Auftragsmord in Gerasdorf? Opfer bat um kugelsichere Weste, Demo am Dienstag

OBERÖSTERREICH: RUSSISCHER ASYLWERBER IN GERASDORF BEI WIEN ERSCHOSSEN - TATVERDÄCHITGER IN LINZ FESTGENOMMEN
Das Opfer ist ehemaliger tschetschenischer Polizist und hatte politische Feinde. Am Sonntag gab es eine zweite Festnahme.

Mordalarm in Samstag in Gerasdorf bei Wien: Im Bereich der Einfahrt einer Baufirma in einem Gewerbegebiet wurde ein 43-jähriger russischer Asylwerber mit einem Kopfschuss regelrecht hingerichtet. Der mutmaßliche Täter flüchtete mit einem Auto, konnte nach einer Großfahndung der Polizei aber in Linz festgenommen werden. Am Sonntagnachmittag wurde bekannt, dass es eine zweite Festnahme in dem Fall gegeben hat. Der Mann, ebenfalls ein Tschetschene, war eigentlich als Zeuge vernommen worden, hatte sich aber bei der Befragung in Widersprüche verwickelt. 

Feinde in Tschetschenien

Das Opfer, Martin B., soll ein gebürtiger Tschetschene und ein politischer Gegner des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow sein.  Er war außerdem YouTube-Blogger und kritisierte den Präsidenten wiederholt scharf. Auch Beschimpfungen sind in den insgesamt 29 Video zu hören. Der Wiener Verfassungsschutz führte Martin B. als „gefährdete Person der  tschetschenischen Diaspora“. 

Die russische Teilrepublik wird unter Präsident Kadyrow diktatorisch geführt. Martin B. ist nur ein Deckname, eigentlich heißt der Getötete Anzor A. Ihm soll seitens der Behörden Personenschutz angeboten worden sein, den er aber verweigert haben soll.

Kugelsichere Weste gefordert

Der getötete Martin B. dürfte Angst vor einem Attentat gehabt haben. Wie der ukrainische Ex-Politiker  Ihor Mossijtschuk am Sonntag in einem Telefonat mit der APA erklärte, soll der 43-Jährige ihn Mitte Juni um Hilfe bei der Beschaffung einer kugelsicheren Weste ersucht haben.

"B. hat mich gebeten, beim Kauf einer kugelsicheren Weste sowie eines Hemds aus Kevlar (widerstandsfähiger Stoff, Anm.) zu helfen. Er gab mir auch seine Maße", schilderte der Ex-Abgeordnete.

Demonstration in Wien am Dienstag

Zudem hat der führende tschetschenischer Exilpolitiker in Österreich, Khuseyn Iskhanov, als Reaktion auf die Ermordung für Dienstagnachmittag eine Demonstration vor der russischen Botschaft in Wien angekündigt. "Wir versuchen, auf diesen Mord zu reagieren", erklärte er.

Mit der Demonstration wende man sich auch an den österreichischen Staat. "Von den hiesigen Behörden fordern wir, dieses Verbrechen aufzuklären", ergänzte Iskhanov und brachte zum Ausdruck, dass er den Fall als politischen Auftragsmord unter Beteiligung russischer Geheimdienste und ihrer Agentennetzwerke sehe.

Lesen Sie hier mehr über die Vita des Opfers Martin B. alias "Anzor aus Wien":

NIEDERÖSTERREICH: MORDALARM IN GERASDORF - MANN MIT KOPFSCHUSS GETÖTET

Bei dem Tatverdächtigen, er ist ebenfalls russischer Asylwerber, soll es sich um einen 47-Jährigen handeln. Der Mann ist der Polizei nicht unbekannt: Er hat mehrere Vorstrafen.

Er ließ sich in der Nacht in Linz widerstandslos festnehmen. Die Staatsanwaltschaft Korneuburg hat eine Obduktion des Opfers angeordnet.

Waffe gefunden, Antrag auf U-Haft

Wie der KURIER erfahren hat, haben Ermittler im Umfeld des Tatorts inzwischen eine Schusswaffe sichergestellt. Derzeit wird geprüft, ob es sich um die Tatwaffe handelt. 

Der Verdächtige wurde mittlerweile in die Justizanstalt (JA) Korneuburg eingeliefert. Das bestätigte der Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Korneuburg, Friedrich Köhl, am Sonntagmittag. „Beim Landesgericht ist bereits ein Antrag auf Verhängung der U-Haft eingebracht worden“, teilte Köhl mit. Möglicherweise wird darüber noch am Sonntag entschieden.

Parallelen zu Mord in Floridsdorf 2009

Nun hat das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung die Ermittlungen übernommen.Die Ermittler hatten sich auch schon vor elf Jahre mit einem Mord beschäftigt, der sehr viele Parallelen aufweist.

Am 13. Jänner 2009 wurde der aus seiner tschetschenischen Heimat geflüchtete Asylwerber Umar Israilov in Wien-Floridsdorf auf offener Straße erschossen. Das Opfer hatte gegen Präsident Kadyrow ein Verfahren wegen Folter-Vorwürfen vor dem europäischen Menschenrechtsgerichtshof geführt.

Im Zuge des Mordprozesses gegen den Täter  Otto K. – ein angeblicher Kadyrow-Vertrauter –  äußerte die Wiener Staatsanwaltschaft die Vermutung, dass die Bluttat vom tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow in Auftrag gegeben worden sein soll. K. wurde schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt. 

Das Landesverwaltungsgericht war den Polizeibehörden damals wörtlich „Gleichgültigkeit“ und „Naivität“ vor. Hinweisen, dass Israilov eine mögliche Zielscheibe des tschetschenischen Regimes war, habe man „nicht ernst genug genommen“. Das Bedrohungsszenario für Israilov sei „unterschätzt“ und „heruntergespielt“ worden. 

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