Seit einem Jahr Protest gegen Stadtstraße: Eine Zwischenbilanz

Seit einem Jahr Protest gegen Stadtstraße: Eine Zwischenbilanz
Am 27. August 2021 wurden Protestcamps errichtet. Ein Jahr später sind die Bauarbeiten trotzdem im vollen Gange.

Bei der U-Bahn-Station Hausfeldstraße, da wo normalerweise die U2 fährt, sieht man derzeit Bagger, Bohrgeräte und viele Warnwesten. Rund 70 Bauarbeiter sind hier beschäftigt, um an der Untertunnelung für die geplante Stadtstraße Aspern zu werken.

Die 3,2 Kilometer lange Straße wird fast zur Hälfte untertunnelt, der Rest wird zwei bis drei Meter tiefgelegt. „Um die Anrainer vor Lärm zu schützen“, wie Projektleiter Franz Urban sagt. Generell ist man bei der Baustellenführung am Mittwoch bemüht, die Achtsamkeit in Bezug auf Mensch und Tier hervorstreichen.

So soll die Baustelle möglichst staubfrei gehalten werden – die Baustellenausfahrten werden zum Beispiel regelmäßig nass gereinigt, dort gibt es auch Reifenwaschanlagen für Lkw. Die angrenzende Kleingartensiedlung wurde mit Lärmschutzwänden ausgestattet, und für die ansässige Fledermauskolonie wurden im Hirschstettner Aupark 20 Fledermauskästen montiert.

Seit einem Jahr Protest gegen Stadtstraße: Eine Zwischenbilanz

Die Bauarbeiten in der Hausfeldstraße.

Die Charmeoffensive ist auch notwendig. Die Stadtstraße hat schließlich ein bewegtes Jahr hinter sich. Vor rund einem Jahr – Ende August 2021 – besetzten Klimaaktivisten der „Lobau-bleibt“-Bewegung die Baustelle bei der Hausfeldstraße und räumten monatelang nicht das Feld. Bis die Polizei im Februar ausrückte und dem Protest ein Ende machte. Die in der Mitte errichtete Pyramide wurde abgerissen, fast 50 Aktivisten festgenommen.

Verhärtete Fronten

Der Konflikt zwischen der Stadt unter Federführung von Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) und den Klimaschützern hatte sich in den Wochen davor immer weiter zugespitzt. (siehe Chronologie). Beide Seiten erklärten immer wieder, gesprächsbereit zu sein, einen Konsens fand man nie. Einen Tiefpunkt stellte ein mutmaßlicher Brandanschlag auf das Protestcamp im Dezember dar.

Die Fronten sind nach wie vor verhärtet (siehe Interviews mit Ulli Sima und Lena Schilling). Für Politik-Berater Thomas Hofer steht fest: Obwohl die Stadtstraße gebaut wird, gehen die Klima-Aktivsten rund um die 21-jährige Lena Schilling gestärkt aus dem Konflikt hervor. „Andere Umweltschützer haben das Projekt über viele Jahre bekämpft, ohne dass sie eine breitere Öffentlichkeit kennt.

Schilling hingegen hat es durch die Proteste geschafft, eine Persönlichkeit mit hohem Bekanntheitsgrad zu werden. Dadurch wurde das Thema auf einen höheren Level gehoben.“

Hofer ortet aber auch negative Begleiterscheinungen der Proteste: „Die Methoden gehen immer weiter in Richtung Eskalation, der Aggressionspegel steigt.“ Er meint damit etwa die Störaktion der Aktivsten am Dienstag bei der Praterstern-Eröffnung, bei der Sima beinahe schon tätlich behelligt wurde, oder die jüngsten Proteste, bei der sich Klimaschützer an der Fahrbahn festklebten. „Es stellt sich hier die Frage: Was ist noch zulässig? An welchem Punkt kann die Situation kippen?“, gibt Hofer zu bedenken.

Wenig schmeichelhaft fällt sein Zeugnis für Sima und die Wiener SPÖ aus: „Dass auch gegen Jugendliche Klagsdrohungen eingebracht wurden, hat der SPÖ eine desaströse PR eingebracht, die weit über Wien hinausgeht“, sagt der Experte. Vor allem sei die im rot-pinken Regierungsprogramm festgeschriebene Strategie, sich als „Klimamusterstadt“ zu positionieren, durch dieses Vorgehen untergraben worden.

Hohe Zustimmung

Freilich: Laut Hofer wäre es noch desaströser gewesen, die SPÖ hätte sich von der Nordostumfahrung verabschiedet. Schließlich sei die Mehrheit der Bevölkerung für das Straßenprojekt, genauso wie die gewichtigen parteiinternen Ludwig-Unterstützer in den Flächenbezirken im Nordosten Wiens.

Das zeigen auch die Ergebnisse einer OGM-Meinungsumfrage für den KURIER im Februar: 61 Prozent der Wiener sprachen sich für den Bau der Stadtstraße aus, in den Bezirken Floridsdorf und Donaustadt lag der Wert sogar bei 75 Prozent.

Der Polit-Berater kann sich vorstellen, dass das Thema noch eine mitentscheidende Rolle bei den nächsten Koalitionsverhandlungen auf Bundesebene spielen könnte.

Ganz ohne Klimaschutz geht es derzeit weder in der Politik, noch auf einer Baustelle für eine Straße. Es kämen nur umweltschonende Geräte zum Einsatz, erklärt Urban. „Wir haben hier die modernsten Geräte Europas.“ bedienen dürfen sie darum auch nur Spezialisten, Fehler wären zu kostspielig.

Taucher am Werk

Wie hoch die Expertise ist, die für die Untertunnelung gebraucht wird, erklärt Urban anhand eines Beispiels: 2023 muss ein Industrietaucher kommen, der in vollkommener Dunkelheit die Zaunpfähle inmitten des Grundwassers reinigt. In ganz Europa gebe es nur eine Handvoll Menschen, die dazu in der Lage sind. Auch beim Material ist man wählerisch: bei der Betonvermörtelung werden rund 32.000 Tonnen Zementklinker eingespart. Die dadurch eingesparte Menge an CO2 entspricht in etwa 23.000 Flügen von Wien nach New York.

Am Freitag wird das Baufeld wieder an die Wiener Linien übergeben, dann können wieder Gleise montiert werden. Ab 5. September kann die U2 dann wieder in die Seestadt fahren.

Die Bauarbeiten für die Stadtstraße sind dann aber noch lange nicht abgeschlossen, die Fertigstellung ist für Mitte 2026 geplant. Sofern keine Proteste den Baufortschritt verzögern, denn noch lagern Aktivisten in einem Camp in der Anfanggasse.

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