Gesungene Naziparolen: Wie besorgniserregend ist die Entwicklung?
In Clubs auf Sylt, in Klagenfurt und auch beim Mödlinger Faschingsumzug spielten sich die gleichen Szenen ab: zu den Klängen von Gigi D’Agostinos Lied „L’Amour toujours“ wurde „Ausländer raus“ gegrölt. Auf der deutschen Insel wurde auch der Hitlergruß gezeigt.
Die Mischung aus Partystimmung und Rassismus wirft eine Frage auf: Ist für große Teile der Gesellschaft Rassismus wieder salonfähig geworden?
Die aufgetauchten Videos seien kein Indikator dafür, dass rassistische Ressentiments gestiegen seien, erklärt Integrationsexperte Kenan Güngor. „Sie sind nun nur sichtbarer.“ Diese Meinung teilt auch Politberater Thomas Hofer. Rassistische Stammtische habe es schließlich schon immer gegeben. Erinnert etwa an das als Anti-Ausländer-Volksbegehren aus 1993.
Was sich aber geändert habe, ist die Öffentlichmachung von Grenzüberschreitungen wie jenen auf Sylt. „Durch die multimediale Kanalvielfalt sind diese Jenseitigkeiten nun im Scheinwerferkegel“, so Hofer.
Härtere Gangart
Die gesellschaftspolitische Lage würde so ein Verhalten allerdings schon befeuern. Die Menschen hätten das Gefühl, „auf der Siegerseite zu sein, denn der Migrationsdiskurs hat sich deutlich verschoben“, erklärt Hofer.
Bei allen heimischen Parteien hat sich die Positionierung rund um die Migrationsfrage verändert - das frühere heiße Eisen wird nun von allen angegriffen. Angefangen bei FPÖ und ÖVP, die schon länger auf diese Thematik setzen bis zu den Neos, die zuletzt in Wien mit einer härteren Gangart aufgefallen sind.
Verschärft werde diese Entwicklung noch durch chronikale Ereignisse wie die Vorkommnisse am Reumannplatz in Wien-Favoriten, sagt Hofer. Die jüngsten Gewalttaten haben den Platz zum Politikum gemacht und endeten damit, dass Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) ein Waffenverbot verordnet hat.
Da die Auseinandersetzung mit Integration - und den dadurch bedingten Herausforderungen – omnipräsent ist, verschiebt sich auch der Moralkompass. „Die Menschen glauben, sie stehen auf der richtigen Seite“, wie es Hofer formuliert.
Die Rolle der Sozialen Medien
Als Brandbeschleuniger fungieren dabei die Sozialen Netzwerke. Dass der harmlose Partyhit „L’Amours toujours“ zu mehr als zweifelhaften Ehren gekommen ist, liegt unter anderem an der Plattform Tiktok, wo der zur rechten Hymne umgedichtete Song zum Trend geworden ist. Wenn viele so agieren, sinkt natürlich die Hemmschwelle.
Dass durch die Berichterstattung noch weitere Menschen dazu animiert werden, rechtes Gedankengut öffentlich zur Schau zu stellen, glaubt Güngör nicht. Was der Unterschied zu den Social-Videos ist? Die Kontextualisierung.
Es werde nicht „affirmativ verrichtet“ – also nicht zustimmend, sagt Güngor. In Deutschland haben bereits einige, die auf den Videos zu sehen waren, ihre Jobs verloren. Ein Umstand, der das Gefühl auf besagter Siegerseite zu sein, wohl deutlich abschwächt.
Österreich noch als "Insel der Seligen"
Zwar tauchen in Österreich immer mehr Videos mit Nazi-Parolen auf, dennoch sei es hier im Gegensatz zu Deutschland immer noch wie eine „Insel der Seligen“, sagt Hofer. Angriffe auf Politiker wie im Nachbarland seien hier noch kein Thema, allerdings müsse man sich bewusst sein, dass sich Aggressivität in der Sprache auch auf den Alltag übertragen kann. Hinsichtlich des Wahlkampfes formuliert Hofer eine Bitte - bewusst keinen Ratschlag - an die Parteien: „Die Aggressivität mäßigen."
Die (ohnehin von braunen Misstönen durchbrochene) Idylle der Insel der Seligen darf schließlich nicht weiter gefährdet werden.
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