Wild und Jäger leiden unter dem Lockdown
Skitourengeher, die es in Karawanen ins freie Gelände zieht. Wanderer, die mit Stirnlampen die Nacht im Wald zum Tag machen. Familien, die ihre Hunde frei laufen lassen. Kurzum: Massen, die die Nase voll vom Lockdown haben, zieht es in die Natur. Das sorgt für Konfliktherde.
Corona- bzw. Quarantäne-bedingt dringen immer mehr Menschen in den Lebensraum der Wildtiere vor. Sie verscheuchen das hochsensible Rot-, Reh- oder Schwarzwild von den Futterplätzen. Das erhöht nicht nur die Sterblichkeit des Wildes (siehe unten), sondern bringt auch die Jägerschaft in die Bredouille. In betroffenen Gebieten kommen die Jäger den Abschussplänen kaum hinterher.
In Tirol konnte im Jahr 2020 beim Rotwild (Hirsch) die Abschussquote etwa nur zu 85 Prozent erfüllt werden, bei Rehen zu 86 Prozent und beim Gamswild gar nur zu 79 Prozent.
Die behördlich genehmigten Abschussquoten sind allerdings keine unverbindlichen Empfehlungen. Jagdleiter und Pächter drohen im Falle eines Verstoßes empfindliche Geldstrafen.
10.000 Euro Strafe
Einige Bezirksverwaltungsbehörden in Tirol kennen da kein Pardon. „Ich kenne Entscheidungen, bei denen die Strafe 10.000 Euro ausgemacht hat“, berichtet Landesjägermeister Anton Larcher.
Das Problem mit unerfüllten Abschussquoten ist in Kärnten ein ganz ähnliches. Zuletzt konnte der Plan beim Rotwild nur zu 86 Prozent, bei Rehen zu 80 Prozent und beim Gamswild überhaupt nur zu 73 Prozent erfüllt werden. Strafen verhängen die Behörden hier aber nicht.
Gerade in Oberkärnten, wo die enormen Schneemengen dem Wild zusetzen, löst das rücksichtslose Verhalten vieler Freizeitsportler Kopfschütteln aus. „Das Wild wird immer mehr von Tourengehern beunruhigt, die kreuz und quer im Gelände unterwegs sind“, erzählt der Verwaltungsdirektor der Jägerschaft, Mario Deutschmann.
Eine Beobachtung, die Ludwig Lerchbaumer, Jagdschutzorgan in Mallnitz, bestätigt. Fünf Skitourengeher, die mitten in der Winterruhezone unterwegs waren, konnte er erst kürzlich anhalten. Ihre Reaktion? „Sie wollten nicht dort fahren, wo alle fahren. Das ist Egoismus pur.“
Disziplinlosigkeit ist das Hauptproblem
In Salzburg ist es dasselbe. „Wir hören von Sportlern immer wieder: Ich muss wegen Corona eh schon auf so viel verzichten, da lasse ich mir am Berg nicht noch vorschreiben, wo ich runterfahren darf“, schildert Jägerin Birgit Eberlein.
In Niederösterreich herrschen in niederen Lagen zwar nicht dieselben Witterungsverhältnisse wie in hochalpinen Gebieten. Schneebedeckte Wiesen sind eher die Ausnahme. Probleme mit Freizeitsportlern kennt man aber auch hier.
Wobei es nicht so sehr auf deren Anzahl, sondern in erster Linie auf deren Verhalten im Wald ankäme, wie Florian Fritz betont. Der Jagdpächter und -aufseher im Dienst von Stift Heiligenkreuz bejagt mit anderen 700 Hektar im Wienerwald.
„Ich habe nichts gegen Waldtouristen. Und die hundert Leute, die in der Quarantäne mehr in den Wald kommen, sind auch nicht das Problem“, sagt er. Zu Konflikten käme es bloß durch jene, die sich nicht an Regeln hielten; die sich abseits der Forstwege bewegen und ihre Hunde von der Leine lassen. Oder in der Finsternis mit Stirnlampen das nachtaktive Schwarzwild verscheuchen – und so die Jäger behindern, die dafür sorgen sollen, dass Wildschweine keine Wildschäden verursachen. Die Lösung könne hier nur in einem Miteinander von Waldtouristen und Jägern liegen, meint Fritz.
„Nur eine Ausrede“
Dass die Abschusspläne Quarantäne-bedingt schwer zu erfüllen seien, lässt Andreas Januskovecz jedenfalls nicht gelten. Für den Forstdirektor der Stadt Wien müssten sie sogar nach oben statt nach unten korrigiert werden. Das Argument „Corona“ sei bloß eine „willkommene Ausrede der Jägerschaft, um von eigenen Fehlern in der jagdlichen Bewirtschaftung abzulenken“, meint er. Denn weil es immer mehr zahlungswillige Jäger gebe, habe auch die Wildpopulation enorm wachsen müssen.
Die Gegenmaßnahme könne nur lauten: „Mehr und richtig schießen.“ Erlege man etwa Weibchen, die keine Jungen führen, beeinflusse man damit das Wachstum nachhaltig.
Zudem, so der Chef des Wiener Forstbetriebs (MA49), wäre das Problem vermeidbar gewesen. „Die Abschusspläne erfüllt man im Sommer und im Herbst und nicht jetzt im Winter, wenn Schnee liegt.“ Zumal für Rot- und Rehwild ohnehin Jagdruhe herrscht.
Wildbiologe Klaus Hackländer von der BOKU Wien sieht nicht zuletzt die Behörden gefragt, die gemeinsam mit den Grundbesitzern freiwillige Verzichtszonen für Waldbesucher definieren könnten. Die müssten da allerdings mitspielen.
Wildtiere im Schnee
Störfaktor Mensch
Erhöhte Wildsterblichkeit
„Man nimmt Tierleid in Kauf, wenn man sich im Wohnzimmer des Wilds bewegt“, mahnt Klaus Hackländer, Leiter des Instituts für Wildtierbiologie und Jagdwirtschaft an der BOKU Wien. Insbesondere im Winter, wenn kaum Nahrung zu finden sei und Hirsch, Reh und Co. ohnehin von ihren Energiereserven zehren. „Da ist es wichtig, dass sie nicht gestört werden.“ Weniger Nahrung einerseits und ein erhöhter Kraftaufwand andererseits – etwa um in alpinen Gebieten durch den hohen Schnee vor Freizeitsportlern zu flüchten – führe zu einer erhöhten Wildsterblichkeit.
Steinböcke und Paragleiter
Wobei nicht jedes Tier auf jeden Störfaktor gleich reagiert, wie Autor Paul Ingold im Nachschlagewerk „Freizeitaktivitäten und Wildtiere im Alpenraum“ darlegt. Nachdem erforscht wurde, wie etwa Steinböcke auf Gleitschirme oder Murmeltiere auf Wanderer (mit und ohne Hund) reagieren, weiß man, dass Gewöhnung, Aktivität und Geschlecht Faktoren sind. Aktive (z. B. fressende) Tiere sind empfindlicher als ruhende, weibliche mit Jungen sind leichter aufzuschrecken als männliche.
Auf den Forstwegen bleiben
Entlang von Forstwegen ist das Wild Menschen gewöhnt. Kreuzt man abseits davon allerdings seine Wege, verscheucht man es. Störungen aus der Luft wirken stärker als solche auf Augenhöhe. Und auch Lärm erzeugt Panik bei den Tieren. Sehr empfindlich reagieren sie auf mitgeführte Hunde.
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