Die (kurze) Renaissance des Autos
Wer sich nach der Normalität sehnt, der musste in den vergangenen Tagen nur auf die Straßen blicken. Auf den Hauptverkehrsrouten, die infolge der Ausgangsbeschränkungen zeitweise fast gespenstisch leer wirkten, konnte man vergangene Woche die Belebung deutlich spüren. Am Wiener Gürtel etwa gab es mitunter schon wieder Stoßverkehr.
Die Autos, so scheint es, werden wieder mehr. Und die Zahlen bestätigen das Gefühl: In den ersten beiden Wochen der Corona-Beschränkungen ging der Kfz-Verkehr etwa in Wien um 52 Prozent zurück. Mittlerweile liegt er laut Magistrat nur noch rund 30 Prozent unter dem Normalwert.
Anders bei den Öffis: Die Wiener Linien verzeichneten Mitte März einen Fahrgast-Rückgang von 80 Prozent. Zwar wird auch dieses Minus kleiner, aber nicht so stark wie beim Kfz-Verkehr. Aktuell beträgt der Fahrgastschwund immer noch 70 Prozent.
Präzise vergleichbar sind die Zahlen freilich nicht, aber sie zeigen doch eine Tendenz. "Kurzfristig wird nach Corona der Individualverkehr steigen", sagt auch Margaretha Gansterer, Vorständin am Institut für Produktions-, Energie- und Umweltmanagement an der Uni Klagenfurt.
Ohne Kontakt
In der Corona-Krise feiert das Auto ein unerwartetes Revival. Vor allem im städtischen Bereich, wo Kfz durch moderne Verkehrsplanung zurückgedrängt werden und Platz für Radler und Fußgänger geschaffen wird, ist das eine Trendwende.
Derzeit besinnt man sich auf die Vorzüge des Individualverkehrs: Er geht, wie der Name sagt, individuell vonstatten – ohne Kontakt zu anderen. In den Städten hat man darauf in mehrerlei Hinsicht reagiert: Die Kurzparkzonen wurden ausgesetzt.
In Wien verzichteten die Parkgaragenbetreiber sogar auf einen Teil ihrer Einnahmen – und stellten ihre Parkgelegenheiten kostengünstig zur Verfügung. Die Stadt versorgte Ältere mit gratis Taxi-Gutscheinen.
Auch im Nachhall der Krise bleibt der Individualverkehr wichtig. Mit ein Grund dafür: Die Öffis gelangen in einer Zeit, in der das Abstandhalten oberstes Gebot bleiben wird, an ihre Grenzen.
Zuletzt konnten die Wiener Linien noch mit Taktverdichtungen auf die schrittweise Öffnung und das steigende Fahrgastaufkommen reagieren. (Je mehr Busse, Straßenbahnen und U-Bahnen unterwegs sind, desto weniger Passagiere müssen sich schließlich den Platz in den Fahrzeugen teilen.)
Dieser Hebel fällt weg, sobald die Öffis wieder im Normalbetrieb fahren. Die Folge: Sowohl an Haltestellen als auch in den Bussen, Straßenbahnen und U-Bahnen wird es wieder eng. Einen Meter Distanz zu wahren, wird unmöglich. Das geben die Wiener Linien offen zu: "Wenn wieder mehr Fahrgäste unterwegs sind, wird sich das nicht ausgehen", sagt ein Sprecher auf Anfrage.
Mehr Öffis zur Verfügung zu stellen, ist nämlich nur eingeschränkt möglich.
Was Busse und Straßenbahnen betrifft, planen die Wiener Linien "Verstärker". Das sind zusätzliche Fahrzeuge, die den Fahrplan dichter machen. Diese wurden schon in der Vergangenheit "zu Stoßzeiten und speziell im Schulverkehr" eingesetzt, sagt ein Sprecher. Wie man das Konzept künftig ausweitet, wird gerade geprüft.
