Rocker: Helden oder Kriminelle?

Gedenkfahrt nach Amoklauf in Nenzing
Rund 1200 Österreicher sind in der Bikerszene aktiv. Ein Wegweiser durch die Subkultur.

Männlich, weiß, älter als 21, Besitzer einer Harley Davidson (ab 750 Kubikzentimetern), von einem Mitglied unterstützt, Vorstrafen sind dienlich. So umschreibt das Innenministerium das Anforderungsprofil für eine Mitgliedschaft bei den berüchtigten Hells Angels. Im Bundeskriminalamt wurde in der Fachgruppe Organisierte Kriminalität eine eigene Abteilung eingerichtet – das Rockerreferat. Gruppierungen wie die Hells Angels, aber auch die neu aufkommenden "Bruderschaften" wie die United Tribuns werden als "kriminelle Organisationen" eingestuft.

"Pauschalurteile"

Die Rocker selbst sehen sich als Freigeister und klagen darüber, dass sie in der Öffentlichkeit nur mit ihren schlechten Taten gesehen werden. "Der angesprochene Ruf wird von Medien erzeugt und geschürt, um Storys zu konstruieren. Pauschalurteile sind klägliche Versuche, Sachen zu erklären, die man nicht versteht", sagt Ernst Graft, Organisator des Toy Runs. Für diesen kauften die Motorradfahrer Kuscheltiere und verschenkten sie dann an Waisenkinder.

Verwiesen wird in der Szene eben auch auf den Amoklauf in Vorarlberg am vergangenen Wochenende. Vier Mitglieder des Motorradclubs "The Lords" verhinderten wohl ein schlimmeres Blutbad, indem sie den Täter einkreisten. Diese Vorgehensweise entspricht dem Selbstverständnis der Biker, Probleme intern zu lösen. Denn Polizei und Medien sind ohnehin die größten Feinde.

81 "Filialen" in Österreich

Rocker: Helden oder Kriminelle?
epa03773297 Items confiscated in a raid on a Hells Angels biker club sit on a table at the police station in Frankfurt Oder, Germany, 03 July 2013. Hundreds of police raided clubhouses and homes in several German states on 03 July. The German Minister of the Interior banned the motorcycle club 'Regional Association Gremium Motorcycle Club (MC) Saxony', and in Brandenburg and Saxony further rocker clubs were prohibited. EPA/PATRICK PLEUL
In Österreich sind offiziell 81 "Charters" und "Chapters" von Motorradclubs registriert, so eine Filiale hat meist rund 20 Mitglieder. Die Szene wird auf insgesamt rund 1200 Mitglieder geschätzt. Die Führungsrolle in Österreich haben die Hells Angels, alle anderen Clubs haben sich ihnen unterworfen, heißt es im Bundeskriminalamt. Manche sind unmittelbare "Supporter" (Unterstützer), wie etwa die Red Dogs, andere eher nur assoziiert. Die meisten Filialen dieser MCs gibt es übrigens in Vorarlberg mit 26, gefolgt von der Steiermark mit 16. In Wien gibt es gerade einmal drei.

Militärische Strukturen

Rocker: Helden oder Kriminelle?
Jürgen Barth ruft zur Teilnahme an der Fahrt auf
Dass die Höllenengel die Chefs sind, zeigte sich auch bei derGedenkfahrt am Freitag nach dem Amoklauf. Organisator Jürgen Barth rief dazu auf, und gleich 1500 Biker (auch aus dem Ausland) kamen. Barth ist "Sergeant at Arms" bei den Vorarlberger Hells Angels. Der Träger dieses Titels ist für die Sicherheit und Bewaffnung zuständig. Denn in den Motorradclubs gibt es militärische Ränge, der "Road Captain" etwa ist für die Route und die Sicherheit bei Ausfahrten verantwortlich. Neben dem "Dienstgrad" gibt es weitere martialische Abzeichen, etwa für die Verletzung eines Polizisten oder für Mord. Dies ist speziell bei den so genannten One-Percenten (1%-igen) so. Dieser Ausdruck geht auf eine Schlägerei im Juli 1947 im kalifornischen Hollister zurück. Damals hieß es von den Veranstaltern, dass nur ein Prozent der Biker solche Outlaws sind. Dazu gehören etwa Bandidos oder eben die Hells Angels.

