Mordprozess nach Sterbehilfe im AKH: "Ich soll den Stecker ziehen"
Es ist keine leichte Entscheidung, die die Geschworenen im Wiener Landesgericht für Strafsachen treffen müssen. Angeklagt ist Renate E. Die Frau soll im April des Vorjahres ihrem 70-jährigen Lebensgefährten im Wiener AKH den Beatmungsschlauch aus dem Hals gezogen haben. Zu diesem Zeitpunkt lag der Mann bereits im Sterben. Fünf Stunden lang hätte er noch gelebt.
Nach einer Nierentransplantation im Vorjahr hatte sich der 70-Jährige nicht mehr erholt. Am 6. April verschlechterte sich der Zustand des Mannes massiv. Seine damals 53-jährige Lebensgefährtin wurde informiert. Sie eilte ins Spital und leistete dann in ihren Augen Sterbehilfe.
Die Geschworenen müssen nun entscheiden, ob es Mord war. Der Staatsanwalt ist nämlich der Meinung, dass auch eine fünfstündige Verkürzung des Lebens Mord ist. Es habe sich nicht um Tod auf Verlangen gehandelt – der Mann habe seinen Wunsch ja nicht mehr äußern können. "Dazu braucht es den konkreten Willen des Mannes - er muss sagen, wie er stirbt, wann und wo."
Die Verantwortung der Geschworenen hebt er hervor: "Die lädt die Republik auf Sie ab." Und gleichzeitig eröffnet der Ankläger den Geschworenen eine Möglichkeit: "Sie können sagen: Ja, das war Mord. Aber die Strafe ist ein Jahr bedingt. Sie können unter die Mindestgrenze gehen." Die Strafdrohung bei Mord liegt eigentlich bei 20 Jahren bzw. lebenslang.
Angeklagte nervös vor Gericht
Um 9.15 Uhr betrat Renate E. gefasst den Gerichtssaal. Die Frau in eleganter Kleidung hatte zuvor Interviews gegeben, war laut ihrem Anwalt sehr nervös.Die Frau selbst hatte stets beteuert: „Ich wollte ihm diesen Wunsch erfüllen.“ Man habe einander nämlich schon einige Zeit davor gegenseitig versprochen, im Fall des Falles Sterbehilfe zu leisten. "Wenn er nur mehr herumliegt wie ein Stückl Geselchtes, soll ich den Stecker ziehen", erklärte sie vor Gericht.
Bereits bei der Polizei hatte sie erklärt, nicht mit dem Vorsatz, sein Leben zu beenden, ins Krankenhaus geeilt zu sein. „Wach auf!“, habe sie an seinem Bett geschrien. „Du darfst mich nicht verlassen!“ Eine Krankenschwester erklärte ihr den Sterbeprozess der kommenden Stunden. Dann sollte die Frau die Möglichkeit bekommen, sich von ihrem Lebensgefährten zu verabschieden. „Ich war von der Situation überwältigt", erklärte sie bei der polizeilichen Einvernahme.
Schon einige Tage zuvor soll sie ihr Lebensgefährte angefleht haben: "Hasi, hilf mir. Erlöse mich. Ich will würdig sterben." Ihrem Lebensgefährten sei klar gewesen, dass er das Krankenhaus diesmal nicht verlassen wird.
Die Würde des Sterbens, die ist auch im Gerichtssaal Thema. Der 70-jährige Willi G. hatte das Maximum an Medikamenten bekommen. Er sollte eigentlich nur noch "in den Tod schlafen". Er habe einen friedlichen Eindruck gemacht. "Ob das Rausreißen eines eingenähten Schlauches, dass das Blut nur so spritzt, Sterben in Würde ist, ist auch fraglich", sagt die vorsitzende Richterin Christina Salzborn. "Es war sein Wunsch", sagte Renate E. "Ich würde es wieder tun."
Vor Gericht kamen nun auch drei Sachverständige zu Wort: ein Psychiater, ein Gerichtsmediziner und ein Toxikologe.
Prozess wurde vertagt
Die Geschworenen waren ungewöhnlich aktiv. Immer wieder stellten sie E. Fragen. Der Fall bewegte die Geschworenen sichtlich. Urteil gibt es heute aber keines. Weil ein Intensivmediziner als Sachverständiger benötigt wird, wird der Prozess am 22. Oktober fortgesetzt. Außerdem soll dann auch noch ein Kriminalbeamter zu Wort kommen.
Die Causa hatte im Vorjahr wieder eine Debatte über das kontroverse Thema Sterbehilfe entfacht. Entsprechende Initiativen für die Legalisierung gab es immer wieder. Selbst die Bioethikkommission riet in einer Stellungnahme für das Parlament: „Es erscheint angebracht, für Angehörige und persönlich nahestehende Personen eine Straflosigkeit vorzusehen, wenn sie einer an einer unheilbaren, zum Tode führenden Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leidenden Person beim Suizid Hilfe leisten.“
Kommentare