Datenschutzkämpfer oder Erpresser: Prozess um Google-Abmahnungen
Es ist ein ungleiches Bild, das sich der Richterin und den zahlreich erschienen Zuhörern am Freitag im Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen bietet. Auf der einen Seite ein zierlicher Mann Mitte 30. Neben sich ein dicker Laptop und unzählige Dokumente. Er wirkt verbissen, fast schon gereizt.
Ihm gegenüber sitzen fünf Männer in Anzügen, die sich wesentlich entspannter geben. Man könnte auch siegessicher sagen.
Sie alle sind da, um einen der größeren österreichischen Datenrechtsprozesse der jüngeren Vergangenheit zu klären. Bei dem alleine erschienen Anwalt handelt es sich um Marcus Hohenecker. Er bzw. seine Mandantin haben einen Frisör aus Amstetten geklagt.
Google als Streithelfer
Der Angeklagte ist am Freitag ebenfalls im Justizpalast erschienen. Ihm zur Seite die fünf erwähnten Juristen. Diese vertreten einerseits den Kleinunternehmer, andererseits sind sie als Streithelfer für den Milliardenkonzern Google vor Ort.
Dass es soweit kommen konnte, ist so zu erklären: Die Mandantin von Hohenecker, Eva Z., behauptet, durch das bloße Aufrufen von Seiten im Internet in ihrem Datenschutz verletzt worden zu sein. Konkret beklagt sie einen Kontrollverlust über ihre Daten und einen damit einhergehenden Gefühlsschaden.
Denn viele Webseiten bzw. deren Betreiber nutzen bei der Erstellung der Seiten von Google zur Verfügung gestellte Schriftarten. Diese sogenannten Google Fonts sorgen dann dafür, dass Daten der Website-Besucher, konkret IP-Adressen, an den Suchmaschinen-Giganten weitergegeben werden.
IP-Adressen machen einen Computer adressierbar. Problematisch ist das dahingehend, dass viele Website-Betreiber in ihren Datenschutzbestimmungen darauf nicht hinweisen. In vielen Fällen, weil sie schlichtweg nicht wissen, dass Google diese Informationen überhaupt sammelt und auch nicht, dass die Übermittlung personenbezogener Daten in die USA ohne Einwilligung grundsätzlich gegen die DSGVO verstößt.
Kranke Klägerin
Eva Z., die der Verhandlung krankheitsbedingt fernblieb, wollte das so nicht hinnehmen. "Sie ist massiv erbost und genervt, dass ihr Grundrecht auf Datenschutz negiert wird", erklärte ihr Anwalt am Freitag. Dieser Ärger brachte sie schließlich soweit, dass sie Hohenecker mit einer wahren Flut an Abmahnungen beauftragte. In diesen automatisierten Briefen wurden die Betreiber der Webseiten aufgefordert, die Datenschutzlücke zu beheben und 100 Euro Schadenersatz sowie 90 Euro für die Rechtsverfolgung zu bezahlen. Und zwar binnen 14 Tagen. Andernfalls ginge der Fall an die Datenschutzbehörde.
Dass die Klägerin krank ist, überrascht die Richterin laut eigener Aussage nicht: "Vergangene Woche bitten Sie mich noch, um Ausschluss der Öffentlichkeit, das lehne ich ab und jetzt ist sie erkrankt. Was hat sie denn?", fragte sie Hohenecker. Dieser antwortete sichtlich verärgert: "Die Frau ist auf Datenschutz bedacht, da frag ich sie das nicht."
Alle Seiten gereizt
Nicht nur Hohenecker und die Richterin sind während der mehr als zweistündigen Tagsatzung zunehmend gereizt. Auch die Verteidiger des Frisörs, der als Musterkläger die Verfahrenskosten von der Wirtschaftskammer bezahlt bekommt, zeigen sich nicht gerade erfreut, als Hohenecker nachträglich Dokumente einbringen will.
"Offenbar kenne ich ihre Schriftsätze besser als Sie selbst oder vielleicht haben Sie Ihre Klage verfrüht eingebracht", ist etwa zu hören - begleitet von Lachern aus dem Publikum. Die Vorsitzende muss die vielen interessierten Juristen, die den Prozess als Zuhörer verfolgen, ermahnen.
