Totalitär und zu allem fähig: So tickt Tschetschenen-Führer Kadyrow
Er gilt als einer der treuesten Unterstützer Wladimir Putins und wird mit zahlreichen Bluttaten in Verbindung gebracht.
07.07.20, 11:34
Wer ist Ramsan Kadyrow? Also jener Mann, der wegen des Mordfalls im niederösterreichischen Gerasdorf im internationalen Fokus steht. Ihn hatte der am Samstagabend erschossene, gebürtige Tschetschene Martin B. in einem Video wüst beschimpft. Jetzt ist B. tot - und viele Fragen sind offen.
Fragen, die auch ein Schlaglicht auf die tschetschenische Diaspora in Österreich werfen. Etwa 35.000 bis 40.000 Tschetschenen dürften in Österreich leben. Mehrheitlich kamen sie vor eineinhalb Jahrzehnten als Flüchtlinge ins Land. Vereinzelte Bluttaten erinnern die Diaspora zudem an einen langen Arm des brutalen Regimes von Kadyrow, das auch in Österreich Einfluss hat.
Macht durch Angst
Vorab: Kadyrow ist ein Zögling des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Der 43-Jährige ist Präsident der russischen Kaukasus-Republik. Er lässt sich allerdings "Oberhaupt" nennen - Präsident dürfe es in Russland nur einen geben, meinte er selbst in treuer Ergebenheit: Putin. Kadyrow hat den Wiederaufbau der Region nach den brutalen Tschetschenien-Kriegen (1994-1996 und 1999-2001) vorangetrieben. Er brachte Stabilität - durch Angst.
Seine Milizen, die "Kadyrowzy", werden von Menschenrechtsorganisationen für zahlreiche Entführungen und Morde verantwortlich gemacht. Gegen Kadyrow selbst wurden nach dem Mord an dem Tschetschenen Umar Israilov am 13. Jänner 2009 in Wien schwere Vorwürfe erhoben. Kadyrow hatte eine Verwicklung in die Tat zurückgewiesen.
2013 hatten die USA den mutmaßlichen Todesschützen im Fall Israilov gelistet, der nach der Flucht aus Österreich nach Tschetschenien dort als Polizist tätig war. Die USA verhängten Ende 2017 Sanktionen gegen Kadyrow wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen. Und das ist noch lange nicht das Ende der kaukasischen Fahnenstange.
Ein Blick zurück: Im ersten Tschetschenien-Krieg hatten der damals noch jugendliche Ramsan Kadyrow und sein Vater, der Mufti Achmat Kadyrow, noch gegen die russischen Einheiten gekämpft. Zu Beginn des zweiten Kriegs wechselten sie die Seiten.
2003, als sich die Tschetschenen in einem umstrittenen Referendum für den Verbleib bei Russland aussprachen, wurde Achmat Kadyrow Präsident. Ein Jahr später starb er bei einem Attentat in Grosny. Der mittlerweile getötete Rebellenanführer Schamil Bassajew übernahm später die Verantwortung für den Mord.
Kadyrows fulminanter Aufstieg begann 2004: Putin machte den erst 27-Jährigen zum tschetschenischen Vizepremier. Im März 2006 wurde er Regierungschef. Weil die tschetschenische Verfassung für das höchste Amt in der Teilrepublik ein Mindestalter von 30 Jahren vorsieht, wurde Ramsan Kadyrow erst 2007 auf Vorschlag Putins und ohne Gegenkandidaten zum Präsidenten "gewählt".
Bereit, für Putin zu sterben
Kadyrow junior bedankte sich gebührlich: Bei der Wahl der russischen Staatsduma im Dezember 2007 lieferte er der Putin-Partei Geeintes Russland das beste Ergebnis in ganz Russland: 99,36 Prozent der Stimmen der Tschetschenen bei einer Wahlbeteiligung von 99 Prozent. Und auch bei der Parlamentswahl 2016 votierten nach offiziellen Angaben 98 Prozent der Tschetschenen für Putins Partei.
