderjahr für den Westen

Das Wunderjahr für den Westen

Ausblick. Die EU hat vom Ende des Eisernen Vorhangs profitiert. Künftig brauchte es eine neue Strategie.

Die durch ein halbes Jahrhundert gültige Unterscheidung zwischen Westen und Osten ist durch den Fall des Eisernen Vorhangs hinfällig geworden – das aber wird bis heute noch immer nicht ganz verstanden. Offensichtlich tun wir uns leichter, wenn wir Trennlinien in unseren Hirnen und Herzen haben. Die Welt der Demokratie in Europa ist durch die Veränderungen im Ostblock überrascht worden und war nicht darauf vorbereitet.

Natürlich soll anerkannt werden, dass es eine Reihe von Einrichtungen gab, die die Entwicklung zur Demokratie unterstützen. Am wirkungsvollsten war aber die Open Society Foundation von George Soros, geborener Ungarn, aber im Börsenbereich in den USA ungeheuer erfolgreich. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es gar nicht einfach war, Hilfe zu organisieren, weil die Regierungsstellen – nicht nur in Österreich – sehr zurückhaltend waren.

Natürlich ließ man sich gerne mit Vertretern der neuen demokratischen Regierung fotografieren. Österreich hat sogar eine Kopie des Eisernen Vorhangs in Ungarn durchtrennt: Außenminister Gyula Horn und Alois Mock durchschnitten ihn bildwirksam.

Das Wunderjahr für den Westen
Billionaire investor George Soros of Soros Fund Management attends the annual meeting of the World Economic Forum (WEF) in Davos January 26, 2013. REUTERS/Pascal Lauener (SWITZERLAND - Tags: POLITICS BUSINESS HEADSHOT)
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Das Wunderjahr für den Westen

Die Überwindung des kommunistischen Erbes wurde nur bescheiden unterstützt. Ich kann sehr viel darüber berichten, wie schwierig es war, etwa für junge Menschen der Nachbarschaft Möglichkeiten zu schaffen, um auf unsere Standards aufzuschließen. Es war natürlich auch Anpassung notwendig, etwa die Durchsetzung des Studiums jener Sprachen an unseren Universitäten, denen wir nun näher sind. Es muss festgehalten werden, dass die österreichische Wirtschaft schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs hier am klügsten war und auf Märkten erschien, auf denen sie schon vor dem Zweiten Weltkrieg zu Hause waren.

Das Wunderjahr für den Westen
Dr. Erhard Busek

Kluge Unternehmer

Die nach wie vor nicht schlechte wirtschaftliche Situation unseres Landes ist vor allem auf diese Erweiterung der wirtschaftlichen Tätigkeit zurückzuführen. Raiffeisen und Erste Bank, Wiener Städtische Versicherung und UNIQA, OMV und diverse Handelssparten waren vor dieser Zeit bescheidene Unternehmen in Österreich, heute sind sie in der Sprache unserer Zeit „regional player“. Erst recht begann die Diskussion über den Zuzug von Arbeitskräften, wobei wir die Freizügigkeit für die neuen EU-Mitglieder Bulgarien und Rumänien erst zum letzten möglichen Zeitpunkt akzeptierten.

Nicht nur im sozialen Bereich (Altenbetreuung, Spitäler etc.), sondern auch in vielen Wirtschaftszweigen sowie des Wissenschafts- und Forschungsbereichs, leben wir von jenen, die zu uns kommen. Selbstverständlich fehlen den Ländern diese Kräfte. Dem „brain drain“ sollte die „brain circulation“ folgen. Den EU-15 (seit 1995) war es klar, dass diese neuen Demokratien ganz Kandidaten zum Beitritt sind, weil keine Alternative, aber der eigentliche Ruf erschallte in diesen Ländern: „Zurück nach Europa!“

Neue Landkarte

Das allerdings hat eine Veränderung der europäischen Landkarte erzeugt: haben wir früher Prag als eine Stadt im Osten verstanden, müssen wir nun zur Kenntnis nehmen, dass Prag ein tüchtiges Stück weiter westlich liegt als Wien. Noch tun wir uns schwer, zu akzeptieren, dass alle diese Länder gleichberechtigte Spieler innerhalb Europas sind. Die aus wirtschaftlichen und sozialen Unterschieden entstehende Migration ist einer der Gründe für europakritische Stimmungen. Entschieden zu wenig wird dazu getan, um eben diese Unterschiede auszugleichen und damit die Abwanderung zu verhindern. Es sind aber auch neue Probleme entstanden, mit denen wir uns herumschlagen: was ist die Rolle Russlands, wie gehen wir mit Ländern um, von denen Moskau behauptet, dass sie nach wie vor seine Einflusssphäre sind (Ukraine, Moldawien, Weißrussland), was tun wir mit Ländern Zentralasiens, die nicht nur geopolitisch, sondern auch aus Energiegründen eine Schlüsselrolle spielen?

Fehlende EU-Strategie

Die Kriege im zerfallenden Jugoslawien 1991 haben uns noch zusätzliche Schwierigkeiten beschert, weil es die Amerikaner waren, die sie unter Bill Clinton beendet haben, während die Europäer immer noch keine gemeinsame Strategie verfolgen. Die wesentlichste Konsequenz des Falls des Eisernen Vorhangs ist wohl die Wirklichkeit, dass wir Europäer jetzt die Chance haben, zusammenzufinden, um eine Einheit darzustellen. Das meine ich nicht nur institutionell, das braucht seine Zeit. Wichtiger wäre es im Geistigen, denn das „Narrativ Europa“ ist in Wirklichkeit gefragt: Wofür steht Europa? Was ist unsere gemeinsame Grundlage und wie nehmen wir die Verantwortung im „global village“ wahr? Europa ist nur mehr 7 Prozent der Weltbevölkerung, wenngleich wirtschaftlich bedeutend. Gelingt es, mit der geistigen Kapazität weiterführende Rollen zu bewahren oder entschwinden wir in eine Randrolle in dieser Welt? Noch herrscht der nationale Egoismus der einzelnen Mitgliedstaaten vor, in völliger Verkennung der Tatsache, dass man nur im Zusammenwirken eine Rolle Europas entwickeln kann. Jacques Delors, einer der Vordenker für Gemeinsamen Markt und Euro, hat es auf den Punkt gebracht: „Einen Binnenmarkt kann man nicht lieben, wir müssen Europa eine Seele geben!“

Mix an Kulturen

Hier gibt es Beschreibungen, die auf die Wurzeln verweisen, etwa dass Europa das Produkt von griechischer Philosophie, römischen Rechtsdenkens, jüdisch-christlichen Religionsverständnisses, der Aufklärung und der Moderne ist. Das allerdings verlangt eine ständige Anpassung an neue Situationen und natürlich auch ein entsprechendes Engagement. Dabei haben alle Europäer eine Rolle zu spielen, egal ob sie nun einem größeren oder kleineren Staat angehören. Kulturell existiert diese Gemeinsamkeit (ohne EU), politisch, wirtschaftlich und sozial fehlt sie.

Wir haben keine Strategie zu Bosnien-Herzegowina und der Ukraine, wir wissen nicht, wie wir mit der Türkei und dem Nahen Osten umgehen sollen. Neue politische Gruppen sehen ihr Heil in der „splendid isolation“, wobei der jüngste Volksentscheid in der Schweiz das unterstützt. 1989 war ein Geschenk der Geschichte an Europa – zur Gänze geöffnet haben wir dieses Paket noch nicht.

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