Rot-Pink in Wien in der Halbzeit-Analyse

Einen Anstrich von Transparenz wollte sich die rot-pinke Stadtregierung verpassen, als sie Anfang 2021, wenige Monate nach ihrem Stapellauf, den Regierungsmonitor präsentierte. Auf einer Website lässt sich überprüfen, welches der mehr als 800 im Regierungsprogramm vereinbarten Projekte in Planung, in Umsetzung oder schon abgeschlossen ist.
Jetzt, zur Halbzeit der Regierungsperiode, würden bereits mehr als 650 in die zweite und dritte Kategorie fallen, feiern sich SPÖ und Neos. Klingt beeindruckend. Ein näherer Blick auf den Monitor lässt jedoch Zweifel aufkommen, ob er aussagekräftige Rückschlüsse auf den Arbeitseifer der Stadträte zulässt. Ein Beispiel: Kleine, rasch umsetzbare Vorhaben sind gleichrangig neben Großprojekten aufgelistet, die sich über Jahre erstrecken.
Auch ohne Monitor ist es nicht gerade einfach, eine Zwischenbilanz über die „Fortschrittskoalition“ zu ziehen. War doch ihre Amtszeit noch bis vor wenigen Monaten von der Corona-Krise dominiert, die dann von der Inflationskrise abgelöst wurde.
Parkpickerl:
Lange war die Parkraumbewirtschaftung in Wien ein unübersichtlicher Fleckerlteppich. Mit der Ausweitung auf die fünf noch verbliebenen pickerlfreien Bezirke gibt es seit März 2022 eine wienweit weitgehend einheitliche Regelung. Nebeneffekt: Mehreinnahmen von 50 Millionen Euro für die Stadt allein im Vorjahr.
Raus aus Gas:
Bis zum Jahr 2040 soll in Wien kein Gebäude mehr mit Öl oder Gas, sondern nur mehr mit klimaneutralen Energieträgern geheizt werden. Erste Details dazu wurden bei einer Klausur im Jänner beschlossen. Mit einem neuen Wärmeplan etwa wird geklärt, welche Technologie bei der Umrüstung jeweils zum Zug kommen soll.
Spitäler-Modernisierung:
Im Vorjahr wurden Details zu der seit Jahren überfälligen Sanierung der zum Teil schon sehr maroden Gemeindespitäler fixiert. Das Programm läuft bis 2040. Die Kosten lassen sich aufgrund der aktuell sehr schwierigen Rahmenbedingungen nur vage abschätzen. Sie könnten sich aber auf bis zu acht Milliarden Euro belaufen.
Reform U-Kommission:
Nach Vorbild des U-Ausschusses im Nationalrat wurden die Rechte der Oppositionsparteien in dem Gremium des Gemeinderats (etwa bei der Ladung von Zeugen) erweitert. Erstmals zum Einsatz kamen die neuen Regeln bei der noch laufenden U-Kommission zur Causa Wien Energie.
Stadtrechnungshof:
Auch dieses Kontrollgremium wird reformiert. Es wird aus dem Magistrat ausgegliedert und bekommt mehr Kompetenzen. Der Stadtrechnungshof darf künftig u. a. in die Parteikassen schauen.
Immerhin: Das über weite Strecken strenge Pandemie-Management brachte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) laut Umfragen viel Zuspruch in der Bevölkerung. Wenngleich rückblickend schwer feststellbar ist, ob der restriktive „Wiener Weg“ die Stadt tatsächlich besser durch die Pandemie gebracht hat. Erst kürzlich stellte etwa der Rechnungshof den Nutzen des groß angelegten, teuren Wiener Testprogramms „Alles gurgelt“ infrage.
Richtig ins strategische Dilemma geriet Ludwig aber erst mit der Teuerungskrise. Es gelang nicht wirklich, schlüssig zu erklären, warum die SPÖ auf Bundesebene von der Regierung mehr Maßnahmen gegen die Teuerung fordert, während in Wien die Gemeindebau-Mieten, vor allem aber die Energiepreise ungebremst in die Höhe schnellen. Hilfen in Form von Einmalzahlungen können diesen Widerspruch nur bedingt auflösen.
Außer Tritt
Schwer außer Tritt geriet Ludwig im vergangenen Sommer mit der Causa Wien Energie. Für die Öffentlichkeit völlig überraschend wurde bekannt, dass der städtische Energieversorger von Stadt und Bund Finanzhilfe in Milliardenhilfe benötigt. Die Causa handelte der Koalition eine U-Kommission ein und legte zumindest massive Schwächen im Krisenmanagement von Stadt und Stadtwerken frei.