Im August 2008 kämpften tschetschenische Soldaten an der Seite Moskaus in der von Georgien abtrünnigen Region Südossetien. Kadyrow taufte den Prachtboulevard im Herzen der Hauptstadt Grosny "Wladimir Putin Boulevard". Dem "entschlossenen Willen des nationalen Führers Putin" sei zu verdanken, dass Tschetschenien nicht "zum Brückenkopf des Terrorismus" geworden sei, begründete Kadyrow den Schritt. Im November 2017 erklärte Kadyrow sich bereit, für Putin zu sterben.
Was sich Kadyrow definitiv von Putin abgeschaut hat: Er versteht die Kunst der Selbstinszenierung und dementsprechend gibt es einen enormen Personenkult um seine Person. In Tschetschenien hängen großflächige Porträts Kadyrows über den Straßen. "Ramsan, wir sind stolz auf dich", ist darauf zu lesen.
Ermittlungen nach Tschetschenen-Mord
Treffen mit Gudenus
Kadyrow habe den Tschetschenen eine bis dahin unbekannte Stabilität gebracht, betonte Boris Dieckow von der Hilfsorganisation Cap Anamur. Tatsächlich ging der Wiederaufbau im ganzen Land, das etwa so groß ist wie die Steiermark, mit finanzieller Hilfe aus Moskau rasant vonstatten. Im Oktober 2008 eröffnete Kadyrow die Achmat-Kadyrow-Moschee in Grosny, die Platz für 10.000 Gläubige hat. Und er verteidigt den Islam: Er führte die Kopftuchpflicht für tschetschenische Beamtinnen ein, verbot das Glücksspiel, hat gleichzeitig nichts gegen Polygamie.
Für Aufsehen sorgte im Februar 2012 der Besuch einer FPÖ-Delegation bei Kadyrow. Unter ihnen war der damalige Wiener Klubobmann Johann Gudenus. Offizieller Grund für den Besuch war die Rückführung der rund 40.000 tschetschenischen Flüchtlinge aus Österreich in den Kaukasus. Kadyrow hatte den Freiheitlichen nach deren Angaben zugesagt, jedem Rückkehrer eine Wohnung zur Verfügung zu stellen. Eine größere Rückkehraktion fand jedoch bisher nicht statt.
"Totalitär": Minderheiten werden verfolgt
Menschenrechtsaktivisten haben es in Tschetschenien schwer. Die Situation sei dramatisch, berichtete der Russland-Experte von Amnesty International, Peter Franck, 2019. "Sie leben jeden Tag mit der Gefahr, überfallen, festgenommen, gefoltert oder getötet zu werden." Menschenrechtsarbeit sei so kaum noch möglich.
Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial wirft Kadyrow vor, ein "totalitäres" Regime errichtet zu haben. Der Grazer Völkerrechtler Wolfgang Benedek sieht außerdem Beweise für die Verfolgung von sexuellen Minderheiten der LGBTI-Community in Tschetschenien. Von Schikanen bis zu Exekutionen lauteten die Vorwürfe.
"Lieber einen schlagen, als Tausend begraben"
Auch im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie gab es Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen. So soll die Polizei Personen, die keine Gesichtsmasken trugen, angegriffen haben, berichtete Amnesty. Kadyrow verteidigte die Prügelstrafen. "Lieber einen schlagen, als Tausend begraben", sagte Kadyrow in einem bei Instagram veröffentlichten Video.
"Wer es nötig hat, den verprügle ich mit dem Schlagstock, wer es nötig hat, den schmeiße ich ins Gefängnis und in den Keller, aber ich werde mein Volk schützen." Die Reporterin Jelena Milaschina von der Zeitung Nowaja Gaseta hatte berichtet, dass Bewohner Angst hätten, mit Symptomen zum Arzt zu gehen.
Bei Verstößen gegen die Quarantänemaßnahmen gebe es Festnahmen, schrieb sie. Kadyrow nannte den Artikel "provokative und anti-tschetschenische Hetze" und rief die Behörden dazu auf, die Zeitung nicht mehr zu dulden und diese "Unmenschen" zu stoppen. Er wolle nicht zu einem "Verbrechen" gezwungen werden.
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