In Österreichs Innenstädten geht der Schaufenstertod um
Direkt beim Übergang von der Innsbrucker Altstadt in die Maria-Theresien-Straße – der zentralen Einkaufs- und Flaniermeile der Stadt – klafft eine Lücke. Eine Schuhkette hat sie vor Monaten nach ihrem Rückzug hinterlassen. Seither blicken Passanten in leere Schaufenster.
Und solche finden sich auch zuhauf in umliegenden Straßenzügen der Innenstadt. Ein Phänomen, das quer durch Österreich zu beobachten ist. Vor allem der Modehandel ist – nicht zuletzt aufgrund der Konkurrenz aus dem Internet – von Schließungen betroffen.
Günther Rossmanith, Sprecher der Branche, gibt sich auch keinen Illusionen hin: „Online ist gekommen, um zu bleiben. Die Handelsflächen im Textil- und Modebereich sind rückläufig. Man muss davon ausgehen, dass die Anzahl an Geschäften sinken wird“, sagt er.
In den Hotspots des Einkaufens, wie etwa der Mariahilfer Straße in Wien, werde es seiner Ansicht nach zwar „weiter Handel geben“. Aber in weniger prominenten Lagen beobachtet auch Rossmanith, „dass Zahnarztpraxen und Büros in Geschäftslokale einziehen“ oder Barbershops und Kebabläden nachkommen. „Das fällt im Straßenbild auf“, sagt der Geschäftsmann.
Die Konsequenz von Leerständen in ehemaligen Modegeschäften liegt für ihn auf der Hand: „Schaufenster, die nicht beleuchtet und dekoriert sind. Da wird es dann uninteressant, zu flanieren.“ Dabei ist das Schaufenster eine über 100 Jahre alte Erfolgsgeschichte, die nun von einem schleichenden Tod bedroht zu sein scheint.
Zur Schau gestellter Überfluss, Einblicke in das Innere von Warenhäusern. Dieses Prinzip nimmt seinen Ausgang zunächst im Paris des 19. Jahrhunderts. Größere Verbreitung fand die Auslage aus Glas dann zur Wende hin ins 20. Jahrhundert in großen mondänen Kaufhäusern in den USA. Inspiriert vom innovativen Marketing der Amerikaner wanderte die Präsentationsform wieder zurück über den großen Teich nach Großbritannien.
Paris, New York, London
Paris, New York und London. Das sind auch heute noch jene Städte, wo berühmte Warentempel weiterhin auf imposante Gestaltung ihrer Schaufenster setzen und diese vor allem für das Weihnachtsgeschäft opulent in Szene setzen. Ein riesiges Team arbeitet etwa jedes Jahr an den Auslagen von Selfridges in der Londoner Oxfordstreet. Kaufhäuser wie dieses oder andere mit klingenden Namen wie Saks in der New Yorker Fifth Avenue oder Le Printemps Haussmann in Paris beweisen bis heute, dass die Schaufenstergestaltung regelrechte Kunst sein kann.
In der Blütezeit wurden Schaufenster in New York in Stadtrundfahrten eingebaut. Die Gestalter waren Stars.
Für Nina Schleif, Kuratorin und Kunsthistorikerin in München, ist sie oder war sie das auch im Wortsinn. Sie hat vor 20 Jahren sogar ihre Doktorarbeit darüber geschrieben. Dass das Schaufenster Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Anspruch verknüpft wurde, „ein Kulturfaktor zu sein, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“ 08/15-Gestaltungen hätten Einzug gehalten. „Da schaut ja keiner mehr hin.“
Ursprung in der Antike
Die letzte Hochzeit sei in den 1970er-, 80er-Jahren gewesen, „als viele Künstler Schaufenster für Performances benutzt haben“. Das Interesse an diesem Medium wurde bei Schleif im Studium geweckt: „Da hieß es immer wieder, dass ziemlich viele Künstler Schaufenster gestaltet haben.“ Deren Kunstgeschichte reiche aber – wenn auch ohne Glas – bis in die Antike zurück. „Schon damals gab es Warenauslagen, wo den Leuten etwas angeboten wurde.“
Die Fähigkeit, Glas als große Fläche zu produzieren und die Fenster mit elektrischem Licht auszuleuchten, bereitet in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erst die Bühne für den großen Erfolg.
„In der Blütezeit standen in New York die Schaufenster von bestimmten Firmen sogar auf dem Touristenplan und wurden in Stadtrundfahrten eingebaut. Die Gestalter waren namentlich bekannte Stars“, erzählt die Kunsthistorikerin. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Stirbt das Schaufenster also aus? Für Schleif steht fest, dass sein Schicksal „eng mit dem Schicksal des Einzelhandels verknüpft ist. Im Moment schaut es nicht so gut aus.“
Berühmte Dekorateure: Von Dalí bis Warhol
Das Schaufenster als Massenmedium, das Kunden in große Warenhäuser ziehen soll – die Erfindung dieses Marketinggags dürfen sich die US-Amerikaner auf die Fahnen heften. Aber ab den 1920er-Jahren setzten die Betreiber dieser Warentempel in Übersee auf europäische Emigranten, die Auslagen mit dem Schick des Alten Kontinents versehen sollten. Aufträge gingen an heute berühmte Künstler: „Da hatte man Salvador Dalí, Marcel Duchamp, also wirklich tolle europäische Namen“, nennt Kunsthistorikerin Nina Schleif prominente Beispiele. Beide hätten surrealistische Auslagen gestaltet.
Pionier aus Österreich„Einer der frühesten war aber der Österreicher Friedrich Kiesler“, erklärt die deutsche Expertin. Der Architekt, Künstler und Bühnenbildner sei Ende der 1920er-Jahre „unfreiwillig nach New York ausgewandert. Ihm fehlte das Geld für die Rückfahrt. Also musste er erst mal Geld verdienen.“ Und einer seiner ersten Aufträge sei eben die Gestaltung eines Schaufensters gewesen.
Kiesler schreibt dann 1930 sogar ein Buch darüber, wie man zeitgenössische Kunst auf „das Geschäft und seine Auslage“ anwenden kann. Die für ihn perfekte Kombination zwischen Kunst und Geschäft fand in den 1950er-Jahren Andy Warhol. Er gehörte damals zu einer Riege junger Künstler, die für die Gestaltung von Schaufenstern engagiert wurden, in diesen aber auch ihre Werke präsentieren durften. Und so kam es laut Schleif, dass in einem Schaufenster „die erste Ausstellung seiner Pop-Art-Gemälde stattfand.“
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