Autofreie Innenstadt
Die Weichen für das Projekt wurden eigentlich schon vor der Gemeinderatswahl 2020 gestellt. Laut Regierungsprogramm sollte die weitgehende Verkehrsberuhigung 2022 umgesetzt werden. Das scheitert bis dato daran, dass das Verkehrsministerium kein grünes Licht für die nötigen rechtlichen Änderungen gegeben hat.
Reform der Spitäler
Seit Jahren wird an einer Umwandlung des Gesundheitsverbundes in eine Anstalt Öffentlichen Rechts
gearbeitet. Damit sollen Spitäler in Finanz- und Personalfragen freie Hand erhalten, was sie effizienter machen soll. Aufgrund der
Coronakrise wurde die Reform allerdings auf die lange Bank geschoben.
Kindergesundheit
Das Regierungsprogramm sieht den Testbetrieb eines Kompetenzzentrums für chronisch kranke Kinder vor. Konkrete Details sind bis dato nicht bekannt. Dafür wurden die Weichen
für neue Kinder-Primärversorgungseinheiten gestellt. Seit Kurzem sind neun Stellen ausgeschrieben.
Kürzere Bus-Intervalle
„Verdichtung der Intervalle und Verlängerung der Betriebszeiten“, steht im Regierungsmonitor zum Thema Öffi-Busse. Tatsächlich schlug das Pendel wegen Personalnot zuletzt in die andere Richtung: Bei Bus und Bim mussten die Intervalle sogar verlängert werden. Im Herbst soll wenigstens wieder der Normalzustand hergestellt werden.
Stadtseilbahn
Es ist eines der kurioseren Projekte, das auf Wunsch der Neos ins Regierungsprogramm kam: Eine Stadtseilbahn, die das Otto-Wagner-Areal erschließen soll. Doch nicht einmal die eigentlich bis 2022 geplante Machbarkeitsstudie ist erfolgt.
Das lässt sich wohl auch über Ludwigs Agieren im endlosen SPÖ-Führungsstreit im Bund sagen. Statt (wie von vielen gefordert) als stärkster Landeschef moderierend und ausgleichend einzugreifen, ist Wiens SPÖ-Obmann aufgrund seiner Differenzen mit Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil längst selbst wesentlicher Teil des Konflikts geworden. Ludwig hielt bis zuletzt an Pamela Rendi-Wagner fest – unverständlich, sagen viele Genossen.
Die Auswirkungen reichen bis nach Wien: Die von Ludwig angekündigte eigene Halbzeitbilanz samt möglicher personeller Rochaden in der Stadtregierung lässt sich im Schatten des wohl noch länger tobenden Machtkampfs schwerlich umsetzen.
Ein Bick zur Opposition:
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Und die Neos? Als Juniorpartner mit gerade 7,5 Prozent haftet ihnen spätestens seit der Causa Wien Energie das Image des Beiwagerls der übermächtigen SPÖ an. Wie mittlerweile bekannt ist, wurde Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr damals erst nachträglich über den ersten Finanz-Zuschuss für das Unternehmen informiert.
Mit dem Bildungsressort hat Wiederkehr ein wichtiges, aber undankbares Ressort übernommen. Projekte dort (etwa Personal-Aufstockungen) lassen sich weit schwerer öffentlichkeitswirksam in Szene setzen als etwa die seinerzeitigen grünen Errungenschaften im Verkehrsressort. Zudem ist die Bildungspolitik stark vom Bund abhängig, weiters hat Wiederkehr rote Altlasten geerbt – allen voran in der Problembehörde MA 35 (Einwanderung).
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Immerhin bestand er eine nicht unwesentliche Kraftprobe mit dem Koalitionspartner: Die Ablöse der nach einem Missbrauchsverdacht untragbar gewordene Chefin der städtischen Kindergärten gegen den Willen der SPÖ. Mit Ausnahme solcher Episoden wird das innerkoalitionäre Verhältnis aber durchwegs als gut beschrieben.
Selbst sehen sich die Pinken vor allem beim Thema Klimaschutz als „Motor der Koalition“, der die in diesem Bereich eher zögerlichen SPÖ dazu gebracht hat, ambitionierte Projekte wie den Gas-Ausstieg bis 2040 anzugehen. Ob es dann noch einen Regierungsmonitor gibt, der den Abschluss dieses Projekts anzeigt, ist hingegen ungewiss.
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