Unterwegs im Wiener Wasserreich: Von der Quelle bis in die Stadt
Woher kommt unser Wasser? Wie kann man die Versorgung in Zukunft sichern? Und wie funktioniert das Leitungsnetz? Der KURIER widmet dem Thema anlässlich des 150. Jubiläums der Wiener Hochquellleitung einen Schwerpunkt:
➤ Video-Reportage: Der Weg des Wiener Wassers in die Stadt
➤ 150 Jahre Wiener Hochquellenleitung: Wie das Wasser nach Wien kam
➤ Zahlen, Fakten, Grafiken: Alles zur den Wiener Hochquellenleitungen
➤ Zukunft: Massiver Ausbau der Wasserversorgung
Durch das Gewölbe geht es ausschließlich in gebeugter Haltung. Wasser schießt von allen Seiten und aus mehreren Schlitzen in den Stollen, 200 Liter sind es jede Sekunde. Die Hände bleiben strikt unten und eng am Körper. „Sonst rinnt’s einem oben eini und unten wieder aussi“, lautet die Warnung. Der Weg führt rund 70 Meter in den Berg hinein und
25 Meter bergauf bis zum Quellspalt, wo das Wasser erstmals aus dem Felsen tritt.
Die Wasseralm-Quelle ist eine der größten im niederösterreichischen Höllental zwischen Schneeberg und Rax und gehört zu den 70 Quellen für Wiens Trinkwasserversorgung. Sie alle sind streng geschützt. Der Versuch, die schweren Türen unerlaubt zu öffnen, würde Alarm und einen Polizeieinsatz auslösen.
Zutritt haben sonst nur Mitarbeiter von Wiener Wasser wie Aufseher Bernhard Laminger. Als er die Türe zum Stollen öffnet, sieht man als erstes ein Wandbord voller Gläser – nicht unbedingt, was man erwarten würde. Sie sind für Kostproben, das Glas hält man unter einen Wasserschwall, der direkt aus der Mauer kommt. Wem das noch nicht pur genug ist, muss ins Innere des Berges.
Gegen den Strom
Für Lamingers „Arbeitsweg“ durch den Stollen braucht es Wathose, Regenmantel und Helm. Kameras werden zur Sicherheit in Plastikbeutel gepackt und unter die Kleidung gestopft. Der wirklich heikle Part: Um die Wände zu stützen und das Wasser abzubremsen, hat man künstlich Stufen geschaffen, die 30 mal 40 Zentimeter hoch sind. Zu sehen sind sie unter den Wassermassen nicht.
Erst vor wenigen Wochen hat Laminger die ausgewaschenen Stufen neu betoniert – nicht zuletzt hygienetechnisch eine besonders heikle Aufgabe, auch wenn die Quelle zu dieser Zeit nicht eingespeist wurde.
Es geht weiter, Gespräche sind über das Rauschen fast unmöglich. „Auch wenn man sich mag, schreit man sich zwangsläufig an.“ Am Quellspalt angekommen, hält man erst mal inne. Ein Drittel des gesamten Wassers tritt aus diesem einen Felssprung. Von hier aus wird es in nur 24 Stunden eine Strecke von 150 Kilometern bis in die Leitungen nach Wien zurücklegen und das allein durch die Schwerkraft und ohne den Einsatz von Pumpen.
Der Zugang liegt abgelegen und ist streng gesichert.
Der Zugang liegt abgelegen und ist streng gesichert.
Aufseher Bernhard Laminger führt durch den Stollen, der 70 Meter tief und 25 Meter bergauf führt.
Aufseher Bernhard Laminger führt durch den Stollen, der 70 Meter tief und 25 Meter bergauf führt.
Das Wasser kommt von allen Seiten und aus mehreren Schlitzen.
Das Wasser kommt von allen Seiten und aus mehreren Schlitzen.
Pro Sekunde fließen 200 Liter durch den Stollen, ein Drittel des gesamten Wasser tritt aus nur einem Felsspalt.
Pro Sekunde fließen 200 Liter durch den Stollen, ein Drittel des gesamten Wasser tritt aus nur einem Felsspalt.
