Totgeglaubte leben länger: Esche hat in heimischen Wäldern Zukunft
Einen Stamm nach dem anderen nimmt Heino Konrad in Augenschein. Doch das, was er sucht, lässt sich einfach nicht finden. „Die sind alle gesund!“, sagt er, während er sich weiter durch die langen Baumreihen auf der Versuchsanlage kämpft.
Problem ist das aber keines – im Gegenteil.
Rettung der Esche in Österreich
Es sind sogar hervorragende Nachrichten. Für den Wissenschafter des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW), aber vor allem auch für die heimischen Wälder. Denn das Projekt "Esche in Not" in Tulln hat sich der Rettung der alteingesessenen Baumart in Österreich verschrieben. Ein Unterfangen, das noch vor zehn Jahren für viele unmöglich schien.
„Unseren Ergebnissen zufolge kann man davon ausgehen, dass in zweiter Generation 50 Prozent der Nachkommen krankheitstolerant sind“
Bedrohungen für die Esche
Denn damals fielen die Eschen in den heimischen Wäldern massenweise einem Pilz zum Opfer, Hymenoscyphus fraxineus. Dieser wurde aus Ostasien eingeschleppt und verbreitete sich rasant in Europa. In Österreich wurde er 2005 das erste Mal nachgewiesen. „Wir hatten zunächst gehofft, dass er sich auf die Auen und Schluchten beschränken wird, aufgrund der feuchten Luftverhältnisse“, erzählt Konrad.
Doch der Pilz hielt sich nicht an die wissenschaftliche Einschätzung; immer mehr Eschen waren vom sogenannten „Eschentriebsterben“ betroffen, mit der Folge, dass sie aus heiterem Himmel umstürzen konnten. Vor allem in jenen Wäldern, die auch der Erholung dienen, aber auch im Siedlungsbereich, wurden sie für Menschen zur Gefahr.
Hymenoscyphus fraxineus war damit nicht mehr länger nur ein forstwirtschaftliches Problem, sondern auch eines, das Leib und Gut bedroht. Der Pilz wurde zu einem Problem, das in der breiten Öffentlichkeit Auswirkungen zeigte – und damit auch Gegenstand der politischen Agenda.
Eschentriebsterben in Europa
„Der gesellschaftliche Druck hat sicher dazu beigetragen, dass wir unsere Forschungen in diesem Maßstab umsetzen konnten“, sagt Konrad heute. Denn erst so wurde eines der größten Forschungsprojekte zum Eschentriebsterben in Europa auf die Beine gestellt, das vom Landwirtschaftsministerium, den Landesforstdirektionen aller Bundesländer, der Landwirtschaftskammer, dem Forstverein sowie den Naturschutzabteilungen der Länder Salzburg und Oberösterreich finanziert wurde.
2015 begann ein Team des BFW und der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) damit, dem heimtückischen Baumpilz auf den Grund zu gehen. Und somit eine ganze Baumart für die heimischen Wälder zu bewahren. Wofür es zunächst vor allem eines brauchte: Bäume, Bäume und nochmals Bäume, und zwar zunächst in Form von Saatgut aus ganz Österreich.
„Die Esche ist eine Zukunftsbaumart. Wir hoffen, dass das Projekt verlängert wird, da es noch immer viel zu erforschen gibt“
Dem Pilz auf der Spur
Mittlerweile sind die im BFW-Versuchsgarten in Tulln angepflanzten Bäume herangewachsen. Insgesamt 700 Mutterbäume wurden 2015 und 2017 als Grundlage für den Versuch ausgewählt, da sie besondere Eigenschaften besaßen. „Die Mütter waren Bäume, die in einem Waldbestand von befallenen Eschen standen, jedoch gesund oder im Verhältnis zum Rest zumindest nur gering geschädigt waren“, erklärt Konrad. Denn um das Eschentriebsterben zu bekämpfen, musste die Natur selbst aktiv werden; es wurde nach Bäumen gesucht, die eine Krankheitstoleranz entwickelt hatten. Und nun, fast zehn Jahre später, kann man mit Stolz sagen: Sie wurden gefunden.
