Temporäre Radwege: Warum die Wut aufpoppt
Nimmt man Autofahrern Platz weg, platzt ihnen gehörig der Kragen. Der Eindruck entsteht zumindest, wenn man sich zuletzt aufgepoppte Verkehrsprojekte in Wien und Linz ansieht.
In der Bundeshauptstadt gibt es mittlerweile vier temporäre Radwege auf Spuren, die vor der Corona-Krise Autos, Lastwagen und Motorrädern gehörten. Initiiert hat das die grüne Verkehrsstadträtin Birgit Hebein. Kritik an dem Konzept gab es vom ersten Tag an – auch vom roten Koalitionspartner. Der Grund: Auf den verbleibenden Fahrspuren stockte der Verkehr. Und in Linz wurde ein im Sommer autofreier Hauptplatz nach zwei Tagen eingestampft. Die Begründung: „Es funktioniert noch nicht“, sagt FPÖ-Verkehrsstadtrat Markus Hein.
Neu sind solche Debatten nicht. Man denke nur an die Begegnungszone in der Mariahilfer Straße. Aber warum lassen derartige alternative Verkehrskonzepte den Blutdruck mancher so rasant ansteigen? Und warum will man ihnen keine Chance geben?
Das hat vor allem drei Ursachen, sagen Experten.
Sehnsucht nach Routine
Erstens: Neue Konzepte fordern Routinen heraus. „Die Hälfte unseres Verhaltens im Alltag ist ein gewohntes. Und das Verkehrsverhalten wird schon in der Kindheit angelernt“, sagt die Verkehrspsychologin Bettina Schützhofer. Entsprechend lange dauere es, bis man sich an neue Routinen einigermaßen gewöhne. „Nach rund sechs Monaten ist ein Verhalten stabil.“
Dazu kommt (und das ist die zweite Erklärung): Corona hemmt die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Fallen Fahrstreifen weg, stehen Autofahrer zur Stoßzeit (wenn sie ohnehin schon angespannt sind) noch viel länger im Stau. Und zusätzliche Anspannung kann man insbesondere in einer Krise nicht brauchen. „Corona hat den Stress erhöht“, sagt Schützhofer. Das hemme die Bereitschaft, das Verkehrsverhalten zu adaptieren: „In Krisenzeiten ist man wenig geneigt, Gewohnheiten zu ändern, weil sich ohnehin rundherum so viel ändert, auf das man keinen oder nur wenig Einfluss hat.“
„Nach rund sechs Monaten ist ein Verhalten stabil.“
Und dann gibt es – drittens – noch einen ganz anderen Grund, warum es alternative Konzepte schwer haben: „Widerstand entsteht auch deshalb, weil Verkehrsteilnehmer subjektive Nachteile empfinden. Viele neue Formen der Verkehrsorganisation gehen auf Kosten des motorisierten Individualverkehrs“, sagt Wolfgang J. Berger. Er forscht am Institut für Verkehrswesen an der Universität für Bodenkultur in Wien.
Soll heißen: Stehen Autolenker aufgrund eines Radwegs im Stau oder müssen sie wegen einer Fahrbahnanhebung langsamer über eine Kreuzung fahren, ist das für sie schlicht und einfach unangenehm. Allerdings: Auf der Metaebene betrachtet sind derartige Maßnahmen meist nützlich – etwa wenn dadurch Unfälle vermieden werden. „Ein Verkehrstoter kostet die Volkswirtschaft immerhin rund drei Millionen Euro“, sagt Berger.
Hier liegt der Knackpunkt: Alternative Verkehrskonzepte polarisierten weniger, würden die Verantwortlichen die Vorteile besser kommunizieren, sind sich die beide Experten einig. Außerdem unabdingbar: die Einbindung der Bevölkerung. „Alles, was gut begleitet ist, erhöht die Akzeptanz“, sagt etwa Schützhofer. Bei einer neuen Verkehrsorganisation gelte die Regel: „Erst wenn 30 bis 50 Prozent ein Konzept akzeptieren, wird es zu einem Selbstläufer.“
Tests sinnvoll
Ein gangbarer Weg, um den Widerstand gering zu halten, sind Testballons. „Konzepte in einer Pop-up-Version zu testen, ist an sich eine gute Idee“, sagt Berger. Das versucht offenbar gerade Wiens Verkehrsstadträtin Hebein. Zwar begründet sie die Pop-up-Radwege offiziell damit, dass Radler während der Corona-Krise mehr Platz benötigen. Allerdings wollen die Grünen zum Beispiel auf der Praterstraße seit Jahren dauerhaft einen Autostreifen auflassen. „Wird eine fixe Umorganisation angestrebt, muss man das jedenfalls transparent kommunizieren“, gibt Berger zu bedenken.
„Will eine politische Strömung ein Konzept durchsetzen, gibt es von der anderen Seite automatisch Widerstand.“
Nicht immer sei das Konzept an sich das Problem, sagt der Wissenschafter. „Will eine politische Strömung ein Konzept durchsetzen, gibt es von der anderen Seite automatisch Widerstand.“ Dieser könne heute leichter ausgedrückt werden als noch vor 20 oder 30 Jahren. „Über soziale Medien kann man binnen kurzer Zeit Demos organisieren.“ Tatsächlich gingen Gegner und Befürworter des Pop-up-Radwegs in der Hörlgasse auf die Straße.
Eine Demo war es auch, die für das Aus des autofreien Linzer Hauptplatzes mitverantwortlich gemacht wird. Gleich am ersten Tag, am 15. Juli, war es im abendlichen Berufsverkehr in der Innenstadt zu kilometerlangen Staus gekommen.
Zusätzlich zur Sperre des Zentrums für den Durchzugsverkehr hatte eine Demo der Radlobby auf der anschließenden Nibelungenbrücke für dortige Radspuren noch die Situation verschärft. Das Projekt wurde auf 2024 verschoben, wenn neue Brücken fertig sind. „Das Image war danach einfach zu beschädigt“, sagt der Verkehrsstadtrat Hein.
Mutter der Debatten
Das neue Mariahilfer Straße: Ab dem Jahr 2013 wurde die innere Mariahilfer Straße – unter großen Diskussionen – in eine Fußgängerzone mit Begegnungszonen an den Rändern umorganisiert und auch umgebaut. 2015 waren die Arbeiten abgeschlossen
Die Effekte des Konzepts: Passanten und Kaufleute vertrieb der Umbau (anders als befürch-tet) nicht: Wurden im Jahr 2012 an Samstagen noch 52.938 Passanten registriert, waren es 2016 bereits 66.333. Die Leerstandsrate der Geschäfte lag im Jahr 2018 bei 2,8 Prozent – und damit fast auf Vor-Umbau-Niveau
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