Kinderdorf-Skandal: "Kinder sollen nicht für Fehler büßen müssen"
Es gehe ihm „zuallererst“ um die 1.800 Kinder und Jugendlichen, die SOS-Kinderdorf derzeit in Österreich betreut, und um die rund 2.000 Mitarbeiter, sagt der neue Aufsichtsratschef Friedrich Santner. Sie brauchten eine „halbwegs sichere und ruhige Umgebung“. Die Stimmung in der Organisation sei „angespannt“.
Dem steirischen Industriemanager, der selbst einmal ein Kinderdorf-Kind war, geht es ums Kindeswohl. Es geht ihm aber auch ums Geld. Das klingt bei der Pressekonferenz am Mittwoch, in der sich die Mitglieder des neu aufgestellten Kontrollgremiums vorstellten, deutlich durch.
Logisch. Vorweihnachtszeit ist Hauptspendenzeit – und die Organisation, die in mehr als 130 Ländern der Welt Projekte betreibt, lebt zu rund einem Drittel von Spenden. Der Missbrauchsskandal trifft SOS-Kinderdorf also zu einer absoluten Unzeit.
Und so signalisiert die Organisation jetzt den Neustart, den Aufbruch – auch durch die Besetzung des Aufsichtsrats, der laut Santner alle relevanten Themenbereiche abdecken soll. Mit an Bord: Der frühere Jugendrichter Norbert Gerstberger, Trauma-Expertin und Uni-Professorin Brigitte Lueger-Schuster sowie Jugendhilfe-Expertin Maria Wienerroither.
„Wir sind kein Monolith wie Hermann Gmeiner und Helmut Kutin“, sagt Santner mit Seitenhieb auf den Gründervater und den langjährigen Präsidenten, gegen die zuletzt schwere Vorwürfe laut wurden. „Wir sind ein Team“, sagt der Aufsichtsratschef.
Und dieses Team bemüht sich am Mittwoch, das Bild der Einrichtung geradezurücken.
Mit Wortmeldungen wie: „Gewalt und sexueller Missbrauch sind kein exklusives Problem von SOS-Kinderdorf. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.“ (Santner.)
Oder: „Der Haupt-Tatort ist die Familie.“ (Gerstberger.)
Und: „Die jetzigen Kinder und Mitarbeiter sollen nicht für das Fehlverhalten anderer in der Vergangenheit büßen müssen.“ (Wienerroither.)
Schweigepflicht
Dieses Fehlverhalten sowie alle neuen Meldungen werde man aufarbeiten, und auch auf Organisationsebene gebe es einiges zu tun, so Santner. Aufgefallen ist ihm in seiner ersten Arbeitswoche etwa die „überbordende Schweigepflicht“, von der man die Geschäftsführung jetzt entbunden hat.
Das lässt aufhorchen. Erst ab jetzt darf die Spitze der Organisation gegenüber den Behörden, der Justiz und der Reformkommission ohne Einschränkung Auskunft geben? Die Justiz ermittelt ja seit Mitte September, und die Reformkommission unter der Leitung von Ex-OGH-Präsidentin Irmgard Griss wurde Anfang Oktober eingesetzt. Santner kann nur mit den Schultern zucken. Er ist seit sechs Tagen im Amt.
Interessenskonflikt
Weiters müssten laut Aufsichtsratschef die Bereiche Fundraising und Pädagogik besser getrennt werden. Im Falle des Großspenders aus Niederösterreich, der Buben in einem Kinderdorf in Nepal sexuell missbraucht haben soll, habe die Kinderdorfmutter ein „unangemessenes Verhalten“ dokumentiert und sich verbeten, dass der Mann jemals wieder ihr Haus betritt. Das ist die pädagogische Seite.
Die Kommunikation mit dem Mann, der dem Dorf fast eine Million Euro gespendet hat, übernahm dann aber ein Mitarbeiter aus dem Fundraising. Santner nennt das „einen klaren Interessenskonflikt“.
Der neue Aufsichtsrat bittet die Öffentlichkeit um Geduld: Der Reformprozess brauche Zeit, aber „die richtige Haltung“ sei da.
Und die Spenden? Auf KURIER-Nachfrage heißt es, man gehe fix von einem Rückgang als Folge des Skandals aus – auch wenn es vereinzelt Unterstützer gebe, die ihre Gelder „jetzt erst recht“ aufstocken. Zahlen liegen noch nicht vor.
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