Seniorenwohnheime: Ein Wiedersehen am Plauderplatzl
„Gut schaust aus, fit wie ein Turnschuh“, begrüßt Wolfgang Nastl seinen Vater Oskar. Umarmung gibt es aus Sicherheitsgründen keine, dafür einen kleinen Schmäh als Willkommensgruß.
Gemeinsam mit seiner Frau lebt der 90-Jährige im Seniorenwohnheim „Haus Prater “ im 2. Bezirk. Seit Mitte März hatte er keinen direkten Kontakt zu seinen Angehörigen mehr. Telefonate und ein Winken durchs Fenster ausgenommen. Erst am Montag durften sie die beiden endlich wieder treffen.
Als Hochrisikopatienten war es Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen strikt untersagt, Besucher zu empfangen, um eine Infektion mit dem Coronavirus zu verhindern. Auch das Verlassen der Häuser war erheblich eingeschränkt – was wie berichtet auch für Kritik sorgte.
Seit Montag ist wieder ein Stück Normalität eingekehrt. Unter Auflagen sind nun Besuche wieder erlaubt.
Wobei die neue Normalität hier im Haus Prater vielleicht noch etwas gewöhnungsbedürftig ist. Das beginnt beim breitschultrigen Sicherheitsmann, an dem es beim Eingang kein Vorbeikommen gibt, ehe er nicht jeden Besucher nach auffälligen Beschwerden (Husten, Halsweh, Kopfweh) befragt und die Temperatur gemessen hat. Dieser Prozedur müssen sich auch die Mitarbeiter unterziehen. Aber auch die Bewohner, wenn sie das Seniorenheim verlassen haben, was seit 1. Mai wieder uneingeschränkt möglich ist.
Was erlaubt ist
Für die eigentlichen Treffen sind sogenannte „Plauderplatzl“ im Foyer und im Garten eingerichtet: Kleine Tische für zwei Personen mit dem unvermeidlichen Desinfektionsmittel neben der Wasserkaraffe. Und einer Hinweiskarte, wo noch einmal ausgelistet ist, was erlaubt ist und was nicht: Umarmungen sind tabu, nicht aber Berührungen, wenn man sich vorher desinfiziert hat.
Geplaudert wird dann mit dem nötigen Sicherheitsabstand von einem Meter und mit Maske. Grundsätzlich ist ein Besuch nur nach Anmeldung möglich und dauert maximal 45 Minuten.
Mitarbeiter achten darauf, dass diese Regeln auch eingehalten werden. Wobei sie den Auftrag haben, so dezent wie nur möglich aufzutreten. „Wir nennen sie daher auch nicht Kontrollore, sondern Corona-Lotsen. Primär setzen wir aber auf den Hausverstand der Bewohner und Besucher“, sagt Claudio May, Direktor des Hauses, das zum Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser gehört.
Wolfgang und Oskar Nastl scheinen sich damit gut zurechtzufinden: Entspannt setzen sie sich in den Garten und prosten einander mit Wasser zu. Entspannt sehen sie auch die Restriktionen der vergangenen Wochen: „Ich habe die Lage mit Fassung getragen, telefonisch waren wir eh in Verbindung. Wir sehen uns ohnehin das ganze Jahr über“, sagt der 90-Jährige. Für das Besuchsverbot habe er „selbstverständlich“ Verständnis gehabt.
„Wir haben eine Reihe von Begleitmaßnahmen gesetzt, um die Härte des Besuchsverbots so weit wie möglich abzufedern“, sagt May. So seien etwa Tablets verteilt worden, damit die Bewohner wenigstens per Videotelefonie mit ihren Angehörigen verbunden sein konnten. „Ich glaube, insgesamt ist der Leidensdruck vertretbar gewesen“, betont er.
Kritik an Debatte
Zuletzt hatte die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz eine Diskussion angestoßen, ob es Bewohnern zumutbar sei, über so lange Zeit derartigen Einschränkungen unterworfen zu sein. „Die Aussagen der Patientenanwältin haben mich richtig zornig gemacht“, sagt Michael Bicsik, dessen Eltern ebenfalls im Haus Prater leben. „Die Erfahrungen aus anderen Ländern haben gezeigt: Wenn das Virus in Seniorenwohnheime gelangt, kann das die Hölle sein.“ Man dürfe auch nicht vergessen: „Die Bewohner gehören der Kriegsgeneration an, die haben ganz andere Sachen erlebt.“
Bis dato ist das Haus Prater weitgehend von der Pandemie verschont geblieben. Lediglich einer der knapp 400 Bewohner hat sich infiziert, weiters zwei Mitarbeiter. „Das zeigt, dass die strikten Maßnahmen greifen, sagt May.
Ein sorgfältiges Monitoring soll dafür sorgen, dass es nach Lockerung der Besuchssperre möglichst keine weiteren Fälle gibt.
Der Nachholbedarf bei den Angehörigen ist groß. Jeder der 72 stark pflegebedürftigen Bewohner der Stationen bekommt diese Woche mindestens einen Besuch, für den Wohnbereich gibt es 20 Anmeldungen. Wobei die dortigen, wesentlich gesünderen Bewohner theoretisch das Haus verlassen können, um ihre Angehörigen zu treffen.
Wolfgang Nastl ist das zu riskant. Er bittet seinen Vater, auch jetzt noch lieber im Seniorenheim zu bleiben. „Kein Problem“, ist dieser gelassen, „im Garten hier ist es eh viel schöner als auf der Straße“.
Kommentare