Tausende Migranten erreichten am Montag Wiener Westbahnhof

Hunderte Flüchtlinge drängten in die Züge.
3.650 Flüchtlinge kamen am Montag laut Polizei an. Nahezu alle nach Deutschland weitergereist.

50 Kilometer Stau durch österreichische Schlepperkontrollen auf der ungarischen Seite. Verzweifelte Flüchtlinge, die einen neuen Weg nach Österreich suchten – und ihn in Budapest am Bahnhof vermeintlich gefunden haben. Sie stürmten Montagvormittag die Züge Richtung Österreich und Deutschland – und legten somit den Zugverkehr teilweise lahm. Und all das, nachdem Innenministerin Johanna Mikl-Leitner Montagvormittag bekannt gab, die "Schlagzahl gegen Schlepper" zu erhöhen.

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Zumindest auf der Straße funktionierte das. "Es kann zu Staus kommen. Aber die Rettung von Menschen hat Vorrang", meinte Mikl-Leitner. Die erste Bilanz: 200 Flüchtlinge seien aus Transportern gerettet worden, fünf Schlepper sind in Haft.

Am Budapester Ostbahnhof war die ohnehin seit Tagen angespannte Lage dafür Montagvormittag eskaliert. Unter Hunderten dort seit Tagen lagernden Flüchtlingen sorgten Gerüchte für wachsende Hysterie: Deutschland habe das Dublin-Abkommen endgültig ausgesetzt und würde jeden, der es dorthin geschafft habe, auch behalten, Österreich dagegen blockiere die Autobahnen.

Massenansturm

Die Folge war ein Massenansturm auf die Fahrkartenschalter, um irgendwie noch ein Zugticket nach Deutschland zu ergattern. In der Halle bildeten sich spontane Protestkundgebungen, bei denen lauthals "Deutschland, Deutschland" skandiert wurde. Die überforderte Polizei konnte nicht verhindern, dass die Züge in Richtung Österreich und Deutschland rasch völlig überfüllt waren. Der Flüchtlingsaktivist Marc Speer sagte in der ZiB2, es hätte wegen der katastrophalen Zustände am Budapester Bahnhof "ein Aufstand" gedroht, es hätte auch Tote geben können.

Die Züge fuhren – allerdings nur bis in die ungarische Grenzstadt Hegyeshalom. Dann blieben sie stehen. Die ÖBB übernahm einige Züge nicht. Sie waren völlig überfüllt. Die ungarische Polizei holte 300 Flüchtlinge aus dem Zug. "Wir unterscheiden nicht nach der Herkunft unserer Fahrgäste. Es geht um die Sicherheit", sagte ÖBB-Sprecher Braun. Massive Verspätungen im Zugverkehr waren die Folge. Einige Hundert Flüchtlinge schafften es bis Wien.

"Germany good"

Tausende Migranten erreichten am Montag Wiener Westbahnhof
epa04906391 An overview of congestion on the M1 motorway in Hegyeshalomin Hungary, 31 August 2015 caused by vehicle inspections at the Nickelsdorf Austria - Hungary border crossing. The queue has reached 20 kilometers in length as every vehicle capable of smuggling migants is checked by police on both sides of the Hungaro-Austrian border. EU interior ministers are to hold emergency talks on 14 September 2015 aimed at improving the bloc's response to the current migration crisis, the European Union's rotating presidency announced. Europe is grappling with the biggest flow of migrants since World War II. Many of them are fleeing war-torn countries such as Syria and Afghanistan, risking their lives in perilous journeys to reach affluent Western states. EPA/HERBERT P. OCZERET
Westbahnhof, 14.30 Uhr, die Pfeife des Zugführers ertönt. Eine Familie läuft bis zur Tür des Railjets. Es ist der Zug nach München. Er ist voll mit Flüchtlingen. Männer, Frauen, Kinder. Sie kommen vor allem aus Syrien und aus Afghanistan. "Syria not good", erzählt ein junger Mann. "Bombs". "München good, Germany good", sagt er.

Westbahnhof, 18.10 Uhr: Railjet 64 aus Budapest mit Planankunft 13.45 Uhr fährt ein. An Bord: Hunderte weitere Flüchtlinge. Empfangen werden sie von der Polizei und von freiwilligen Helfern, die Wasser und Bananen an die Ankommenden verteilen. Die meisten Flüchtlinge wollen jedoch sofort die Anschlusszüge nach Deutschland erreichen. Die Polizei hält sich zurück, Kontrollen gibt es nur wenige. "Der Westbahnhof ist kein Flughafen, den man absperren kann", sagt Polizeisprecher Roman Hahslinger gegenüber der APA. Es kommt zu turbulenten Szenen.

