Rot-Pink: Die Pläne von Ludwig und Wiederkehr
Fünf Tage ist es her, da haben Michael Ludwig und Christoph Wiederkehr ihre rot-pinke Koalition für Wien verkündet. Das riesige Punschkrapferl, das der Bürgermeister dabei als Geschenk übergab, ist noch nicht aufgegessen – und wurde anlässlich des ersten Doppelinterviews der beiden im Rathaus in Stücke geschnitten.
KURIER: Herr Bürgermeister, das Punschkrapferl ...
Michael Ludwig: Wollen Sie ein Stückerl? Wir haben welche hergerichtet.
Danke, später gerne. Zuerst aber die Frage: Das Punschkrapferl galt früher als Symbol für die Kärntner SPÖ – außen rot, innen braun, gefüllt mit Alkohol. Wie kamen Sie auf die Idee, ausgerechnet dieses Symbol für die Koalition zu verwenden?
Ludwig: Der Vergleich hat noch nie gestimmt. Ich habe das Punschkrapferl neu gedeutet. Es ist süß, außen mit viel Pink und nur ein bissi rot oben an der Spitze. Eine Geste, dass wir unabhängig von unserem Stärkeverhältnis im Gemeinderat auf Augenhöhe verhandelt haben.
Christoph Wiederkehr: Ich habe mich bei der Sondierung sehr über die Punschkrapferl gefreut. Viel wichtiger war, dass die Gespräche gut waren. Konstruktiv, mit einer klaren Vision.
Man hört, Sie beide seien immer noch per Sie.
Ludwig: Ja. Wir sind nicht verhabert, sondern haben hart gearbeitet. Wir werden das mit dem Du-Wort ändern, wenn es im geselligeren Rahmen die Möglichkeit gibt. Also nicht hier, wenn Sie dabei sind.
Zentral in Ihrem Koalitionsprogramm sind ein Klimagesetz und ein Klimabudget. Beides ist schwer in der Umsetzung und in der Kontrolle. Fürchten Sie nicht, dass das ein Papiertiger bleibt?
Wiederkehr: Nein. Es ist ja nicht nur das Klimaschutzgesetz, mit dem wir bis 2040 CO2-neutral werden wollen, sondern wir haben konkrete Maßnahmen budgetiert. Wir wollen etwa 25.000 Bäume pflanzen und mehr Radwege.
Die CO2-Emissionen im Verkehr sollen bis 2030 halbiert und der öffentliche Raum soll neu verteilt werden. Die SPÖ ist oft auf der Bremse gestanden, wenn es darum ging, Autofahrern etwas wegzunehmen. Woher der Sinneswandel?
Ludwig: Das stimmt nicht. Die SPÖ hat bereits vor 20 Jahren mit einem Klimaschutzprogramm begonnen. Und jetzt gehen wir gemeinsam den nächsten Schritt.
Alle Experten erklären, dass neue Straßen zu mehr Verkehr führen. Wie passen der Bau der Stadtstraße Aspern und des Lobautunnels mit den Klimazielen zusammen?
Ludwig: Es hat Gründe, warum wir die Nordostumfahrung so vorangetrieben haben. Wir wollen die Bevölkerung vom Durchzugsverkehr entlasten. Und wir wollen dort Betriebsansiedlungen und Wohnbauprojekte realisieren. Ein sehr ökologischer Gedanke. Was wäre die Alternative? Dass wir das gesamte Wiener Umland weiter zersiedeln.
Wiederkehr: Wir wollen in den Außenbezirken auch den öffentlichen Verkehr verstärken und prüfen die Etablierung eines S-Bahn-Rings.
Dem Klima ist es, salopp gesagt, egal, ob die Emissionen in den Innenstadtbezirken oder auf der Umgehungsstraße entstehen.
Ludwig: Aber den Menschen ist es nicht egal. Ich bin sehr für Klimaschutz. Aber ich bin auch dafür, dass die Menschen geschützt werden.
Bisher waren die Grünen für das umstrittene Thema Verkehr zuständig. Jetzt übernimmt Stadträtin Ulli Sima von Birgit Hebein. Was soll Sima besser machen?
Ludwig: Sie ist eine durchsetzungsstarke, erfahrene Politikerin. Ich will das Thema Verkehr umdeuten, das erschöpft sich ja nicht in der Kontroverse Radfahrer gegen Autofahrer. Ulli Sima soll gemischte Formen der Mobilität vorantreiben und alle Bereiche, auch die Öffis, mitdenken.
Aber warum haben Sie Sima dann ausgerechnet die Zuständigkeit für die Wiener Linien entzogen?
Ludwig: Weil ich die Stadtwerke nicht trennen wollte, die jetzt bei Finanzstadtrat Peter Hanke ressortieren. Es wird bei vielen Themen Zusammenarbeit zwischen den Ressorts brauchen.
