Gin-Bar statt Kneipp-Stüberl: Wie sich das Stuwerviertel gewandelt hat
Das Kneipp-Stüberl, ein verrauchtes Beisl nahe der U-Bahn-Station Messe-Prater, das kannte man im Stuwerviertel einfach. Es war das vergrößerte Wohnzimmer derselben zehn Stammgäste. Tagein, tagaus. Das ist nun vorbei.
Anstelle des alten Holzschilds hängt jetzt ein neonroter Schriftzug über der Tür. Die Fassade wurde frisch gestrichen – in Himmelblau. Eingezogen ist das schmucke Wirtshaus Fritz von Stuwer. Am Freitag darf es endlich eröffnen. Der kamerascheue „Fritz“ will mit seinem Lokal das „ruhige, ehrliche Lebensgefühl“ der 1970er-Jahre zurückholen.
Was dem Kneipp-Stüberl widerfahren ist, ist im gesamten Stuwerviertel zu beobachten: Das Grätzel in der Leopoldstadt mausert sich. Und damit auch sein Image. Der Bezirksteil zwischen Donau, grünem Prater und der „Gstettn“ am früheren Nordbahnhof war lange eines der berüchtigten Rotlichtviertel Wiens.
Noch heute zeugen Etablissements wie das Studio Bei Gabi oder das Café Pam Pam davon. Aber: Daneben wohnen nun Studenten und Familien. Was ist passiert?
Ein Zuhause für alle
„Hier zählt, eine gute Zeit zu haben. Nicht, wer man ist oder woher man kommt“, erklärt Gastronom „Fritz“. Die Geschichte gibt im Recht: Jede noch so skurrile Persönlichkeit fand bisher im Stuwerviertel ein Zuhause. Zum Beispiel? „Die dicke Mitzi“, sagt Robert Kaldy-Karo. Er leitet das Circus- und Clownmuseum am Ilgplatz. „Die Mitzi hat sich in den 1920er-Jahren mit ihren 265 Kilo im Prater ausgestellt – damals eine Sensation.“
Auch Prostituierte fanden hier aufgrund der Nähe zum früher zwielichtigen Prater eine Heimat. Ein Problem seien die Frauen nicht gewesen, erinnern sich alteingesessene Bewohner. Aber ihre Freier waren eines. „Die haben sogar Anrainerinnen mit Kinderwagen angesprochen“ erzählt etwa Robert Heinzl, der am Ilgplatz seit zwölf Jahren das Café Dezentral betreibt.
Um den Freiern die Wege durch das Grätzel zu erschweren, wurden auf einzelnen Straßen sogar Betonblöcke aufgestellt. Ihr positiver Effekt heute: ruhige Gassen ohne viel Verkehr.
Der Wandel begann im Jahr 2008: Die U2-Station Messe-Prater band das Viertel damals besser an die restliche Stadt an. Drei Jahre später wurde die Straßenprostitution in Wohngebieten verboten. Dann kamen die neue Wirtschaftsuni sowie die Stadtentwicklungsgebiete „Viertel Zwei“ und das Nordbahnviertel. Damit verschwanden aber etliche kleine türkische Läden aus dem Grätzel.
Der Vorgartenmarkt wurde "hipper". Er ist heute einer der beliebtesten Märkte Wiens, auf dem sich etwa die Mochi Ramen Bar und Feinkostläden angesiedelt haben.
Lokale passen sich an
„Das Publikum hat sich verändert, da muss man auch als Lokal anpassen“, sagt Dezentral-Chef Heinzl. Konzerte könne er nur noch wenige veranstalten, da sich sonst Nachbarn beschweren und die ein oder andere marode Stelle im Café wurde ausgebessert. „Ich werde aber sicher nicht auskacheln oder mir eine Cocktail-Karte ausdenken.“ Man müsse sich schließlich treu bleiben.
Die Gentrifizierung gehe im Stuwerviertel zwar voran, sagt Andrea Mann von der Gebietsbetreuung. Aber in Maßen. Soll heißen: Die ansässige Bevölkerung wird durch die Aufwertung des Viertels (noch) nicht verdrängt. Gemeindebauten und geförderter Wohnbau machen das möglich.
Die Mietpreise steigen nicht stärker als in anderen Bezirksteilen, sagt Mann. Und: In keinem anderen Grätzel der Leopoldstadt leben so viele Personen mit Migrationsgeschichte wie im Stuwerviertel – nämlich 51 Prozent.
Potenzial zum Luxusviertel
„Der Zusammenhalt im Viertel ist gut“, sagt Mann. In dem Grätzel mit seinen Alleen zwischen den Altbauten treffen sich etwa am Ilgplatz junge Menschen, um für den 1. Mai Fahnen zu basteln und in der Corona-Krise gab es mehrere Nachbarschaftshilfen, eine davon organisierte der Stuwer-Wirt.
Im Jänner hat sich ein Verein gegründet, der die Räume des ehemaligen Kulturzentrums Kaeshmaesh in der Ennsgasse wiederbeleben möchte. Hier wird es zukünftig einen Aufenthaltsraum, Gruppenabende und Veranstaltungen geben. Noch Mitte Mai soll mit einer Schaufensterausstellung der lokalen Künstler Sarah Sternat und Markus Riedler gestartet werden.
Dennoch warnt Mann davor, dass das Grätzel durch steigende Mieten und Spekulation zu einem teuren Luxusviertel werde. Potenzial dazu hätte es. Spekulation mit Wohnraum hätte auch hier schon begonnen.
Noch ist es nicht soweit. Wenn das Wirtshaus Fritz von Stuwer abends zur Soul-Jazz-Gin-Bar wird, dann kommt auch etwas von der verruchten Seite des Viertels wieder zum Vorschein. Ganz nach dem Motto von „Fritz“: „Wenn wir nicht mehr feiern, sind wir tot.“
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