Nach Angaben von Dienstagfrüh sind weit rund 3650 Flüchtlinge am Montag aus Ungarn kommend in Wien eingetroffen. Rund 1.500 davon haben die Hauptstadt bereits wieder verlassen und sind auf dem Weg Richtung Salzburg bzw. nach München. Etwa 500 Schutzsuchende haben die Nacht auf Dienstag am Wiener Westbahnhof verbracht, sagte Polizeisprecher Patrick Maierhofer.

Stillstand

Tausende Migranten erreichten am Montag Wiener Westbahnhof
epa04906339 An Austrian police officer checks a vehicle in order to detect possible human smugglers near Siegenedorf, Austria, 31 August 2015. EU interior ministers are to hold emergency talks on 14 September 2015 aimed at improving the bloc's response to the current migration crisis, the European Union's rotating presidency announced. Europe is grappling with the biggest flow of migrants since World War II. Many of them are fleeing war-torn countries such as Syria and Afghanistan, risking their lives in perilous journeys to reach affluent Western states. EPA/PETER NYIKOS HUNGARY OUT
Auf den Straßen hingegen ging gar nichts mehr – und das wird in nächster Zeit auch so bleiben. Die Kontrollen – als Antwort des Innenministeriums auf die Flüchtlingstragödie der Vorwoche am Sonntagabend gestartet – sollen bis auf unbestimmte Zeit durchgeführt werden. Nicht nur im grenznahen Raum zu Ungarn, sondern auch in Wien, NÖ und an der Grenze zu Deutschland. "Das Verhalten der Schlepper hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten dramatisch verändert. Wir wollen ihnen das Handwerk legen", sagt Konrad Kogler, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit.

Rund um die Uhr

Stoßstange an Stoßstange reihten sich Lkw Montagvormittag am Grenzübergang Nickelsdorf. "Insgesamt 54 Beamte sind rund um die Uhr bei den Verkehrskontrollen im Einsatz", sagt Polizeisprecher Helmut Marban. "Es handelt sich dabei um Sichtkontrollen. In Verdachtsfällen wird überprüft."

Ein ähnliches Bild bot sich in Deutschkreutz: Vor dem ehemaligen Zollamt bildete sich ein Stau bis an das rund 400 Meter entfernte ungarische Grenzgebäude. "Beim Zoll war es toll", hatte jemand auf die verstaubten Fenster gekritzelt. Eine Polizeibeamtin kontrollierte seit den Morgenstunden gemeinsam mit ihrem Kollegen jede Ladefläche. "Bis jetzt haben wir nichts gefunden. Aber wer weiß, was wir noch entdecken."

Dass es Kontrollen gibt, wissen die Lkw-Chauffeure. "Die haben ein gutes Netzwerk", erklärt die Polizistin. "Ich fahre sonst über Nickelsdorf. Aber weil man dort heute drei Stunden warten muss, bin ich über Deutschkreutz ausgewichen", sagt Lajos Hajos, der mit seiner Fracht nach Wiener Neustadt unterwegs ist. Angesichts des Flüchtlingsdramas auf der A4 haben die Lkw-Chauffeure durchwegs Verständnis für die Kontrollen. "Aber für uns ist es halt nicht so gut, wenn es Staus gibt", bringt es ein anderer ungarischer Fahrer auf den Punkt. Eine Pkw-Fahrerin findet die Kontrollen gut: "Dadurch gibt es eine Chance, dass mehr Schlepper gefasst werden und so eine Katastrophe wie auf der A4 nicht mehr geschieht."

Spur nach Deutschland

Zwei der fünf festgenommenen mutmaßlichen Schlepper seien bereits in Deutschland aufgefallen, berichtete am Montag "Spiegel Online". Einer von ihnen war demnach sogar zur Fahndung ausgeschrieben. Auf den 29-jährigen Bulgaren sei die Polizei unter anderem wegen Menschenschmuggel gestoßen.

Fest steht nun auch, dass die Schlepper das Fahrzeug mit den Leichen bereits am vergangenen Mittwoch um 9 Uhr an der Autobahn abgestellt hatten – aufgefallen war der Laster der Polizei erst am Donnerstagvormittag.

In Ungarn beantragte der Staatsanwalt am Montagabend die U-Haft für den fünften Verdächtigten. Der Bulgare soll mit den anderen vier verdächtigten Schleppern kooperiert haben.

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