Das Konzept der Begegnungszonen sucht man im Programm vergeblich. Eine bewusste Abkehr von einem grünen Konzept?
Wiederkehr: Sie finden stattdessen das Wort Verkehrsberuhigung. Wir wollen pragmatische, lösungsorientierte Politik. Dafür muss man sich am jeweiligen Ort anschauen, wie man am besten dorthin kommt – etwa mit einem gesamthaften Konzept für die Innere Stadt, das wir in den nächsten zwei Jahren vorlegen wollen.
Herr Bürgermeister, wie lange hat Ihre Schadenfreude darüber angehalten, dass Sie sich mit den Neos jetzt auf die Verkehrsberuhigung der Inneren Stadt geeinigt haben, nachdem Birgit Hebein daran gescheitert ist?
Ludwig: Ich war immer für eine Verkehrsberuhigung. Ich bin nur gegen eine autofreie City, weil das nicht realisierbar ist. Es ist für mich wichtig, dass es hier eine ernsthafte Lösung gibt.
Der Anteil der Radwege an der Verkehrsfläche soll auf zehn Prozent steigen – eine Verzehnfachung. Wie soll das gelingen?
Wiederkehr: Das Budget dafür wurde auf 20 Millionen Euro erhöht, also vervierfacht. Diese Summe ist für 2021 budgetiert, wir werden zügig beginnen. Es braucht aber eine gesamtheitliche Planung, weil Mobilität ist nicht nur Radfahren. Es soll eine Verkehrspolitik geben, bei der Verkehrsteilnehmer nicht gegeneinander ausgespielt werden. Man kann Anreize schaffen, auf die Öffis umzusteigen, etwa mit dem geplanten Ausbau der Straßenbahnlinien über die Stadtgrenzen hinaus.
Beim Kapitel Bildung handelt es sich im Wesentlichen um die Fortführung der bisherigen SPÖ-Konzepte. Warum konnten Sie in dem Bereich, für den Sie jetzt zuständig sind, keine stärkeren Akzente setzen?
Wiederkehr: Es geht nicht darum, gegeneinander zu arbeiten. Man muss auf dem Guten aufbauen, das es gibt – etwa auf der Gratis-Ganztagsschule. Und zwar mit einem zusätzlichen Budget von 120 Millionen Euro, mit dem wir zum Beispiel die Sprachförderkräfte in den Kindergärten von 300 auf 500 erhöhen.
Wie soll Ihr „klares Reformkonzept für Deradikalisierung“ aussehen, das Sie angekündigt haben?
Wiederkehr: Es geht einerseits um die Schulen, in denen man früher Radikalisierungstendenzen erkennen muss, um betroffene Kinder wieder auf die Spur zu bringen. Ein weiterer Bereich sind die Gefängnisse. Hier ist aber der Bund gefragt.
Wir hören ständig von Bereichen, in denen Sie die Mittel aufgestockt haben – beim Klima, beim Verkehr, bei den Schulen. Wo wird denn im Gegenzug eingespart?
Wiederkehr: Jetzt, in der Krise, muss investiert werden. Über den Konjunkturzyklus hinweg muss dann wieder ein ausgeglichenes Budget möglich sein. In vielen Bereichen, etwa bei der Bildung, werden unsere Investitionen mittelfristig für Einsparungen sorgen.
Das Nulldefizit ist in weite Ferne gerückt.
Ludwig: Wien hatte ein ausgeglichenes Budget – im Gegensatz zu jenen, die immer davon reden. Durch die Corona-Krise kommt es jetzt zu großen Ausfällen bei den Einnahmen bei allen Städten und Gemeinden unseres Landes. Das Ein-Milliarden-Paket, das die Bundesregierung für die Gemeinden in diesem Zusammenhang geschnürt hat, ist da kein adäquater Ausgleich. Da erwarte ich mir vom Bund eine entsprechende Abgeltung der Corona-Kosten.
Sie haben zuletzt angemerkt, dass der Gesundheitsstadtrat auf die Kostendynamik in seinem Ressort achten muss. Was erwarten Sie von ihm?
Ludwig: Dass es einen Kostendämpfungspfad gibt, der eingehalten wird. Es ist klar, dass die Dynamik in den Bereichen, die er zu verantworten hat, also Gesundheit und Soziales, groß ist. Es ist daher das Ressort mit dem größten Budget. Und wir werden das Gesamtbudget nicht über die kleinen Ressorts stabilisieren können, sondern über jene, in denen die großen Beträge liegen.
Vor der Wahl haben sich beide Parteien für kostenfreie Schwangerschaftsabbrüche in städtischen Spitälern ausgesprochen. Warum findet sich davon nichts im Koalitionspakt?
Wiederkehr: Im Programm steht eine verstärkte Möglichkeit, die Entscheidungsfreiheit der Frauen in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist wichtig und das ist viel mehr als in anderen Bundesländern, wo das oft gar nicht möglich ist. Wir werden uns das noch mit dem zuständigen Stadtrat anschauen.