Die Planer der ersten Hochquellleitung haben die Höhenunterschiede einberechnet, wodurch das Wasser rein gravitativ nach Wien fließt. Das Gefälle erzeugt auch den nötigen Druck, damit das Wasser mit drei bis sechs Bar aus dem Hahn kommt.
Zeitunglesen als Wassertest
Die Wasserqualität wird im benachbarten Wasserschloss mit Sonden kontrolliert. Die Ergebnisse werden automatisch in Schaltzentralen übermitteln, wo das Quellwasser je nach Bedarf in die Hochquellenleitung oder in Flüsse geleitet werden.
Bis in 1950er-Jahre arbeitete man noch mit Schaugläsern, unter die eine Zeitung gelegt wurde. War die Schrift durch ein mit Wasser gefülltes Glas zu lesen, galt es als trinkbar. War die Trübung zu stark, wurde es ausgeleitet.
Vom Stollen fließt das Wasser nach Kaiserbrunn am Fuße des Tals. Hier liegt der historische Ursprung der Wiener Wasserversorgung. Vor 150 Jahren, am 31. August 1873, ergoss sich zum ersten Mal Quellwasser in das Aquädukt.
Heute sammelt sich in der Anlage der Großteil des Quellwassers vom Schneeberg, 700 Liter treffen pro Sekunde ein. Zu sehen ist davon an der scheinbar spiegelglatten Oberfläche nichts. „Das Wasser kommt hier zur Ruhe, damit sich die Sedimente absetzen können“, erklärt Fachbereichsleiter Harald Kromp. „Damit’s keine Bröseln in der Leitung gibt“, ergänzt ein Kollege.
In der Kaiserbrunnquelle ist für Besucher an einer Glastür Schluss. Der Quellspalt liegt geschützt am Ende des Höhlensystems. Dass Quellen wie diese durch den Klimawandel versiegen, sei derzeit nicht zu befürchten: „Beobachtungen der letzten Jahre und Forschungsergebnisse zeigen, dass die Niederschlagsmenge im Gebiet gleich bleibt“, versichert Kromp.
Verträge für Notwasserlieferungen
Welche Sonderstellung die sichere Trinkwasserversorgung Wiens einnimmt, wird auch im Vergleich klar: In Niederösterreich und dem Burgenland funktioniert die Versorgung – im genauen Gegensatz zu Wien – vorwiegend mit Grundwasser. Im März sind die unterirdischen Vorkommen wegen anhaltender Trockenheit auf historische Tiefststände gesunken.
Kaiserbrunnquelle
Der Eingang zur Kaiserbrunnquelle. Sie ist der historische Ursprung der Wiener Trinkwasserversorgung.
Für Besucher ist an der Glastür Schluss, dahinter liegt der Quellspalt
Runhepool
Im "Ruhepool" Kaiserbrunn setzen sich Steine und Stand ab, bevor das Wasser weiter in die I. Hochquellenleitung fließt.
Um mit Notwasserlieferungen auszuhelfen, gibt es mit Gemeinden entlang der Hochquellenleitungen Verträge. „Im Einzelfall muss man entscheiden, ob Lieferungen möglich sind. Die Versorgung der Stadt Wien hat immer Vorrang“, betont Kromp.
Wien benötigt tagtäglich 390 Mio. Liter Wasser. Davon fließen 220 Mio. Liter allein durch die erste Hochquellenleitung – außer zu geplanten Ausfällen für die Abkehr. Die Leitung wird zwei Mal jährlich stillgelegt, um bestimmte Abschnitte innerhalb von nur drei bis fünf Tagen zu reinigen.
Weil das Wasser ungefiltert nach Wien fließt, setzen sich in der Leitung mineralische Sedimente ab. Die Reinigung in vorwiegend gebückter Haltung und auf engstem Raum ist Knochen- und Handarbeit. Es herrschen Temperaturen von sechs bis acht Grad und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit.
