Pühringer: "Die Grünen haben verhindert und verzögert"
Am 16. Oktober will Judith Pühringer zur Wiener Grünen-Chefin aufsteigen – und die Ära Birgit Hebein am liebsten hinter sich lassen. Der KURIER traf sie zum Gespräch im Boutiquehotel nahe der Wiener Stadthalle.
KURIER: Wir treffen uns auf Ihren Vorschlag hin im 15. Bezirk. Welche bekannte Ex-Politikerin verbinden Sie denn mit dem Bezirk?
Judith Pühringer: Das wäre wohl Birgit Hebein. Mir fällt aber noch viel anderes ein. Etwa, dass er der ärmste aller Bezirke ist. Dass ich hier 15 Jahre lang gearbeitet und viele engagierte Menschen kennengelernt habe. Und dass sich hier ein Lebensprojekt von mir befindet: Wir haben in der Herklotzgasse die Geschichte der jüdischen Community aufgearbeitet, die nicht dokumentiert war.
Vor einem Jahr war Birgit Hebein noch Grünen-Chefin und hat Sie in die Politik geholt – jetzt ist Hebein abmontiert und Sie selbst sitzen auf ihrem Platz. Im Alten Rom hätte man gesagt: Auch du, mein Sohn Brutus!
Birgit Hebein hat die Partei geöffnet und hat mich zu den Grünen eingeladen. Dafür bin ich ihr dankbar. Sie hat sich für die Partei sehr stark und kompromisslos eingesetzt.
War Sie zu kompromisslos?
Sie war sehr kompromisslos.
Sind Sie in Kontakt mit Ihr?
Momentan nicht.
Sie wollen in Ihrer Partei künftig eine "gute Abschiedskultur" verankern. Das heißt: Wer kein Amt mehr hat, soll still sein.
Nun ja. Auch das kann es heißen. Aber es geht um mehr. Führung ist eine Dienstleistung an der Organisation. Dafür wollen wir ein Leitbild erstellen und in der Partei ein bisschen durchlüften.
Hebein hat bei ihrem Parteiaustritt deutliche Kritik an der grünen Politik im Bund geübt. Teilen Sie diese Kritik?
Wir sind eine vielfältige Partei. Wir lassen es zu, dass Meinungen frei und vielfältig geäußert werden.
Wirklich? Man hat gerade im Bund nicht das Gefühl, dass die Grünen sehr meinungsstark gegen die ÖVP auftreten – etwa in Sachen Asyl.
Es ist wichtig, dass wir in der Regierung sind. Wir haben mit Alma Zadic eine Justizministerin, die dafür sorgt, dass die unabhängige Justiz keinen stillen Tod stirbt. Und Klimaministerin Leonore Gewessler hat mit dem Klimaticket gerade erst ein historisches Projekt umgesetzt.
Sie sind aber auch Teil einer Regierung, die sich damit rühmt, trotz Machtübernahme der Taliban nach Afghanistan abschieben zu wollen.
Es ist eine Katastrophe, was dort passiert. Wir müssten Menschen, die in Afghanistan für die Demokratie gekämpft haben, aufnehmen. Aber Politik ist immer ein Ringen um Kompromisse.
Beim Lobautunnel und der Stadtstraße wirken Sie relativ kompromisslos – und drohen mit Widerstand. Wo war dieser Widerstand in den vergangenen zehn Jahren, als die Grünen in der Stadtregierung waren?
Die Grünen haben in den letzten zehn Jahren in der Regierung erfolgreich verhindert und verzögert, dass die Stadtautobahn gebaut wird. Jetzt sind wir in Opposition.
Verstehe ich Sie richtig: Dass große Projekte nicht zustande kamen, war eine bewusste Verzögerungstaktik der Grünen als Regierungspartei?
Die Grünen haben während ihrer Regierungszeit verhindert, dass in Wien Autobahnen gebaut werden.
Die Grünen haben sich aber nie getraut, offen gegen die SPÖ aufzutreten.
Es wurde viel diskutiert. Wir sind es der jungen Generation schuldig, dass Projekte wie der Lobautunnel, die vor 20 Jahren geplant wurden, hinterfragt werden. Die SPÖ bleibt das den jungen Menschen schuldig. Das ist unterlassene Hilfeleistung.
Was sagen Sie zu dem Argument, dass die Projekte für die Menschen in betroffenen Gebieten nötig sind, damit sie nicht im Verkehr ersticken?
Ich verstehe, dass die Menschen, die dort leben, nicht im Stau stehen wollen und ein Mobilitätskonzept fordern, das ihren Lebensbedürfnissen entspricht. Es wird einen Anschluss geben müssen. Die Frage ist, ob es eine vierspurige Stadtautobahn sein muss.
Sie mögen ja Kompromisse. Wie sieht Ihr Vorschlag aus? Eine zweispurige Straße?
