Demo nach Mord an Tschetschenen: "Wer ist der Nächste?"
Nach dem Mord an Martin B. am Samstag in Wien-Gerasdorf fühlen sich einige Austro-Tschetschenen bedroht. Am Dienstagnachmittag versammelten sich deshalb 60 bis 80 Aktivisten aus der Community vor der russischen Botschaft in Wien-Landstraße.
Für sie war der Mord ein politischer Auftrag - vom tschetschenischen Autokraten Ramsan Kadyrow oder gar von der russischen Regierung. Tatsächlich deuten einige Indizien daraufhin: Der gebürtige Tschetschene Martin B. hatte Kadyrow in Youtube-Videos unter dem Pseudonym "Anzor aus Wien" wüst beschimpft, er galt als politischer Gegner.
Unweit der russichen Botschaft skandierten die Demonstranten bei der Kundgebung: "Putin - Terrorist", auf ihren Plakaten war zu lesen: "Putin raus aus Tschetschenien", "Demokratie statt Putin" oder eben die Frage: "Wer ist der Nächste?".
In Reden sprachen einige davon, wie gefährlich es für Tschetschenen selbst in Österreich sei, ihre Meinung öffentlich zu sagen. Nicht nur wegen ihrer Verwandten in Tschetschenien.
Eine junge Frau griff spontan zum Mikrofon, um zu berichten, wie sie für die Demo auf Instagram oder via Whatsapp geworben habe - immer wieder sei ihr geantwortet worden: "Du weißt schon, was passieren kann?" Deswegen seien auch so wenige zur Kundgebung gekommen.
"Man sollte nicht sterben, nur weil man seine Meinung sagt", hieß es in einer anderen Rede. Der Familie von "Anzor" sei in Tschetschenien Schreckliches angetan worden - dafür sei auch die russische Regierung verantwortlich. Die Demonstranten forderten die Aufklärung des Mordes und einer etwaigen Verstrickung der russischen Botschaft.
Dann wurden die Namen von Tschetschenen verlesen, die aus politischen Gründen in Europa getötet worden sein sollen. Die Liste war lang und unter den Namen befand sich auch der Menschenrechtsaktivist Umar Israilov, der 2009 in Wien erschossen wurde.
"Heute Tschetschenien und morgen Europa?"
Die Forderungen richteten sich aber nicht nur gegen die Politik in Russland und Tschetschenien, angesprochen wurden etwa auch Besuche der FPÖ im Jahr 2012 bei Kadyrow und Tätigkeiten des ehemaligen Bundeskanzlers Christian Kern (SPÖ) für die russische Bahn.
Europa solle beginnen, Druck auf Russland aufzubauen, fordert der Exilpolitiker und Organisator der Demo Khuseyn Iskhanov. Seit dem Mord 2009 sei "nichts" geschehen.
Von den österreichischen Behörden forderte man, dass die Verwandten des Mordopfers geschützt werden. Befürworter der tschetschenischen Unabhängigkeit von Russland, sollten nicht mehr abgeschoben werden. "Wir sind politische Flüchtlinge und wollen in Sicherheit leben", sagte eine Aktivistin.
Am Dienstag wurde aber auch bekannt, dass gegen den ermordeten Martin B. nach drei gerichtlichen Vorstrafen (unter anderem wegen Schlepperei) die Aberkennung des Asylstatus bevorstand.
Ein entsprechendes Verfahren war im Laufen, Martin B., der bis Anfang September 2019 eine Haftstrafe verbüßt hatte, hatte gegen die erstinstanzliche Entscheidung, die seine Abschiebung bedeutet hätte, Rechtsmittel eingelegt.
Innenminster Karl Nehammer (ÖVP) sagte am Dienstag, dass er "Hintermänner" vermutet. Die Ermittlungen nach dem Motiv würden auf Hochtouren laufen. Die beiden Beschuldigten hingegen sitzen in U-Haft und schweigen weiter.
Die russische Botschaft in Wien wartet unterdessen noch auf eine Bestätigung seitens der niederösterreichischen Polizei, ob es sich bei dem festgenommenen mutmaßlichen Schützen und einen der Tatbeteiligung Verdächtigen um russische Staatsbürger handelt. Die Botschaft habe eine entsprechende Anfrage an die österreichischen Behörden gerichtet.
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