Hohenecker bestätigt schließlich, dass bis Juni vergangenen Jahres 519 solcher Briefe verschickt wurden. Als die Richterin ihn am Freitag fragt, ob es bis heute nicht sogar 32.000 Mahnbriefe hätten sein können, stellt er das nicht in Abrede.
Verwirrte Suchmaschine
Genau da wird es allerdings interessant. Denn während Eva Z. und Hohenecker in dem Musterverfahren im Landesgericht für Zivilrechtssachen wegen des angeblichen Datenschutzverstoßes auf Unterlassung und Schadenersatz klagen, sehen die Verteidiger des Angeklagten sowie die Streithelfer einen Rechtsmissbrauch.
Der springende Punkt: Sie halten es für unmöglich, dass die Klägerin Tausende von Webseiten gezielt und manuell angesteuert hat, um dort Datenschutzlücken zu entdecken. Es wird also bezweifelt, dass sie im Browser jede Internetseite eingetippt hat und diese dann aufgerufen. Stattdessen wird sie verdächtigt, für die Software eines IT-Unternehmers bezahlt zu haben - angeblich mehr als 30.000 Euro -, die solche Seiten für sie gesucht hat. Dieser Automatismus soll so weit gegangen sein, dass sogar die Mahnbriefe ohne zusätzliche Arbeit verschickt wurden.
Und selbst, wenn die Frau alle Seiten einzeln aufgerufen hätte, so sei nicht von einem Gefühlsschaden auszugehen, argumentieren die Google-Anwälte. Die dadurch generierten Daten wären in keiner Weise repräsentativ für das tatsächliche Online-Verhalten von Eva Z. "Sie meinen also, sie hat Google verwirrt?", fragt die Richterin und kann sich ein Schmunzeln dabei nicht verkneifen.
Hohenecker bestätigt die automatische Versendung der Schreiben, verneint aber den Software-Einsatz. "Ich habe ein achtminütiges Video das exemplarisch zeigt, wie meine Mandantin die betroffenen Seiten aufruft und identifiziert." Die Richterin will es nicht sehen.
"Mächtige Wirtschaftslobby"
"Dieser Musterprozess wurde medial von der mächtigen österreichischen Wirtschaftslobby vorbereitet. Die Berichterstattung konnte nicht ausgewogen sein", beklagt sich Hohenecker zwischendurch. Zudem meint er, aufgrund des Verfahrens, Opfer von Sachbeschädigung und Drohungen geworden zu sein. Die Richterin geht darauf nur bedingt ein: "Wir könnten uns auch der Rechtssache widmen."
Ein Zeuge, nämlich der beauftragte IT-Unternehmer, hat gegenüber der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die Verwendung einer Software für die Abmahnungen jedenfalls bestätigt. Hohenecker hingegen bestreitet den Einsatz des Programms vehement. Die Aussage deute lediglich auf die Verwendung des Webbrowsers Mozille Firefox hin. Ganz allgemein sieht er zudem nicht den Zusammenhang mit der Datenschutzverletzung: "Wenn man sich für den Aufruf einer Website rechtfertigen muss, dann haben wir keinen Datenschutz mehr."
Vertagt
Der durchaus chaotische Prozess um den "berühmtesten Frisör Österreichs", wie die Richterin ihn nennt, wird schließlich nach mehr als zwei Stunden auf September vertagt. Es werden nun neue Beweise aufgenommen, außerdem ist die Einvernahme von Klägerin Eva Z. noch ausständig. Der Frisör selbst gibt übrigens an, nie wirklich gewusst zu haben, was Google Fonts oder IP-Adressen sind. Dass an dem Mahnbrief was faul sei, habe er aber geahnt. "Wenn sie mehr verlangt hätten, hätte ich es vielleicht geglaubt und bezahlt. Nur fürs nächste Mal."
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ermittelte im Zusammenhang mit der Abmahnwelle gegen Hohenecker übrigens auch wegen gewerbsmäßiger Erpressung und schweren gewerbsmäßigen Betrugs. Im Jänner übergab die Staatsanwaltschaft den Fall an die WKStA. Die WKStA ist zuständig, wenn der Schaden eines Delikts fünf Millionen Euro übersteigt oder der Vorsatz auf eine entsprechende Summe gerichtet ist. Für alle genannten Personen gilt die Unschuldsvermutung.
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