Es liegen viele Konzepte auf dem Tisch, wie man das Projekt redimensionieren und den Öffi-Verkehr stärker mitdenken kann. Man könnte Straßenbahnen-Linien verlängern und miteinander verbinden, stillgelegte Linien wieder aufnehmen und Fahrrad-Highways bauen.
Die Lobau bleibt vom Tunnel unberührt – er verläuft in 60 Metern Tiefe unter dem Naturschutzgebiet.
Experten sagen etwas anderes. Wir kennen die Auswirkungen des Projekts auf das Grundwasser und auf das Ökosystem nicht. Abgase werden trotzdem ausgestoßen. Das ist verantwortungslos.
Die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler unterzieht den Tunnel derzeit einem Klima-Check. Keiner weiß, wie dieser inhaltlich abläuft. Wissen Sie es?
Das Thema liegt beim Ministerium. Ich habe Vertrauen in die Expertise dort.
Wann ist er fertig?
Das weiß ich nicht.
Wenn Sie so großes Vertrauen in die Expertise des Ministeriums haben: Kann ich davon ausgehen, dass Sie Ihren Widerstand gegen den Tunnel aufgeben, falls das Ministerium sein Okay gibt?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das passiert.
Aber was, wenn doch? Folgen Sie dann der Empfehlung Ihrer Ministerin?
Nein. Wir werden den Tunnel hinterfragen und diskutieren.
Mit wem?
Ich würde mich da leidenschaftlich mit der Ministerin auseinandersetzen. Dieser Bau ist ein schwerer Fehler.
Sie wollen mit Peter Kraus die Grünen übernehmen – als Doppelspitze. Warum so ein konfliktträchtiges Modell?
Es ist ein innovatives Modell. Wir wollen miteinander die besseren Entscheidungen treffen, Macht und Verantwortung gemeinsam tragen. Wir schlagen ein neues Kapitel auf.
Das ist nötig?
Wenn man nach zehn Jahren von der Regierung in die Opposition wechselt, beutelt es einen durch. Es war ja nicht unsere Entscheidung, sondern die von Michael Ludwig, der sich mit den Neos den bequemeren Partner gesucht hat. Jetzt nehmen wir eine bewusste Neuaufstellung vor.
Wenn Sie sich in wichtigen Fragen nicht einig werden, was tun sie dann? Knobeln?
Nein, wir diskutieren. Damit wollen wir ein Zeichen für eine neue politische Kultur setzen, in der die Kooperation im Mittelpunkt steht. Das ist ein neues Grundprinzip.
Bei der nächsten Wahl muss aber einer als Spitzenkandidat ganz vorne stehen.
Wer das sein wird, werden wir rechtzeitig innerhalb der Partei wählen lassen.
Sie betonen immer wieder, wie wichtig starke Frauen an der Spitze einer Partei sind. Wäre es denkbar, dass ein Mann die Wiener Grünen in eine Wahl führt?
Die bestgeeignete Person soll das übernehmen. Aber ich bin leidenschaftliche Feministin und wünsche mir Frauen in Führungsrollen.
Sie waren als Geschäftsführerin von "arbeit plus" lange in einer NGO tätig. Warum der Wechsel in die Politik?
Am Ende muss man als NGO immer an die Politik appellieren. Irgendwann wollte ich diesen Seitenwechsel vollziehen und meinen Teil beitragen, dass etwas passiert.
Was nehmen Sie aus Ihrer Vergangenheit mit?
Die Geschichten der Menschen, der Langzeitarbeitslosen. Ich habe viel Not und Verzweiflung gesehen. Es ist hart, wenn man Menschen sagt "Du bist zu alt, zu krank, wir brauchen dich nicht".
Die Arbeitswelt ändert sich, nicht zuletzt durch Digitalisierung und Automatisierung.
Ja, da gibt es ein Marktversagen. Also muss der Staat einspringen – mit Förderungen, Unterstützungen, öffentlichen Vergaben. Wir werden neue Jobs brauchen.
Welche Jobs sind das?
Das sind vor allem grüne Jobs – bei der Grünraumbewirtschaftung, in der Kreislaufwirtschaft. Auch in Schulen fehlt Personal. Es gibt in Österreich tolle soziale Unternehmen, die staatliche Förderungen erhalten und wichtige Produkte und Dienstleistungen für den Markt erzeugen.
Klingt teuer.
Volkswirtschaftlich rechnet sich das. Lange Arbeitslosigkeit hat einen hohen Preis.
In Österreich verdienen junge Menschen wenig, obwohl sie Familie gründen wollen. Die älteren Arbeitnehmer sind oft sehr teuer. Ist das klug?
Nein. Wir sollten nachdenken, wie sich die Lohnkurven besser an den Lebensphasen orientieren könnten. Das Gleiche gilt für die Arbeitszeit.
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