Noch am Wochenende vor der Urteilsverkündung besuchte sie das Grab von Willi G. am Wiener Zentralfriedhof. „Ich wollte vorher noch einmal mit ihm reden.“ Sie hoffte darauf, dass er ihr gute Gedanken schickt. Am liebsten wäre es ihr gewesen, „er wäre aus dem Grab rausgesprungen und hätte bestätigt, dass er das so wollte.“
Als sie Willi G. im Jahr 2011 zum ersten Mal traf, war seine schwere Erkrankung noch kein Thema. Der 17 Jahre ältere Mann sprach sie in einer Bar an. „Er war ruhig, zurückhaltend. Interessiert hat er mich, weil er klug war. Und er hatte einen irrsinnigen Schmäh“, erinnert sie sich. Gemeinsam ging man in die Oper, spielte Mühle oder Schach. „Da hatte ich gar keine Chance. Er war ein Stratege“, sagt sie. Geborgen habe sie sich bei ihm gefühlt.
Renate E. fischt ein Bild aus ihrem Terminplaner. Es zeigt sie in der Mitte von Willi G. und einem Bekannten. „Das habe ich immer dabei. Da kannten wir uns noch nicht so lange. Wir waren damals in einem Lokal in der Gumpendorfer Straße.“ Auf dem Bild legt Willi G. seinen Arm und seine Freundin, beide lächeln in die Kamera.
Erst nach einiger Zeit erzählte Willi G. von seiner Nierenerkrankung. „Seine ganze Familie hatte die. Deshalb hat der Willi auch zwei Nierentransplantationen gehabt.“ Außerdem hatte er starke Schmerzen in den Beinen. „Manchmal mussten wir abwägen: Sind die Schmerzen in den Füßen auszuhalten und nimmt er die Medikamente für die Nieren, oder umgekehrt. Gemeinsam durfte er die Medikamente nämlich nicht nehmen.“
Oft war Willi G. im Krankenhaus. Doch immer wieder rappelte er sich auf. „Natürlich hab’ ich daran gedacht, dass eine Patientenverfügung sinnvoll wäre. Aber sobald er sich erholt hat, hab’ ich nicht gewusst, wie ich mit dem Thema anfangen soll“, sagt sie. Eine Patientenverfügung hätte die lebenserhaltenden Maßnahmen genau geregelt.
Nachdem es die nicht gab, wurde Willi G. im April 2018 mit allen Behandlungen und Medikamenten versorgt, die möglich waren. Da war er bereits bewusstlos. „Er wollte das nicht. Nie“, bekräftigt E. Dennoch hoffte sie, dass ihr Willi doch noch einmal die Kurve kriegt. „Komm! Kämpf!“, flehte sie ihn am Krankenbett an. Doch der Körper des Mannes hatte aufgegeben. Gleich drei Organe hatten versagt. Er wurde nur noch am Leben erhalten. Und als Renate E. schließlich den Anruf erhielt, sie solle ins Krankenhaus kommen um sich zu verabschieden, brach eine Welt für sie zusammen.
Sie trank sich Mut an, ging ins Zimmer.
Zwei Stunden, so rechnete man im Gericht vor, hätte Willi G. noch zu leben gehabt. Ohne medizinische Versorgung starb er nach fünf Minuten.
„Ich hab’ es nicht ausgehalten, ihn so zu sehen“, sagt sie. „Es ist so unwürdig. Aber das kann nur jemand nachvollziehen, der schon einmal in so einer Situation war.“
Anwalt Gunther Gahleitner versteht die Haltung der Politik zu diesem heiklen Thema nicht: „In vielen europäischen Ländern wird die Sterbehilfe deutlich liberaler gehandhabt. Ein Großteil der Österreicher spricht sich ebenfalls dafür aus. Der Gesetzgeber sollte sich endlich dazu bequemen, das umzusetzen“, sagt er.
Einmal habe ihr eine Frau nachgeschrien: „Du Mörderin!“. Doch Renate E. bekommt auch Rückhalt. Ihre Freunde, sagt sie, stehen hinter ihr. Verstehen sie. Leiden mit. Sie hat ihnen verboten, zum Prozess zu kommen. Aber sie hat ihnen ein Versprechen abgerungen: Wenn sie in Haft muss, dann kümmern sie sich um ihre drei Katzen.
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