Sterbehilfe ist nicht gleich Sterbehilfe
Wenn Christiane Druml sagt, dass sie über eine Entscheidung sehr überrascht war, dann handelt es sich definitiv um eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen.
Die Juristin ist seit 13 Jahren Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt. Mit ihren Kollegen befasst sie sich mit Themen wie Künstliche Intelligenz, Intersexualität, Fortpflanzungsmedizin – und auch Sterbehilfe. In Deutschland wurde diese nun liberalisiert.
Jeder Mensch hat demnach das Recht, selbstbestimmt mithilfe von professionellen Dienstleistern aus dem Leben zu scheiden. Das gilt für alle, nicht nur für unheilbar Kranke. „Ich finde diese Entscheidung sehr bemerkenswert, weil dieser Freiheitsgedanke des Grundgesetzes nicht nur in Bezug auf Menschen mit einer schweren Erkrankung ausgesprochen wurde, sondern auch für gesunde Menschen. Also für Menschen, die in einer ganz anderen Situation sind als Menschen am Ende einer schweren und zum Tode führenden Erkrankung. Das kam für mich tatsächlich sehr überraschend und das hätte ich nach den bisherigen Diskussionen nicht erwartet“, sagt Druml.
Zu betonen sei aber, dass dem dortigen Gesetzgeber weiter zugestanden werde, gestaltend einzugreifen, damit kein Missbrauch der Beihilfe zum Suizid stattfinde.
Entfachte Diskussion
Doch was könnte diese Entscheidung für Österreich bedeuten? „Auch bei nicht ganz vergleichbarer Rechtslage in beiden Ländern gilt hier wie dort die europäische Menschenrechtskonvention. Insofern könnte diese Entwicklung hierzulande eine interessante Diskussionsgrundlage für den heimischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) darstellen“, so Druml.
Diesem liegt seit Mai 2019 ein Antrag vor, mit dem die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) versucht, das Verbot der Sterbehilfe zu kippen. Betroffene Menschen wollen ihr Recht auf selbstbestimmtes Sterben durchsetzen.
Auf die Entscheidung, die für Juni 2020 erwartet wird, blickt Druml gespannt. Habe der VfGH in den vergangenen Jahren doch bereits teils durchaus unerwartete Stellungnahmen zu den Themen Intersex und Reproduktionsmedizin getätigt. Seit dem Jahr 2015, als die Bioethikkommission die letzte detaillierte Stellungnahme zum Thema Sterbehilfe publiziert hat, herrsche diesbezüglich jedenfalls Stillstand in Österreich, sagt Druml.
Entkriminalisierung
Damals wie heute ist es den Mitgliedern – bestehend aus Medizinern, Philosophen, Genetikern, Theologen und Sozialwissenschaftlern – wichtig, die „Verleitung zum Suizid“ von der „Hilfeleistung zum Suizid“ zu trennen und Letztere unter bestimmten Umständen zu entkriminalisieren.
Dies fand in der Politik bisher allerdings keinen Widerhall. Laut Druml sollte es aber möglich sein, dass ein Patient offen mit dem Arzt über seine Situation sprechen kann, ohne zu fürchten, aufgrund von akuter Selbstgefährdungsgefahr zwangsweise untergebracht zu werden.
Abgesehen davon seien Begriffe wie „aktive und passive Sterbehilfe“ in Zeiten von Organtransplantationen nicht mehr zeitgemäß: „Sie stellen Ärzte in ein kriminelles Licht. Das ist überhaupt nicht den Tatsachen entsprechend“, kritisiert Druml.
Zudem hätten Menschen von Sterbehilfe noch verschiedene Vorstellungen: „Der eine spricht etwa davon, dass er keine Antibiotika nehmen will, obwohl er schwer krank ist und ohne die Einnahme sterben würde. Aber das ist ja keine Sterbehilfe, sondern nur die Autonomie des Patienten und die Entscheidung, das Sterben zuzulassen“, erklärt Druml. Diese Unschärfe, betont sie, gelte es, in den Griff zu bekommen.
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