In 80 Zügen um die Welt: Ein Leben für die Eisenbahn
Herr Erhard lebt für die Eisenbahn. Immer noch sitzt bei dem 71-jährigen Pensionisten jeder Handgriff, wenn er die Leiter zur 1062er-Lok hinaufklettert. Der ehemalige Lokführer könnte sie – eine der ersten elektrischen Lokomotiven Österreichs – wohl blind fahren.
„50 Jahre ist es her, dass ich das letzte Mal in so einer Lok stand, da tut einem das Herz richtig weh“, sagt er. Sie wurde „Ente“ genannt, weil sie noch Stangen an den Rädern hatte wie eine Dampflok und deshalb „watschelte“. Seine Augen beginnen zu leuchten, Erhard schwärmt.
In dieser Lok hat er das Zugfahren gelernt. 1968 hat er am Wiener Südbahnhof angefangen. Schon als er mit der Verschub-Lok Schnellzüge zusammenstellte, habe er oft aus dem Fenster gesehen und die Fernzüge bewundert: Venedig, Rom, Hamburg stand auf ihnen. „Fernweh ist für mich Heimweh“, – ein Motto, das sich durch sein ganzes Leben zieht.
Beim Zugfahren ist man bei jedem Wetter in der Natur – egal, ob es hagelt oder blitzt. Aber man ist geschützt
Dass er Lokführer wird, war schon klar, als ihm sein Vater noch als „kleiner Bub“ eine Modelleisenbahn geschenkt und ihn 1964 zur Elektrikerlehre bei den ÖBB geschickt hat. Zwei große Zufälle haben Alfred Erhard zum Einzigen gemacht, der als Lokführer der ÖBB von der Dampflok bis zur Taurus alle Zugmodelle gefahren ist.
1949
Geburt: 71-Jahre ist der Perchtoldsdorfer Alfred Erhard heute
1964
Lehre: Drei Jahre lang lernte der Eisenbahnfan Elektriker bei den ÖBB
1990
Weltreise: In zweieinhalb Monaten umrundete der Abenteurer die Welt – fast ausschließlich mit dem Zug. Er fuhr mit der Transsibirischen Eisenbahn, mit einer Schmalspurbahn zum Himalaja, durchquerte China, fuhr in Japan mit dem Shinkansen und durchquerte die USA mit der Amtrak
2003
Letzte Fahrt: Nach 39 Jahren bei den ÖBB ging der Lokführer dann doch in Pension. In seiner Karriere fuhr er mindestens fünf Dampflokmodelle und zehn bis zwölf elektrische Eisenbahnen. Auf der Waldviertel Bahn fährt er noch heute hin und wieder mit der Schmalspur-Dampflok. Heute ist das aber ein Hobby
Denn schon nach zwei Jahren am Südbahnhof wurde er nach Niederösterreich abgezogen. „Am Anfang war ich sauer – jetzt muss ich mit der alten Dampflok fahren“, erinnert er sich. Doch er hat sie lieben gelernt. Statt dem Schraubenzieher musste der Hammer her und statt der Uniform ein Handwerkerkittel – der Lokführer war schließlich auch fürs Schmieren verantwortlich.
Im Eisenbahnmuseum Strasshof steht noch eine 52er – ihre 146 Tonnen bewegte Erhard auf der Nordbahn durch Niederösterreich. Im Winter sei ihm beim Blick aus dem Fenster das Gesicht fast eingefroren, während der Kittel hinten bei der Kohle zu rauchen begann.
Gefährlich waren diese Zeiten, denn die Signale an der Strecke waren mit Petroleum beleuchtet. Da konnte es schon sein, dass während eines Sturms eines ausfiel. Aber das macht für ihn das Zugfahren aus: „Man ist bei jedem Wetter in der Natur, aber geschützt.“
Die Lieblingslok
Die Züge damals hätten wenigstens noch angenehme Geräusche gemacht, sagt er: „Womb, womb“, beschreibt er die Dampflok – nicht so ein „Säuseln“ wie bei den heutigen Zügen. „Da war alles so schön mechanisch“. Nach zwei Jahren kam er zurück zur Südbahn und zurück zur E-Lok. Die 1044er ist mit ihren „schönen, runden Fenstern“ seine Lieblingslok.
Er taufte sie nach seiner Frau „Christine“. „Ich verdanke alle meine Höhepunkte der Bahn“, meint Erhard – abgesehen von den zwei Kindern und seiner Frau, fügt er hinzu.
Als „Südbahnhof-Urgestein“, wie er genannt wird, blieb er auf dieser Strecke, bis er in Pension gehen sollte. Doch dann kam die erste Taurus-Lokomotive. „Ich wollte diese Züge noch miterleben“, sagt Erhard.
Doch die ÖBB wollten ihm die Ausbildung so kurz vor der Pension nicht genehmigen und die Gewerkschaft war dagegen, dass er sie in der Freizeit macht. Also verlängerte er seinen Dienst um zwei Jahre.
Auch große Teile seiner Freizeit verbrachte er in Zügen. Irak, Syrien, Israel, Ägypten, Indien – all diese Länder bereiste er im Laufe der Jahre mit dem Zug. Der Weg war sein Ziel – Zwischenstopps legte er nur wenige ein, etwa um den Sonnenaufgang vorm Tadsch Mahal zu sehen.
„Ich bin nicht heikel und habe dafür immer einfaches Gewand gekauft“, sagt er und schaut auf sein Hemd herunter. Überstunden habe er sich nie ausbezahlen lassen, um Reisen zu können.
Wenn ich mit dem Zug reise, weiß ich wenigstens immer, wie weit ich gefahren bin. Mit dem Flugzeug ist das anders
„Mit dem Zug weiß ich immer, wie weit ich gefahren bin – das hast du beim Fliegen nicht“, meint er. 1990 beschloss er schließlich, mit dem Zug um die Welt zu fahren. Die Fahrt startete am Südbahnhof – wo auch sonst?
Abenteuerlust
Zunächst ging es nach Moskau und dann mit der Transsibirischen Eisenbahn Richtung Peking. Unterwegs bedankte er sich beim Lokführer mit Bier, so durfte er vorne mitfahren und bekam den besten Blick auf den Baikalsee.
In Japan schaffte er es in den Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen. „Aber, das ist Schummelei – die bekommen alle Befehle über ein Display eingeblendet“, war Erhard fast enttäuscht.
Über den Pazifik musste er mit dem Flugzeug, aber nach einer Nacht unter der Golden Gate Bridge ging es weiter bis New York und von London nach zweieinhalb Monaten zurück zum Südbahnhof.
Ob es letztlich genau 80 Züge waren, in denen er die Welt umrundete, kann er heute nicht mehr sagen – zumindest nannte er aber das kleine Buch so, in dem er seine Erinnerungen festhielt. Dass die Erde wirklich rund ist, „das kann ich jetzt aber sicher bestätigen“, sagt der Abenteurer und lacht.
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