Der lasche Lockdown: Wie man tut, was man nicht darf
Der aktuelle Lockdown wird nicht so ernst genommen wie vorherige. So wird etwa munter eingekauft – auch dank gefinkelter Tricks, die Kunden und Geschäftsleute inzwischen gut eingeübt haben.
Zumindest auf seinem Adventkranz will der grau gekleidete Mann vor dem Blumengeschäft im 3. Bezirk ordentlich Farbe. Das von ihm auserkorene Exemplar ist mit hellrosa und knalllila Kerzen dekoriert. Ob er den Kranz, wie es die aktuellen Lockdown-Regeln vorschreiben, vorbestellt hat? "Ja", sagt der Mann.
Allerdings in einem Ton, der seine Schwindelei sogleich auffliegen lässt.
Das bemerkt er sogar selbst. Denn schließlich gibt der Mann zu, spontan einen der vielen Kränze, die verlockend vor dem Laden an der Kreuzung mit der Landstraßer Hauptstraße präsentiert werden, gewählt zu haben. "Ich hindere sicher niemanden daran, sich etwas auszusuchen", sagt die Inhaberin lapidar.
Der kleine, aber verbotene Grünzeug-Deal veranschaulicht das Grundproblem des aktuellen Lockdown: Er wird nicht ganz so ernst genommen wie vorherige.
Obwohl eine ganztägige Ausgangsbeschränkung mit den wenigen, wohlbekannten Ausnahmen gilt, sind die U-Bahnen nur ein bisschen spärlicher besetzt als sonst. Mit dem Auto braucht man morgens fast genauso lang durch die Stadt wie üblich.
Und in den Geschäftsstraßen wird munter eingekauft – auch dank gefinkelter Tricks, die Kunden und Kaufleute inzwischen gut eingeübt haben.
Kurzum: Man weiß mittlerweile, wie man Dinge, die man nicht (unbedingt) tun sollte, trotzdem tun kann.
Kein Click, aber Collect
Bestes Beispiel dafür ist „Click & Collect“ – also das grundsätzlich erlaubte Abholen vorbestellter Waren. Im Alltagsgebrauch übrig geblieben ist vielerorts nur das "Collect", wie sich beim Lokalaugenschein auf der Landstraßer Hauptstraße zeigt.
Da verkauft eine Parfümerie-Mitarbeiterin im Einkaufszentrum "The Mall" nicht vorab georderte Handcreme mit den Worten: "Wenn man um’s Überleben kämpft ...".
Und in einem Krimskrams-Geschäft beim Rochusmarkt wird geraten: "Ich kann dir den Teller mitgeben, wenn du zwischendurch spazieren gehst." Offen haben darf der Laden übrigens deshalb, weil irgendwo zwischen den Dutzenden Deko-Artikeln auch Lebensmittel angeboten werden. (Diese darf man auch ohne Vorbestellung und Spaziergang kaufen.)
Wie Lockdown fühlt sich das alles nicht an, sind sich Passanten einig. Das legen auch Zahlen zum Mobilitätsverhalten nahe.
Handydaten
Die Grazer Firma Invenium hat Handydaten ausgewertet und kommt zu folgendem Ergebnis: Im aktuellen Lockdown hat sich die Mobilität um nur 18 Prozent reduziert. Schon der Lockdown für Ungeimpfte (ab 15. November) habe eine messbare Reduktion gezeigt. 40 Prozent Rückgang verzeichnete man beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020.
Demnach haben die Österreich ihre Mobilität seit Montag um nur 18 Prozent eingeschränkt – und damit viel weniger als im ersten Lockdown im Frühjahr 2020.
Essen als Trost
Andere Lockdown-Verhaltensmuster sind dafür geblieben: etwa das Anstellen für unübliches Take-away-Essen. Waren die Hotspots in dieser Hinsicht zuletzt das "Schwarze Kamel" und der "Demel" im 1. Bezirk, stellen sich die Menschen nun bei einem kleinen Stand gegenüber vom Stephansdom an: für Kaiserschmarrn to go.
Noch länger ist aber jene Schlange, die in den Dom hineinführt. Hier wartet man in warmer Winterkleidung auf die Corona-Impfung.
Das mit Abstand beliebteste Lockdown-Accessoire am Graben ist und bleibt das Meinl-Sackerl – in den neuen Erkennungsfarben Grün und Pink.
Der Feinkostladen mit den üppigen Geschenkskörben in der Auslage wirkt wie ein Magnet auf die Wiener: Sich den Lockdown mit Delikatessen schön zu essen, funktioniert immer noch.
Kuriose Ausnahme
Zurück im 3. Bezirk, am Kardinal-Nagl-Platz, versucht man, die Stimmung mit anderen Tricks zu heben: mittels UV-Licht aus der Steckdose. Sonnenstudios zählen zu den wenigen Dienstleistern, die offen haben dürfen.
Diese etwas kurios anmutende Ausnahme komme gut an, erzählt die anwesende Mitarbeiterin. "Ich bin in der Kabine ja völlig alleine", sagt eine braun gebrannte Kundin. "Da kann überhaupt nichts passieren."
Keine Sorgen machen sich offenbar auch die Besucher des ebenfalls geöffneten Wiener Eislaufvereins am Heumarkt. Auf der Freiluft-Fläche hat man an den vergangenen sonnigen Tagen fast immer die maximal erlaubten 375 Besucher erreicht.
Das Bedürfnis nach Farbe ist also auch abseits der Adventkränze groß.
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