Vereitelter Anschlag durch Salzburger: Vom Einser-Schüler zum Terror-Schützen
Die Jalousien sind heruntergelassen, die Arztpraxis in dem Haus in der beschaulichen Wohnsiedlung im Stadtteil Sighartstein in der Salzburger Gemeinde Neumarkt am Wallersee ist am Freitag geschlossen.
Das Gebäude, in dem Emrah I. mit seinen Eltern lebte, wurde am Donnerstag im Zuge des Polizeieinsatzes evakuiert, auch die Nachbarn der umliegenden Häuser wurden kurzfristig in Sicherheit gebracht.
Der 18-Jährige ist jener Jugendliche, der am Donnerstagvormittag versucht haben soll, einen Anschlag in München zu verüben, und von der Polizei erschossen wurde.
Erste Details
Über den Einsatz oder die Familie will am Tag danach niemand der direkten Nachbarn sprechen. Haustüren werden zugeschlagen, Fenster rasch nach oben gekurbelt.
Ein paar Häuser entfernt steigt der 15-jährige Samuel gerade auf seine Motorcross-Maschine. Er habe ihn von früher gekannt, sagt er. „Wir sind in die gleiche Volksschule gegangen, da haben wir uns gut verstanden. Er war ein paar Klassen über mir, dann haben wir den Kontakt verloren“, schildert der 15-Jährige. Niemals hätte er sich vorstellen können, dass der 18-Jährige zu so etwas fähig wäre.
Das Warum ist eine der großen Fragen, mit denen sich die Ermittler nun beschäftigen müssen.
Einige Details aus dem Leben von Emrah I. sind am Freitag schon bekannt geworden. Die Eltern des 18-Jährigen sind während des Jugoslawienkrieges nach Österreich gekommen und haben sich in Salzburg eine neue Existenz aufgebaut. Beide berufstätig, gläubig, aber nicht radikal. Schönes Haus, zwei Söhne.
Folgen der Pandemie
Die Kinder werden beide als intelligent beschrieben, sie besuchten den Zweig Elektrotechnik einer HTL. Emrah sei ein Einser-Schüler gewesen, sagt ein Mädchen.
Während der Corona-Pandemie soll sich dann der Ältere der beiden verändert haben, er wurde verhaltensauffällig und ein Einzelgänger. Das Erscheinungsbild ließ aber keine Anzeichen der Radikalisierung erkennen, keine auffällige Kleidung, kein Bartwuchs.
„Ich bin mit ihm aufgewachsen, wir haben uns regelmäßig bei Familienfeiern gesehen. Er war voll der Nette, nur recht still und in sich gekehrt“, erzählt ein Mädchen. „Nur irgendwann habe ich das Gefühl gehabt, er ist ein bisschen abgedriftet, er ist dann auch immer mehr in die Moschee gegangen und hat darüber gesprochen.“
Zwischenfälle in der Schule
In der Schule soll es dann zu Zwischenfällen mit den Mitschülern gekommen sein, Hänseleien, weil er anders war. So lange, bis Emrah I. eines Tages zuschlug.
Die Polizei wurde eingeschaltet. Nach umfassenden Befragungen soll sich die Exekutive 2021 zu einer Hausdurchsuchung entschieden haben. Mehrere Datenträger, darunter ein Mobiltelefon und ein Stand-PC, wurden sichergestellt und ausgewertet. Auf dem Mobiltelefon seien keine relevanten Daten gefunden worden.
Avatar erschoss Menschen
Es fanden sich allerdings schusstaktische Videospiele darauf, Szenen, in denen der selbst erstellte Avatar aus dem Auto steigt und Menschen erschießt. Umgehängt hatte er eine Flagge der terroristischen Vereinigung Al-Nusra-Front For the People of the Levant.
Warum der Jugendliche seither nicht weiter beobachtet wurde? „Allein durch das Spielen eines Computerspiels bzw. das Nachstellen von islamistischen Gewaltszenen war im konkret vorliegenden Fall kein Tatvorsatz nachweisbar und deshalb der Tatbestand der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB nicht erfüllt“, so am Freitag die Staatsanwaltschaft Salzburg.