Die meisten Clubs entstanden, weil Kriegsveteranen nach Hause kamen und sich keinen Gesetzen mehr unterwerfen wollten. Die Hells Angels etwa sind nach einer Fliegerstaffel im Zweiten Weltkrieg benannt. Dass Deutschland derzeit ein Rockerproblem hat, hat seinen Ursprung auch darin, dass sich die dort stationierten US-Soldaten niederließen und Motorradclubs gründeten.

Musik, Tattoos, Kokain

Die einzelnen Filialen der bekannten Clubs sind sehr unterschiedlich, so sind die Hells Angels in Wien und Vorarlberg unauffällig, der Tiroler Ableger fiel bisher vor allem durch Berichte über angeblichen Drogenhandel auf. "Es ist ein Milieu, in dem man sich bemühen muss, nicht kriminell zu werden", sagt ein Insider. Die Branchen, in der die Rocker aktiv sind, gehen von legal über halblegal bis illegal. In Österreich sind sie aktiv im Musikgeschäft, in der Pokerszene, bei sportlichen Kämpfen, bei Tätowierstudios, im Rotlicht, als Türsteher oder eben auch im Kokainhandel. Dieses Image der wilden Männer ist aber auch zu einem Markenzeichen geworden. Sogar eine deutsche Bausparkasse warb mit Rockern. Die Gründerfamilie der Kultmarke Harley Davidson bedankte sich vor einigen Wochen bei den Hells Angels für das Image, dass die Maschine durch sie bekommen hat. Deswegen versprühe Harley Davidson den Spirit von "Freiheit und Cowboys".

In Österreich war die Blütezeit der Rockerszene in den 80er-Jahren. Heute haben die Rocker ein Altersproblem. Die Gründungsmitglieder sterben langsam aus, die Jugend ist nicht mehr so leicht zu begeistern. Heuer mussten die Hells Angels erstmals überhaupt ein Charter (in Graz) zusperren.

Die "neuen Rocker" kommen

Rocker: Helden oder Kriminelle?
Osmanen Germania
Doch die Nachfolger stehen bereits in den Startlöchern. Für die einen sind sie eher Straßenbanden, andere sagen „Rocker“ zu ihnen, sie selbst sehen sich eher als Bruderschaften oder Boxclubs. Derartige Gruppierungen mit meist migrantischem Hintergrund drängen derzeit in die Szene. Es gab bereits – vor allem in Deutschland – gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen ihnen und den alteingesessenen Rockern. Denn diese blicken auf die Neuankömmlinge eher verächtlich herab.

Derzeit versucht etwa der Boxclub Osmanen Germania nach Österreich überzusetzen. Der Club aus türkischstämmigen Mitgliedern zeigt Videos mit bewaffneten Osmanen und dem Spruch: „Wir kommen und übernehmen das ganze Land“.

United Tribuns in Österreich

Rocker: Helden oder Kriminelle?
United Tribuns
Bereits etabliert sind dieUnited Tribuns, die bosnische Wurzelnaufweisen. Sie haben Chapter in Villach, Graz, Wien, Bregenz, Wels und Innsbruck. Mit den Hells Angels haben sie in Österreich freundschaftliche Kontakte, die von der Europaspitze der Höllenengel im Vorjahr abgesegnet wurde.

Die Tribuns sind hingegen aktuell in Konflikt mit den Black Jackets, die im deutschen Heidenheim im April ein ranghohes Mitglied der Tribunen erschossen haben. Die Black Jackets sind in Österreich vorerst noch nicht aktiv, allerdings in fast allen Nachbarstaaten.

Die heimische Polizei hat die Szene sehr aufmerksam im Auge und ist stets informiert über alle aktuellen Entwicklungen.

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