Europas Angst vor dem Terror und die Furcht vor Pauschalisierungen

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Terror-Pläne in Wien, Schüsse in München: Die Gefahr von Anschlägen nimmt zu, Europa hat Angst. Und ganze Bevölkerungsgruppen fürchten sich vor Pauschalisierungen.

Der junge Mann geht ziellos umher. So scheint es zumindest. Er trägt eine rote Hose, sein Pullover ist schwarz, die sind es Turnschuhe ebenso. Hätte er nicht ein Repetiergewehr in der Hand, könnte man meinen, er ist an diesem sonnigen Donnerstag nach München gekommen, um die Stadt zu erkunden.

Tatsächlich ist er hier, um in der Nähe des NS-Dokumentationsarchivs Menschen zu töten. Er legt das Gewehr an und schießt, der Rückstoß wirft ihn fast zu Boden. Sirenen heulen im Hintergrund. Kurz darauf wird er von der Polizei erschossen.

Die Ermittlungsbehörden vermuten ein islamistisches Motiv, immerhin ist Emrah I. aus Salzburg schon in der Vergangenheit aufgefallen.

7 Anschläge in 10 Monaten

Sieben islamistische Anschläge hat es in Westeuropa in den vergangenen zehn Monaten gegeben. Darunter in Mannheim im Mai, in Solingen im August. Nicht zu vergessen der vereitelte Anschlag auf ein Taylor-Swift-Konzert in Wien. Erst vergangene Woche hat der KURIER am Sonntag deshalb einen Schwerpunkt zum Thema Islamismus veröffentlicht.

Nun ist es ein Österreicher mit bosnischem Migrationshintergrund, erst 18 Jahre alt, der eine Stadt kurz in Panik versetzt hat. Expertinnen und Experten sind sich einig: Die Gefahr von islamistischen Anschlägen in Europa wird größer.

„Der IS wurde zerschlagen, deshalb versuchen jetzt die übrig gebliebenen Splittergruppen, junge Menschen zu Anschlägen zu mobilisieren, um Aufmerksamkeit zu erregen“, sagt Integrationsexperte und Soziologe Kenan Güngör. Als Anlass dient der Krieg im Gazastreifen. Die Botschaft sei: Wenn ihr euch unserer weltpolitischen Mission anschließt, werdet ihr zu Helden. Für junge, desorientierte Burschen eine verlockende, verheerende Verheißung.

Kenan Güngör

Kenan Güngör

Während sich Angst in der Gesellschaft ausbreitet und sich Politiker in Schuldzuweisungen üben – FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker forderte am Donnerstag den Rücktritt von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadić (Grüne) – gibt es noch eine weitere, oft vergessene Dimension: Communitys, die in Generalverdacht geraten.

„Ich kenne Afghanen in Österreich, die gar nicht mehr sagen wollen, woher sie stammen. So sehr schämen sie sich für ihre Landsleute“, sagt Güngör. Er meint extremistische junge Männer, die Gewalt verherrlichen und westliche Werte ablehnen.

Knapp 100.000 Bosnier

Diesmal ist es die bosnische Community, die Verallgemeinerungen abbekommt und fürchtet, sich rechtfertigen zu müssen. 99.837 bosnische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger leben laut Statistik Austria derzeit in Österreich. Die Großteil kam in den frühen 1990er-Jahren während des Bosnienkriegs.

Das reicht sogar bis ins Herkunftsland. „Und während wir diese Nachrichten sehen, kommen wir nicht umhin, uns zu fragen: Wo hat die Gemeinschaft versagt, wo haben wir alle versagt?“, fragt sich das bosnische Online-Nachrichtenportal Poskok anlässlich der Schüsse in München.

Natürlich stelle sich die Identitätsfrage für Zugewanderte stärker, sagt Güngör. Doch die meisten würden das Potenzial sehen, beide Welten zu kennen.

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