"Wir wurden zum Abschuss freigegeben"

Blinde,Mahü
Behinderte Menschen kommen mit der neuen Fußgängerzone nur sehr schwer zurecht.

Wir fürchten uns zu Tode“, sagt Rollstuhlfahrerin Theresia Haidlmayr. „Nicht nur, dass man jetzt trotz Parkpickerl keine Parkplätze mehr kriegt. Mobilitätsbeeinträchtigte Menschen werden auf der Mariahilfer Straße einfach zum Abschuss freigegeben“, ärgert sich die Anrainerin einer umliegenden Gasse. Die Umgestaltung der Einkaufstraße sei „ein Fehlgriff“, lässt die ehemalige grüne Nationalratsabgeordnete ihrem Unmut freien Lauf.

„Früher sind alle bei der Ampel stehen geblieben. Jetzt flitzen Radfahrer und Taxis durch“, erklärt die 57-Jährige. Für ältere Leute mit Gehhilfen und für Rollstuhlfahrer sei es deshalb gefährlich, die Straße zu queren. „Den Blinden wird überhaupt jede Form von Sicherheit genommen.“ Denn die Ampeln in der inneren Mariahilfer Straße sind jetzt abgestellt und somit auch das Audio-Signal, auf das blinde Menschen angewiesen sind.

„Besonders Radfahrer sind für uns eine große Gefahr, weil man sie nicht hört“, sagt Kurt Prall vom Blinden- und Sehbehindertenverband für Wien, NÖ und Burgenland. „Um die Straße zu überqueren, müssen wir entweder ein großes Risiko eingehen oder U-Bahn-Unterführungen benutzen, was große Umwege bedeutet“, ergänzt sein Kollege Herbert Kramer. Die Sehbehinderten wünschen sich zumindest Übergänge mit Ampeln. Auch Haidlmayr fordert Fußgänger-Bedarfsampeln. „Ich befürchte aber, dass es erst ein paar Tote geben muss, damit sich was ändert“, sagt die Rollstuhlfahrerin. Während des Gesprächs mit dem KURIER wurde sie in der Begegnungszone ein Mal von einem Radler und ein Mal von einem Auto scharf geschnitten.

Grün gegen Grün

An Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou lässt Haidlmayr kein gutes Haar: „Eva Glawischnig arbeitet so hart und die Wiener Grünen erweisen ihr mit diesem Projekt keinen guten Dienst.“

„Die Probleme der behinderten Menschen sind uns bekannt“, betont man im Büro Vassilakou. „Es gab bereits in der Planungsphase Besprechungen mit den zuständigen Verbänden. Daraus sind aber keine großen Anforderungen hervorgegangen“, erklärt Sprecher Patrik Volf. An der Lösung des Problems wird jedoch gearbeitet.

Umstellen müssen sich auch die täglich mehr als 1400 Kunden des Gesundheitszentrums der WGKK, das jetzt in der Fußgängerzone liegt: Der Behindertenparkplatz vor dem Gebäude wurde in die Esterhazygasse verlegt. Patienten mit Gehbehindertenausweis dürfen nur noch während der Ladezeit (6 bis 13 Uhr) in der Fußgängerzone parken. Patienten ohne Ausweis dürfen gar nicht zufahren.

„Die große Aufregung ist aber bisher ausgeblieben“, sagt Isabella Warkoweil, Oberschwester im Gesundheitszentrum. Viele Patienten würden ohnehin mit der U3 anreisen, die direkt vor dem Gebäude hält.

Sauer ist hingegen Rainer Kazda, Zahnarzt in der Zieglergasse: „Wegen der neuen Verkehrsregeln hab ich 30 Prozent Umsatz-Einbußen. Patienten, die mit dem Auto unterwegs sind, meiden meine Praxis wegen des Verkehrschaos in den Seitengassen. Die jetzige Einbahn-Regelung in der Zieglergasse muss unbedingt wieder aufgehoben werden.“

Zankapfel "MaHü": Keine Stammtisch-Debatte in der Bundeshauptstadt kommt momentan ohne einen Beitrag zur Neugestaltung der Mariahilfer Straße aus. Am neuen Verkehrskonzept scheiden sich die Geister: Zu verwirrend und sogar gefährlich, monieren die einen. Endlich weniger Autos und weniger Lärm, jubeln die anderen. Und die Politik? Die bittet um Verständnis und verspricht Adaptierungen: "Man muss dem Ganzen eine Chance geben", sagte der Bezirksvorsteher von Neubau, Thomas Blimlinger, unlängst im KURIER-Stadtgespräch.

"Wir wurden zum Abschuss freigegeben"

Und Sie? Was würden Sie auf der Mariahilfer Straße verändern? Was gefällt Ihnen am neuen Verkehrskonzept? Was weniger? Schicken Sie uns Ihre Verbesserungsvorschläge per E-Mail an leserreporter@kurier.at und stimmen Sie in der Umfrage für die aus Ihrer Sicht beste Lösung ab.

Die interessantesten Leserbeiträge werden in den nächsten Wochen hier in diesem Artikel veröffentlicht.

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