Sterbehilfe für den Partner - und jetzt selbst schwer erkrankt
Renate E. hat schwere Jahre hinter sich. Vor zweieinhalb Jahren zog sie ihrem sterbenden Lebensgefährten im Wiener AKH die Schläuche, die ihn am Leben erhielten. Sie wurde deshalb (nicht rechtskräftig) wegen Mordes verurteilt. Doch das Urteil wurde aufgehoben, der neue Prozess hätte längst stattfinden sollen. Doch dann erkrankte die 54-Jährige schwer an Brustkrebs.
Renate E. trägt ein Tuch am Kopf, darüber einen Hut. Durch die Chemotherapie hat sie ihre Haare verloren. In wenigen Tagen wird die vorerst letzte Behandlung stattfinden. Dann müssen die Ärzte entscheiden, ob eine weitere Chemo nötig ist. „Es schaut gut aus“, sagt Renate E. „Die Blutwerte passen.“
Seelische Belastung
„Der Krebs ... das hat sicher etwas mit ihrer Geschichte zu tun. Mit dieser seelischen Belastung. Sie hat ja das Leben eines geliebten Menschen auf dem Gewissen“, meint Rechtsanwalt Gunther Gahleitner.
Renate E. nickt. Sie weiß, was sie getan hat. Doch dass sie einen Mord begangen haben soll, dagegen wehrt sie sich. „Es war der Wunsch von Willi“, bekräftigt sie. Ihr schwer kranker Lebensgefährte war nicht mehr ansprechbar, er wäre nicht mehr aufgewacht und laut Gutachten spätestens zwei Stunden später gestorben.
Ihrem Willi das Versprechen zu geben, ihn zu erlösen, das bereut sie nicht. Auch nicht, dass sie es eingehalten hat. Nur, dass sie nicht darauf gedrängt hat, dass er seinen Wunsch irgendwo festhält, das bereut sie.
„Aber wie sagt man so etwas? Gib mir das schriftlich?“, fragt Renate E.
Jeden Tag denke sie an ihn, sagt sie. Wenn sie etwa wieder nicht schlafen kann. „Dann hätt’ ich ihn einfach angerufen und mitten in der Nacht mit ihm telefoniert. Wir waren ja beide Nachtmenschen.“ Oder an die gemeinsamen Opernbesuche. „Es sind schöne Erinnerungen.“
„Der Krebs ... das hat sicher etwas mit ihrer Geschichte zu tun. Mit dieser seelischen Belastung. Sie hat ja das Leben eines geliebten Menschen auf dem Gewissen“
Sie selbst lebt jeden Tag, als wäre es ihr letzter – nicht wegen ihrer Krankheit, nicht wegen des Todes ihres Lebensgefährten. „Aber meine ganze Familie ist früh gestorben. Ich weiß, dass es morgen vorbei sein kann.“ Also gönnt sie sich jeden Tag eine Kleinigkeit. Ein Eis, ein gutes Essen, ein Treffen mit Freunden.
Durch die Diagnose habe sie die Wiederholung des Prozesses gedanklich weggeschoben. Sie hat Angst. Trotzdem: „Ich will das noch in diesem Jahr hinter mich bringen. Zu Weihnachten will ich diese Last nicht mehr tragen.“ Sie fürchtet sich davor, dass sie erneut verurteilt wird und ins Gefängnis muss. „Zu Menschen, die wirklich kriminell sind. Ich fühle mich nicht wie ein Verbrecher.“
Gesicht zeigen
„Die Einstellung zum Thema Sterbehilfe hat sich in der letzten Zeit in Österreich verändert. Auch wegen dieses Falls. Es wird höchste Zeit, dass sie auch in Österreich erlaubt wird“, sagt ihr Anwalt. In wenigen Tagen wird das Thema im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung im Verfassungsgerichtshof (siehe Zusatzbericht unten) behandelt – auch Renate E. wird vor Ort sein.
Ihr Gesicht zeigt sie bewusst. Sie will sich nicht verstecken. In ihrem Freundes- und Bekanntenkreis kennt jeder ihre Geschichte. Sie bekomme viel Rückhalt von den Freunden, schildert sie. Aber auch Fremde, die ihr Gesicht in der Zeitung gesehen haben, sprechen sie an. Fast jede Rückmeldung sei positiv und würde sie bestärken.
Es geht ihr ums Grundsätzliche: „Jedes Viecherl wird zum Tierarzt gebracht, wenn das Leiden zu groß wird. Warum haben nicht auch Menschen das Recht zu sterben, wann sie wollen?“, fragt sie.
Sie hat viel darüber nachgedacht, wie sie eines Tages sterben will. In einem Krankenbett dahinzusiechen, kommt für sie nicht infrage. Sie finde dann schon einen Weg, sagt sie.
Sterben als Menschenrecht? Höchstrichter müssen entscheiden
In Deutschland haben die Höchstrichter das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ im vergangenen Februar erlaubt. In Österreich beschäftigen sich die Richter des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) am Donnerstag bei einer öffentlichen Verhandlung mit der heiklen Thematik. Aktuell ist die "Tötung auf Verlangen“ und auch die „Mitwirkung am Selbstmord“ verboten. Es drohen Freiheitsstrafen bis zu fünf
Jahren.
Das Verbot der aktiven Sterbehilfe sei verfassungswidrig. Durch die geltende Rechtslage würden leidende Menschen gezwungen, entweder entwürdigende Verhältnisse zu erdulden oder – unter Strafandrohung für Helfer – Sterbehilfe im Ausland in Anspruch zu nehmen. So sehen es jedenfalls die vier Antragssteller, die sich an den VfGH gewandt haben. Ihre Geschichten sind unterschiedlich.
Dem Leid entgehen
Ein Mann leidet an Multipler Sklerose. Eine Heilung ist ausgeschlossen. Ein weiterer Betroffener ist an Parkinson erkrankt und will – wenn sich sein Zustand verschlechtert – dieses Leiden nicht ertragen müssen.
Es stehen aber auch zwei völlig gesunde Menschen hinter dem Antrag. Ein 75-Jähriger hatte seiner Ehefrau, die an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt war, beim Selbstmord geholfen. Er gab ihr seine Waffe und versprach: „Wenn es dir nicht selbst gelingt, gebe ich dir den Gnadenschuss.“ Der Mann wurde zu zehn
Monaten bedingter Haft verurteilt.
Der vierte Antragsteller ist Mediziner. Er plädiert für ein „selbstbestimmtes Sterben, ohne schreckliches Leiden“ und würde Freitod-Begleitung machen. Aktuell ist das nicht möglich – auch wenn er immer wieder mit dem Thema konfrontiert wird. „Wenn ich dem Wunsch nachkomme, bin ich mit einem Bein im Gefängnis“, sagt er.
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