Allerdings wurde ein Waffenverbot verhängt. Bei der Hausdurchsuchung soll der Vater gesagt haben, dass er glaube, dass sein Sohn psychologische Hilfe brauche.
Gut integriert
Schauplatzwechsel ins Ortszentrum: Hier kennt man die Familie vor allem deshalb, weil die Mutter des 18-Jährigen einen kleinen Dienstleistungsbetrieb führt. „Wenn man so lange ein Geschäft führt, dann muss man ja sehr gut integriert sein“, meint ein Bewohner, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.
Er sei in einem Tennisverein, dort habe er mit einigen Burschen und Mädchen auch über Emrah I. gesprochen. „Die haben kein negatives Wort über ihn verloren. Ich habe auch gehört, dass er bei der Feuerwehr gewesen sein soll“, erzählt der ältere Mann.
Auf KURIER-Anfrage wollte die Freiwillige Feuerwehr Neumarkt dazu aber nichts sagen – so wie viele andere in der 6.600-Einwohner-Gemeinde. Erst diese Woche hat Emrah I. eine neue Lehrstelle angetreten. Montag, Dienstag, Mittwoch war er ganz normal arbeiten. Am Donnerstag fuhr er nach München, im Gepäck eine Waffe.
Die Kategorie-C-Waffe, ein Karabiner älterer Bauart, der repetiert werden muss, erstand er von einem Sammler, den er über eine Online-Plattform gefunden hatte. Für 350 Euro und weitere 50 Euro für ein Bajonett wechselte die Waffe den Besitzer, teilte Franz Ruf, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, mit. Der 18-Jährige erwarb auch 50 Schuss Munition.
Was ihn zu seiner Tat bewogen hat, ist nun Gegenstand der Ermittlungen.
Radikale Jugendliche
Der deutsche Terrorexperte Guido Steinberg attestiert Österreich ein Problem mit jungen Islamisten. Dieses sei jedoch nicht neu, sondern bestehe bereits, seit die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) im Jahr 2014 im Irak und Syrien sein Kalifat ausgerufen hatte, sagte Steinberg am Freitag im „Mittagsjournal“ des ORF
Gaza–Krieg
Für die letzten Jahre stellte der Islamismusforscher sogar fest, dass eine „dschihadistische Radikalisierung in Österreich ungebremst angehalten hat“, hierzulande betreffe diese „besonders viele junge Leute“. Er befürchte, eine neue Welle islamistischer Anschläge, angeheizt durch den Gaza-Krieg zwischen der militant-islamistischen Palästinenser-Organisation Hamas und Israel, sei im Gang
Forderungen
„Es macht wütend, wenn man sich die Frage stellen muss, was noch alles passieren oder verhindert werden muss, damit man den Polizeibehörden das Handwerkzeug gibt, um auf Augenhöhe gegen Islamisten und Terroristen vorgehen zu können“, sagte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) am Donnerstag im Zuge eines Medientermins und bekräftigte einmal mehr seine Forderung nach Überwachung von Messenger-Diensten.
Weiters müssten die Deradikalisierungsprogramme ausgebaut und auf die Haftanstalten ausgeweitet werden, die teilweise als „Brutstätten“ des Islamismus gelten. Karner will außerdem die Präventionsarbeit in den Schulen ausbauen.
Aus anderen Gründen emotional wird es beim Kebab-Laden von Aykut Olgun. „Vom Sehen habe ich den jungen Mann gekannt, er war bei mir Kebab essen. Seine Eltern sind auch oft bei mir, so nette Leute“, schildert er.
„Aber immer, wenn so etwas passiert, werden alle Muslime gleich wieder in einen Topf geworfen. Doch ein guter Muslim ist kein Terrorist. Bei mir an den Tischen sitzen immer Türken neben Österreichern, Serben neben Kroaten. Und es ist einfach schön anzuschauen.“
Kommentare