Abkehr im Gokart
„Das Personal rüstet sich mit Besen aus und kehrt damit die Wände und die Kanalsohle ab“, schildert Kromp. Stellenweise ist das nur auf allen vieren möglich. An Abschnitten mit ausreichend Durchmesser können auch Maschinen eingesetzt werden. „Die funktionieren wie umgekehrte Geschirrspüler, um die Wände mit Düsen abzuwaschen.“ Ein anderes Hilfsmittel sind Gokarts, auf denen je zwei Personen in die Pedale treten und gleichzeitig kehren.
Bei der Abkehr wird die Hochquellenleitung von mineralischen Ablagerungen gereinigt - eine Knochenarbeit.
Die Abkehr wird auch für Kontrollen genutzt.
Bis die ganze Länge von 150 Kilometern gereinigt ist, dauert es fünf Jahre. Stattfinden kann die Reinigung nur im Herbst oder Frühling, wenn der Wasserbedarf geringer ist.
Kompensiert wird der Ausfall durch die zweite Hochquellenleitung und die Reserven in 31 Wasserbehältern. Zusammen genommen können die Behälter 1,6 Mrd. Liter speichern, was einem Verbrauch von vier Tagen entspricht.
Ein Behälter steht am Wienerberg in Favoriten. Zwei Kammern werden von beiden Leitungen gespeist und fassen 50 Mio. Liter Wasser. Das Sonnenlicht hat das Wasser zuletzt als Regentropfen gesehen.
„Unser Wasser ist ein Naturprodukt. Zur Sicherheit führen wir aber eine Desinfektion primär mit UV-Licht aber auch mit Chlor durch“, erklärt Wiener Wasser-Chef Paul Hellmeier.
Durch das Bevölkerungswachstum und den Klimawandel wird dieser aber steigen. Prognostiziert wird ein Anstieg von täglich 390 auf 450 Mio. Liter.
Spülanalyse
Spülanalyse vom WM-Spiel Italien gegen England im Jahr 2021.
Der Behälter am Wienerberg speichert 50 Mio. Liter Wasser.
Schafberg
Am Schafberg wird die Speicherkapazität von 23 auf 60 Mio. Liter fast verdreifacht.
Einen Aufruf, den Trinkwasserverbrauch zu beschränken, gab es zuletzt in den 70er-Jahren, erinnert sich Hellmeier. In Wien sei die Situation auch aktuell ungleich entspannter als in anderen östlichen Regionen.
Halbzeit ist Spülzeit
Um den täglichen Bedarf vorherzusagen, gibt es einen Algorithmus. „Dieser kann den Bedarf auf 0,7 Prozent genau für drei Tage im Voraus berechnen.“ Spitzen gibt es, wenn die Morgentoilette beginnt, sowie am Abend – oder bei Fußballspielen.
„Spülanalysen“ zeigen, wie der Verbrauch durch den Toilettengang in der Halbzeit nach oben schießt. Am wenigsten wird übrigens am 25. Dezember und 1. Jänner verbraucht, wenn die Bevölkerung im „Ruhemodus“ – übersetzt verkatert – ist.
Das meiste Wasser wird im Juni und Juli gebraucht, wenn Höchsttemperaturen, Schulferien und Gartenpflege zusammenkommen. „Der Spitzenverbrauch liegt bei 500 Mio. Liter täglich und das an mehreren Tagen in Folge“, schildert Ingenieur Norbert Klicha. Er überwacht den Ausbau des Behälters am Schafberg in Hernals.
Harte Reserven für den Sommer
Durch eine zweite Kammer wird das Speichervolumen von 23 auf 60 Mio. Liter fast verdreifacht: „Die Reserven helfen wesentlich, um Verbrauchsspitzen abzudecken.“ Dafür sind auch die Grundwasserwerke Lobau und Donauinsel essenziell, die man braucht, um Fehlmengen auszugleichen.
Abgesichert ist man auch gegen Blackouts, weil das Wasser ohne Pumpen bis in die Leitungen kommt. Ausnahmen sind die höchstgelegenen Gebiete wie der Wilhelminenberg und Hochhäuser wie die Millennium-City oder Alterlaa. Pumpen würden bei Stromausfällen durch ein Notstrom-Aggregate betrieben und die Wasserbehälter füllen.
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