Die Grünen sind auf dem Selbstzerstörungstrip. Bestätigt Sie das in Ihrer Entscheidung, Rot-Grün nicht fortzusetzen, Herr Bürgermeister?
Ludwig: Ich kommentiere Personalentscheidungen anderer Bewegungen nicht. Ich führe in meiner Partei Diskussionen. Für die Diskussionen in anderen Parteien bin ich nicht zuständig. Und Rot-Pink war keine Entscheidung gegen eine andere Partei, sondern eine Entscheidung für etwas Neues. Unsere sozialliberale Koalition könnte ein Vorbild für andere Gebietskörperschaften sein.
Sie haben stets betont, wie gut Sie sich mit Birgit Hebein verstehen. Tut es Ihnen leid, dass sie kein Amt mehr hat?
Ludwig: Wir sind nicht pragmatisiert in der Politik. Wir dürfen in unseren Funktionen viel umsetzen. Aber das Gute an der Demokratie ist, dass diese Macht zeitlich begrenzt ist. Manchmal kommt das Ende überraschend.
Das Verhältnis zwischen Stadt und Bund war vor der Wahl nicht das beste. Ist Rot-Pink das Gegenmodell zu Türkis-Grün? Oder wird man wieder einen Schritt aufeinander zugehen?
Ludwig: Wir sind immer auf den Bund zugegangen. Wir haben in der Corona-Krise alle Maßnahmen der Bundesregierung umgesetzt, wir wollten nur rechtzeitig informiert werden. Das ist nicht passiert. Auch bei den Massentests werden wir wieder vom Kanzler vorab aus den Medien erfahren, was passiert – und am Schluss erst werden jene informiert, die die Maßnahmen umsetzen. Vor allem, wenn sie nicht der ÖVP angehören. Leider ist die Zahl der Infizierten in Österreich mittlerweile die weltweit höchste. So gut kann die Managementqualifikation der Bundesregierung also nicht sein. Es wird zu wenig auf Experten gehört.
Herr Wiederkehr, Sie haben im September dem SPÖ-Gesundheitsstadtrat Peter Hacker im Corona-Management „Tatenlosigkeit “ vorgeworfen und den Stadtrechnungshof eingeschalten. Gilt Ihr Befund heute noch?
Wiederkehr: Dass in Wien das Contact Tracing verbessert werden musste, war offensichtlich. Es wurden inzwischen viele Maßnahmen getroffen, um das Personal aufzustocken. Mittlerweile sind in Wien die Fallzahlen stabil. Man wird noch weitere Bemühungen treffen müssen. Dass die Pandemie so aus dem Ruder gelaufen ist, hängt vor allem mit dem Versagen der Bundesregierung zusammen.
War der harte Lockdown zum jetzigen Zeitpunkt eine richtige oder eine falsche Entscheidung?
Ludwig: Er wurde notwendig, aber wir hätten gar nicht in diese Situation kommen müssen. Und er war nicht durchdacht. Etwa die Schließung der Schulen, gegen die sich alle ausgesprochen haben außer dem Kanzler, der nur beweisen wollte, dass er sich – auch gegen seine eigenen Minister – durchsetzen kann.
Wiederkehr: Alle Experten sagen, dass der Unterricht weiter möglich wäre. Ich wäre dafür, dass die Schulen offen sind und unterrichtet wird. Was hier passiert, ist eine türkise PR-Show.
Michael Ludwig
Er wurde 1961 geboren und wuchs in einem Gemeindebau in Floridsdorf auf. Er studierte Politikwissenschaft und Geschichte. 1984 begann er, als Kurs- und Projektleiter in der Erwachsenenbildung zu arbeiten. 1994 wurde Ludwig Bezirksrat. Nach Stationen im Bundesrat und Gemeinderat folgte er 2007 Werner Faymann als SPÖ-Wohnbaustadtrat nach. Anfang 2018 siegte er in einer Kampfabstimmung gegen Andreas Schieder um den Vorsitz der Wiener SPÖ. Einige Monate später wurde er als Nachfolger von Michael Häupl zum Wiener Bürgermeister gewählt.
Christoph Wiederkehr
Geboren 1990 in Salzburg, studierte der ehemalige Schulsprecher Jus und Politikwissenschaft in Wien – letzteres hat er inzwischen mit dem Master-Titel beendet. Daneben war er Mitarbeiter am Verfassungsgerichtshof. Während des Studiums engagierte er sich für die studentische Neos-Vorfeldorganisation Junos, deren Team er drei Jahre lang leitete. Als die Neos 2015 in das Wiener Rathaus einzogen, wurde er Gemeinderat. Nach dem Wechsel von Beate Meinl-Reisinger in den Bund übernahm er im Herbst 2018 die Landespartei.
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