„Es gibt keine 100-prozentige Resistenz, da der Befall auch stark vom Standort abhängt. Aber unseren Ergebnissen zufolge kann man davon ausgehen, dass in zweiter Generation 50 Prozent der Nachkommen krankheitstolerant sind“, so Konrad. Eine Erkenntnis, die auch international bestätigt wird; es lässt sich ein Lerneffekt in der Natur beobachten. Sowohl beim Umgang der Bäume mit dem Eschentriebsterben als auch beim ursächlichen Pilz.
Lebensraum der Esche schützen
Denn dieser braucht Eschen, um zu überleben. Greift er die Bäume aber zu sehr an, beraubt er sich selbst seines Lebensraums. Im Gegenzug dazu müssen Eschen erlernen, Hymenoscyphus fraxineus Einhalt zu gebieten. Wobei eine Eschenart dieses Verhalten bereits perfektioniert hat.
„Die ostasiatische Mandschurische Esche – die Art, an der der Pilz heimisch ist –, wirft ihre Blätter sehr zeitig ab. Dadurch hat der Pilz weniger Möglichkeiten, in Triebe und den Stamm einzudringen“, veranschaulicht Konrad. Denn dort schädigt und schwächt er den Baum, was pilzlichen Fäulniserregern erlaubt, in die Wurzeln einzudringen. So erklärt sich auch, warum befallene Eschen bis hin zur Krone begrünt bleiben können – aber dennoch im nächsten Moment umstürzen.
Forschung und Praxis
Eine Reaktion der Natur ist aber freilich eine Frage von vielen Jahren. Denn die Gemeine Esche, die häufigste Eschenart in Österreich, tut es ihrer asiatischen Verwandten leider nicht gleich; diese Art behält ihre Blätter, erst beim ersten Frost wirft sie ihr Laub ab – dadurch hat Hymenoscyphus fraxineus Zeit, ihr „Immunsystem“ zu überwinden.
Um diese und noch viel mehr Erkenntnisse zu gewinnen, arbeiteten das BFW und die BOKU nun fast zehn Jahre lang in zwei Projektperioden. Dabei waren die Dimensionen beachtlich: Pro Mutterbaum wurden im Schnitt 50 Nachkommen gezogen. Drei Jahre lang wurde jeder von den 35.000 Jungbäumen beobachtet, ob und wie stark er von der Krankheit befallen wurde. Außerdem dokumentierten die Wissenschafter das Höhenwachstum der Bäume und wie sie austreiben.
In einem weiteren Schritt wurden die Bäume durch Stecklinge oder Pflanzenveredelung vermehrt. Langfristig soll das dadurch produzierte Saatgut an die Baumschulen verteilt bzw. vom BFW aufbewahrt werden, um die Esche auf Dauer in den österreichischen Wäldern zu sichern.
Donau-Auen: Viele Diskussionen
So weit das wissenschaftliche Vorgehen. Doch wie soll es nach neun Jahren der Forschung nun weitergehen? „Wir hoffen, dass das Projekt verlängert wird, da es noch immer viel zu erforschen gibt; zum Beispiel wollen wir uns die Krankheitstoleranz der ausgewählten Jungbäume an Waldstandorten anschauen, an denen die Sporenlast sehr hoch ist“, sagt Konrad. Vorrangiges Ziel ist es aber natürlich, die Gemeine Esche in Österreich zu bewahren. „Die Esche ist eine Zukunftsbaumart“, ist Konrad überzeugt. Denn sie liefere nicht nur gutes Holz, sondern kann auch gut mit Trockenheit und Wetterextremen umgehen.
Umso wichtiger war es, das Aussterben durch das Eschentriebsterben zu verhindern. Vor allem rund um die Donau-Auen sorgte der Umgang mit dem Pilz für emotionale Diskussionen: Während Waldbesitzer große Bestände der Eschen entfernten, um die Gefahr für Menschen zu minimieren, pochte die Wissenschaft darauf, nur erkrankte Eschen aus den Wäldern zu entnehmen, damit sich Resistenzen gegen den Pilz bilden können. Die Forschung sollte recht behalten.
Nun gehe es darum, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis zu übersetzen. Entscheidend wird sein, Mischbestände aufzubauen und die genetische Vielfalt im Wald zu erhalten. „Die Esche ist fast über dem Berg“, ist Konrad sicher, als er auf der Versuchsanlage in Tulln weiter nach erkrankten Trieben Ausschau hält. Und das inmitten des dichten Blattwerks jener Bäume, die vor zehn Jahren tot geglaubt wurden.
Kommentare