Prinz Andrew wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt
Skandalisierbares aus dem britischen Königshaus für die Zeitungen zu liefern, das war bis gerade eben scheinbar exklusiv den aus Verdruss nach Kalifornien ausgewanderten Eheleuten Prinz Harry und Herzogin Meghan vorbehalten. Schichtwechsel.
Am Montagabend trat ein anderer Royal, der sich nach einem für ihn desaströsen Fernseh-Interview vor eineinhalb Jahren von allen königlichen Repräsentations-Pflichten lossagte und in die Versenkung verabschiedet hatte, unfreiwillig wieder ins Rampenlicht. Und damit auch der Fall Jeffrey Epstein.
Prinz Andrew, Lieblingssohn der Queen, ist vor einem Bundesgericht in New York City offizielle Aktenlage geworden. Virginia Giuffre (Mädchen-Name: Roberts), seit Jahren die entschiedenste Stimme aus dem mutmaßlichen Kinder-Sex-Sklavinnen-Ring des im Gefängnis durch Suizid gestorbenen Multi-Millionärs Epstein, hat den Herzog von York wegen sexuellen Missbrauchs verklagt. Zivilrechtlich. Die Fälle liegen fast 20 Jahre zurück.
Giuffre, inzwischen Ende 30, verheiratet und Mutter, will eine unbestimmte Summe Schadensersatz für sich und Strafe für den Monarchen-Sohn.
Nachdem der Schriftsatz ihres Top-Anwaltes David Boies in Manhattan eingegangen war, sagte Giuffre: „Ich mache Prinz Andre dafür verantwortlich, was er mir angetan hat. Die Mächtigen und Reichen sind nicht davon ausgenommen, für ihre Taten zur Verantwortung gezogen zu werden. Ich hoffe, dass andere Opfer sehen werden, dass es möglich ist, nicht in Schweigen und Furcht zu leben, sondern sein Leben zurückzufordern, indem man seine Stimme erhebt und Gerechtigkeit verlangt.”
Konkret wirft Giuffre dem Adligen vor, was seit Jahren in sämtlichen Berichten und Porträts über sie und ihre ungesunde Liäson zu Epstein zu lesen ist: Dass sie 2001 und 2002, damals 16, 17 Jahre alt und noch minderjährig, auf Geheiß und Druck von Epstein und seiner im kommenden November in New York vor dem Richter stehenden Vertrauten Ghislaine Maxwell (auch) Prinz Andrew als Sexobjekt dienen musste.
Mal in Maxwells Haus im Londoner Stadtteil Belgravia. Mal in Epsteins Haus auf der feinen Upper East Side in New York. Mal (im Gruppensex-Format) auf Epsteins Privatinselreich in der Karibik auf den Virgin Islands.
In der Klageschrift heißt es, dass Giuffre „Furcht vor dem Tod oder körperlicher Verletzung” hatte, wenn sie Prinz Andrew, Epstein oder Maxwell nicht gehorcht hätte. Diese Leute verfügten aus ihrer Sicht über „mächtige Verbindungen, Reichtum und Autorität”. Bis heute, sagt Giuffre, sei sie durch diese Begegnungen „emotional und psychisch schwer geschädigt”.
Giuffre arbeitete nach eigenen Angaben als Heil-Masseurin im Mar-a-Lago-Ressort des amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump, als sie Epstein/Maxwell als junges Mädchen in die Hände fiel.
Aus freigegebenen Gerichtsunterlagen geht hervor, dass Giuffre von dem Duo fortgesetzt sexuell missbraucht worden sei. Mit klaren Direktiven („Mein Job war es, ihn zu unterhalten”) sei sie auch an Dritte wie Prinz Andrew durchgereicht und dafür mit Honoraren von bis zu 1000 $ entlohnt worden. Der Sohn der Queen, schrieb Giuffre laut „New York Post”, „liebte meine Füße und leckte sogar zwischen meinen Zehen”.
Ende 2019, als der öffentliche Druck zu stark geworden war, ließ sich Prinz Andrew dazu von der BBC-Top-Journalistin Emily Maitlis ausführlich vernehmen. Was in einer denkwürdigen Katastrophe endete. Andrew bestritt vehement alle Vorwürfe, wirkte aber wahlweise hemdsärmelig bis grauenhaft schlecht vorbereitet.
Er habe „keine Erinnerung” an ein Treffen mit Giuffre, beteuerte er. Und was den sexuellen Missbrauch anbelangt: „Ich kann Ihnen absolut kategorisch sagen, es ist nie geschehen”, versicherte er der Moderatorin. Schließlich sei er am besagten Abend der angeblich ersten sexuellen Begegnung mit Giuffre mit seiner Tochter in einer anderen Stadt gewesen. In einer Pizzeria. Ein Foto, das ihn und Giuffre (damals: Roberts) vor dem Intimwerden relaxed eng beieinander und lächelnd in Maxwells Haus zeigt, bezeichnete der Prinz als ihm unerklärlich und mögliche Fälschung.
Virginia Giuffre, die 2020 ausführlich in der Netflix-Doku-Serie „Jeffrey Epstein: Filthy Rich” zur Wort kam, ging kurz danach ins britische Fernsehen und schilderte facettenreich und unter Tränen, dass man vor dem Sex gemeinsam getanzt habe und dass der Prinz so doll geschwitzt habe, dass „es überall hinregnete“. Für sich nahm sie in Anspruch, niemals das Gesicht von jemandem zu vergessen, „der sich über einen gehievt hat”.
Nach Umfragen schenkten kaum fünf Prozent der Briten Prinz Andrews Ich-kenne-diese-Dame-gar-nicht-Beteuerungen Glauben. Vor allem sein Versuch, im Fernsehen vor einem Millionen-Publikum seine gut dokumentierte Freundschaft zu Epstein zu verharmlosen und wegzureden, stieß sauer auf. Später, so viel zu der Beteuerung, er kenne Virginia Giuffre gar nicht, tauchte eine E-Mail auf, in der sich Prinz Andrew an Epsteins „Kuppelmutter” Ghislaine Maxwell wendet und ankündigt, er habe konkrete Fragen - „wegen Virginia Roberts”.
Giuffres Anklage wurde zu einem symbolisch und faktisch wichtigen Zeitpunkt eingereicht. Sie selbst wurde am Montag 38 Jahre alt. Der amtlich beurkundete Selbstmord von Jeffrey Epstein in einer New Yorker Gefängniszelle liegt heute (Dienstag) genau zwei Jahre zurück. Giuffres Klage bezieht sich auf den „Child Victims Act”, ein Gesetz im Bundesstaat New York, das Missbrauchsopfern auch Jahre danach noch die Möglichkeit gibt, ihre Peiniger zu belangen. In dieser Woche wäre laut US-Medien die entscheidende Frist abgelaufen.
Weder das Gericht in New York noch Prinz Andrew selbst oder dessen Anwälte haben bisher (Stand: 5 Uhr MEZ) zu der neuen Entwicklung Stellung genommen. Justiz-Experten in US-Medien sind nun gespannt, wie Prinz Andrew auf eine etwaige Vorladung als Zeuge reagieren wird. 2020 hatte der New Yorker Staatsanwalt Geoffrey Berman bemängelt, dass Prinz Andrew „null Kooperation gezeigt hat”, um gegenüber der Bundespolizei FBI bei der Aufklärung im Epstein-Komplex behilflich zu sein.
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