Nadelöhr Pendlerzüge
Zusätzlich gibt es Gespräche mit Bezirken und Betrieben, um den Unterrichts- bzw. Schichtbeginn in Unternehmen zu staffeln, damit sich die Fahrgäste nicht alle auf einmal in den Öffis drängen. Das betrifft in Wien etwa den stark frequentierten Bus 13A oder Verbindungen zu Produktionsstätten in Liesing.
Eine derartige Strategie ist auch für den Zugverkehr zwischen Wien und Niederösterreich sowie dem Burgenland angedacht: Angestrebt wird eine Entkrampfung der Pendlerzeiten – mithilfe der Arbeitgeber, die sich auf gestaffelte Dienstbeginne einlassen sollten.
Derzeit fahren die S-Bahnen ins Wiener Umland noch auf Sparflamme. Das Problem dabei: Unter Einhaltung der Abstandsregeln seien die Pendlerzüge bereits seit Ostern ausgelastet, heißt es aus der Landespolitik.
Und hier wird es problematisch: Nach diesem Schritt sind auf den Pendlerstrecken der ÖBB keine weiteren Taktverdichtungen mehr möglich. Selbiges gilt für die U-Bahnen. Sie fahren im Normalbetrieb alle 2,5 Minuten – und das ist die Kapazitätsgrenze.
Bei noch dichteren Intervallen entstünde auf den Gleisen ein Stau. Denn die Züge können nur in die Station einfahren, wenn diese frei ist.
Der einzige Ausweg für die Öffis ist der Mund-Nasen-Schutz. Soll heißen: Wenn die Distanz schon nicht gewahrt werden kann, versucht man das Ansteckungsrisiko zumindest mit der Maskenpflicht zu reduzieren.
Ungeliebte Masken
"Die Attraktivität der Öffis ist im Moment stark eingeschränkt", sagt Uni-Professorin Gansterer. Nicht nur wegen der Masken. Die Angst vor der Ansteckung fährt mit. "Wenn die Schulen öffnen und sich Kinder in den Öffis drängen, wird sich so mancher noch unwohler fühlen."
Die Alternative – nämlich nicht in überfüllte Fahrzeuge einzusteigen – führe für den Einzelnen zu längeren Wartezeiten. "All das macht die Öffis weniger ansprechend."
Ist die Rückkehr zum Pkw von Dauer?
Eher nicht, vermutet Gansterer, die auch Mitglied im "Future Operations Clearing Board" ist – eine Plattform von Wissenschaftern, die der Regierung in der Krise ihre Expertise zu Verfügung stellt. "Die Entwicklung zurück zum Auto sehe ich nicht als Trendwende. Weder ökologisch, noch wirtschaftlich."
Nicht zuletzt, weil viele Menschen jetzt sparen müssten. "Autofahren kann teuer sein." Ein Auto zu kaufen erst recht: Die Branche leidet in der Krise massiv. "Dort rechnet man nicht mit positiven Effekten."
Polit-Debatte
Eine Verkehrsdebatte steht jedenfalls bevor – nicht zuletzt bei der Wien-Wahl. Das Bedürfnis nach motorisiertem Individualverkehr steht vor allem den Plänen der
Grünen, mehr verkehrsberuhigte Zonen zu errichten, entgegen. Man dürfe nicht auf Bedürfnisse der Autofahrer vergessen, sagte etwa zuletzt der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) überraschend deutlich.
Ein gelungeneres Miteinander fordert Wiens Standortanwalt Alexander Biach ein: Es brauche "durchdachte Konzepte", damit sich Öffis und Individualverkehr ergänzen. So sollten etwa Pendler weiter ermutigt werden, auf Öffis umzusteigen. "Gleichzeitig darf man aber den Individualverkehr und die Auto-Industrie nicht vergessen, die essenziell für die Stadt sind."
Das große Fragezeichen bei allen Überlegungen bleibt, wie sich das Sicherheitsbedürfnis der Menschen entwickelt. Eine Prognose scheint aber jedenfalls realistisch: Stau am Gürtel wird auch Teil der neuen Normalität sein.
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