Intensivmediziner fordert von Politik „weniger Trickserei“
Die dritte Covid-Welle rollt über Österreich. Zum dritten Mal warnen Mediziner vor einer Überlastung der Intensivstationen. Aktuell ist die Lage vor allem im Osten massiv angespannt.
Eine einheitliche Datenlage zur absoluten Zahl an Intensivbetten im Land und wie viele davon maximal für Covid-Patienten freigeschaufelt werden können, fehlt allerdings nach einem Jahr Pandemie immer noch. Medizinern wird von Zweiflern deshalb immer wieder vorgeworfen, die Lage ernster zu zeichnen, als sie ist. „Ich verstehe die Verunsicherung der Bevölkerung“, sagt Walter Hasibeder, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI). Die Lage sei aber „in höchstem Maße besorgniserregend“, sagt er.
Absolute Bettenzahlen kann auch Hasibeder, selbst ärztlicher Leiter der Abteilung für Anästhesie und Operativen Intensivmedizin am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams in Tirol, nicht nennen.
„Keine Reservebetten“
Er stellt aber klar: „Es gibt normalerweise keine Reservebetten für Covid-Patienten.“ Die Auslastung liege auf Intensivstationen im Schnitt immer zwischen 75 und 95 Prozent. „Die Vorstellung, dass ein bestimmter Anteil von Intensivbetten einfach leer steht und darauf wartet, das Covid-19-Patienten kommen, ist falsch.“
Schlichtweg falsch seien auch die Belagszahlen, die über das AGES-Dashboard kommuniziert werden, das wiederum von den Bundesländern gespeist wird. Für Wien wurde dort etwa am Donnerstag eine Covid-Auslastung der Intensivbetten von 56,6 Prozent ausgewiesen. Das liest sich nicht sonderlich dramatisch.
„Das ist ein Wahnsinn. Das soll man runter geben“, sagt der Mediziner aus Tirol, dessen Spital in der ersten Welle das erste Haus in ganz Österreich war, das aufgrund seiner Nähe zu Ischgl an den Anschlag kam. Hasibeder sieht für den Zahlenwirrwarr und die daraus resultierenden Verunsicherung in der Bevölkerung „die Kommunikation der Politik und der großen Krankenhausträger“ verantwortlich.
Von der Politik fordert der Mediziner „weniger Trickserei und mehr Ehrlichkeit“ und ortet stattdessen „ein Schönreden“ der Situation. Aus seiner Praxis auf der Intensivstation sagt Hasibeder: „Das ist eine Erkrankung, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Wir haben Patienten, bei denen die Lunge innerhalb kürzester Zeit zerstört ist.“
In der ersten Welle sei die Sterberate der CoronaPatienten auf der Intensivstation in Zams bei 12,5 Prozent gelegen, in der zweiten bei 36 Prozent. Hasibeder geht davon aus, dass der Anstieg im Herbst – unerkannter Weise – bereits der britischen Mutation geschuldet war, die inzwischen das Geschehen bestimmt. „Damals wurde noch viel weniger sequenziert.“
Wiens Gastpatienten
Auffassungsunterschiede gibt es indes zwischen den aktuell besonders stark betroffenen östlichen Bundesländern. Konkret darüber, welche Last Wiens Spitäler in der Versorgung von Covid-Patienten aus dem benachbarten Niederösterreich und Burgenland schultern müssen. Zuletzt hatte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) auch aus diesem Grund auf scharfe Lockdown-Maßnahmen in der gesamten Region gedrängt: Er habe den Eindruck, dass sich manche Länder denken würden, dass man im Notfall immer noch Wien habe. Man helfe zwar gerne, die Ressourcen seien aber irgendwann erschöpft, betonte Ludwig.
In Niederösterreich fühlt man sich nur bedingt angesprochen: Aus dem Büro des für die Kliniken zuständigen Landeshauptfrau-Stellvertreters Stephan Pernkopf (ÖVP) heißt es: „Aus Niederösterreich wurde kein Covid-Patient an eine Intensivstation in Wien überwiesen.“
Doch auch ohne direkte Überweisungen landen viele Niederösterreicher in den Wiener Krankenhäusern. Laut Gesundheitsverbund (Wigev) lag der Anteil der Gastpatienten auf den Intensivstationen bei sieben Prozent (mit Covid) bzw. bei 23 Prozent (ohne Covid), rechnet ein Sprecher vor.
„Aufgrund der geografischen Gegebenheiten stammt der größte Anteil der Gastpatienten aus Niederösterreich“, betont er. Deutlich geringer ist der Anteil der Nicht-Wiener auf den Normalstationen der Gemeindespitäler. Er lag zuletzt bei drei Prozent (mit Covid) bzw. bei 14 Prozent (ohne Covid).
Intensiv-Gipfel
Laut aktueller Prognose sollen bis 14. April 669 Covid-Patienten bundesweit auf Intensivstationen liegen. Der Zuwachs konzentriert sich jedoch auf die Ostregion, wo vergleichsweise weniger über 65-Jährige geimpft wurden. Bundesweite Verschärfungen sind deshalb vorerst nicht geplant. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bat nach Gesprächen mit Spitalsvertretern am Donnerstag stattdessen um Solidarität: Weniger stark betroffene Länder sollen Intensivpatienten aus dem überlasteten Osten übernehmen.
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