Der Praterstrich ist Geschichte

ARCHIV -- ZUM ENTSCHEID DER EIDGENOESSICHEN RAETE BETREFFEND SEXUELLER AUSBEUTUNG STELLEN WIR IHNEN AM DIENSTAG, 10. SEPTEMBER, FOLGENDES ARCHIVBILD ZUR VERFUEGUNG: Prostituierte bieten sich auf dem Strassenstrich an am Sihlquai in Zuerich, am Dienstag, 10. April 2010. (KEYSTONE/Alessandro Della Bella)
Die Maßnahme greift. Einige Prostituierte weichen nun auf die Brunner Straße ab.

Nostalgisch betrachtet, ist es eine Ära, die gerade zu Ende geht: Seit 249 Jahren ist der Prater die Vergnügungsmeile der Wiener – auch was die Prostitution betrifft (siehe unten). Doch seit wenigen Wochen ist die sündige Meile so gut wie verlassen – da traten Wohngebiet-Umwidmungen in Kraft, die das Rotlicht-Gewerbe auf eine 100-Meter-Erlaubniszone einschränkten.

Doch nicht einmal die 100 Meter sind den Straßenprostituierten geblieben. „Schaut man sich den Flächenwidmungsplan an, bleiben in Wirklichkeit 17 Meter“, sagt Bezirksvorsteher Karlheinz Hora.

Pflaster wird uninteressant

Die Folge: Die Straßenzüge sind leer. „Wir hatten 40 Prostituierte im Prater. Die sind alle weg“, bestätigt Wolfgang Langer, Leiter des Referats für Prostitutionsangelegenheiten. Doch wohin? Das beobachten die Polizisten ganz genau. „Ein paar sind in die Brunner Straße nach Liesing gewechselt“, sagt Langer. Waren dort früher an die 20 Damen, die gegen Bares ihre Dienste anboten, sind es nun bis zu 28.

„Einige werden auch in Laufhäuser gegangen sein“, sagt Langer. Doch der Großteil, so glaubt er, kommt erst gar nicht nach Österreich, um hier an der Straße zu stehen. „Die Frauen kommen nur ein paar Tage die Woche. Da machen sie das Geld, dann fahren sie wieder nach Hause“, erzählt der Polizist. Nun würden sie eben andere Städte ansteuern. „Dann fahren sie eben nach Deutschland.“

Doch er schließt nicht aus, dass sich ein neuer Straßenstrich in Wien bildet. „Möglichkeiten gibt es genug“, meint Langer. „Im Internet kann man sich die Industriegebiete, in denen die Straßenprostitution noch immer möglich ist, einfach raussuchen.“ Doch eine neue Meile habe sich bisher nicht gebildet. Dass sich ein flexibler Wander-Strich wie in Deutschland bilden könnte, hält er für unwahrscheinlich. „Die Frauen sind nicht organisiert. Und Freier brauchen fixe Orte, wo sie hinfahren können.“

Dem Frieden will Bezirksvorsteher Hora noch nicht so recht trauen. „Warten wir den nächsten großen Kongress oder die nächste große Messe ab. Da kommen die Frauen gezielt hin.“ Eine Befürchtung wurde derweil aber nicht Realität. „Die Szene hätte ja auch ins Stuwerviertel schwappen können. Aber sogar die zehn Damen, die es hier sonst gibt, sind momentan nicht zu sehen.“

Übrigens: Bisher machte die Polizei die Frauen auf das neue Verbot nur aufmerksam. Ab sofort drohen erwischten Straßenprostituierten Anzeigen und Verwaltungsstrafen in Höhe von 500 Euro.

Die Geschichte der Prostitution in Wien ist eine lange. Aber speziell um die Jahrhundertwende spitzte sich die Situation zu. 15.000 Frauen und Mädchen sollen damals ihren Körper verkauft haben.

„Die Hochblüte der Prostitution hat Wien ab den 1870er-Jahren erlebt“, sagt Historiker Lutz Musner. Die Landbevölkerung wanderte in die Metropole ab. Gearbeitet wurde an sechs Tagen die Woche. Am Samstagabend wurde bei den „Glasscherbentänzen“ gefeiert. Eine der größten Vergnügungsstätten der damaligen Zeit war Neulerchenfeld. Alkohol, Kleinkriminalität und Prostitution gingen Hand in Hand. Aber auch der Prater war als Vergnügungsviertel beliebt.

Jede Schicht hatte ihre käuflichen Damen. Mütter verkauften aus Armut ihre Töchter, Fabriksarbeiterinnen kamen mit ihrem Lohn nicht aus und verdienten dazu. „Im kleinbürgerlichen Milieu gab es das süße Mädel, das bezahlte Liebschaften einging, und im Theatermilieu die Kleindarstellerinnen, die etwas dazuverdienen mussten.“ Aber auch Luxusprostituierte waren damals ein Thema.

Die käuflichen Mädchen und Frauen wurden aus den östlichen Teilen der Monarchie, vor allem aus Galizien, nach Wien gebracht. Aber auch die Platten – gefürchtete Jugendbanden aus den Vororten – schickten ihre Mädchen auf die Straße.

Bis zum Jahr 1900 war das Mindestalter für Prostituierte 14 Jahre alt, danach stieg es auf 16 Jahre an. Rechte hatten sie keine. Sie wurden dafür verantwortlich gemacht, Krankheiten zu übertragen. Die Freier im Gegenzug kamen ohne Strafe davon, wenn sie den Lohn verweigerten.

Mit der Weltausstellung 1873 wurden die Prostituierten erstmals erfasst – sie mussten ein Gesundheitsbuch nachweisen. Was allerdings nicht viele taten. Nur rund 1600 Frauen und Mädchen ließen sich registrieren. Doch im mehr oder weniger Geheimen blühte das Geschäft rund um die Weltausstellung. Die Damen flanierten über die Wege und boten den Besuchern ihre Dienste an.

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