Prügelvorwürfe: Gewaltproblem bei der Polizei?
Selbst hochrangige Polizisten geben in Hintergrundgesprächen mittlerweile zu, dass es offenbar ein Problem gibt. Die Zahl der Übergriffe nimmt zu – vor allem in Wien.
Dass gleich acht Beamte auf einmal suspendiert worden sind, gab es in dieser Form noch nie. Doch die Beweislast ist erdrückend: Ein Video zeigt, wie im Hinterzimmer eines Wettlokals in Wien-Favoriten auf den Tschetschenen S. eingeprügelt wird. Dieser wurde bei einer Razzia in einem illegalen Spiellokal erwischt und wollte offenbar seinen Ausweis nicht herzeigen.
Glaubt man einer aufwendigen Studie der Uni Wien aus dem Jahr 2018, dann ist dieser Fall symptomatisch für viele andere. Denn die meisten Übergriffe geschehen in einer Umgebung, die man als Problemzone bezeichnen kann. In dem Papier werden etwa die Gegend um den Schwedenplatz in Wien oder den Rudolfskai in Salzburg genannt.
Natürlich gehört auch Favoriten dazu. Die Beamten, die nun wegen den Übergriffen beschuldigt werden, sind großteils im (niedrigen) Rang eines gewöhnlichen Inspektors und durchschnittlich 33 Jahre alt.
Vieles deutet darauf hin, dass jene, die zuschlagen, aus vielen Gründen frustriert sind. Möglicherweise fehlende Aufstiegsmöglichkeiten, viele schlechte Erfahrungen mit problematischen Personen in Problembezirken, die zur Frustration führen können. Dazu kommt mitunter mangelnde Erfahrung.
Die Polizei als Organisation hat kein generelles Gewaltproblem. Vielerorts gibt es gute Projekte, ein Menschenrechtsbeirat wurde geschaffen und viele hochrangige Polizisten haben ein entsprechendes Problembewusstsein. Es wird auch von oben nichts zugedeckt. Der kürzlich versandte interne Brief des stellvertretenden Wiener Landespolizeipräsidenten Michael Lepuschitz an die Beamten war äußerst mutig – und sorgte nicht überall für Begeisterung. Lepuschitz kündigte offensiv an, dass künftig nicht mehr weggeschaut, sondern hart durchgegriffen wird.
Polizei in der Defensive
Dennoch ist der Umgang mit den Fällen nicht immer glücklich. So fehlen klare Worte des Wiener Polizeipräsidenten. Zu derartigen Vorkommnissen müssen stets seine Stellvertreter ausrücken. Medial reagiert man oft auch sehr defensiv.
Und man muss sich schon auch fragen, wie es fast 30 Beschwerden gegen einen einzelnen Beamten geben kann und nichts passiert. Erst als dieser einen Handschuh mit Tränengas besprüht und mutmaßlich einen Obdachlosen quält, wird er suspendiert. Und zwar, weil auch eine Kollegin gegen ihn aussagt.
So etwas ist mutig und wichtig, denn der Korpsgeist ist noch immer groß. Auch im aktuellen Fall in Favoriten machten die Kollegen die Mauer. Nur weil der Betroffene ein Überwachungsvideo vorlegen konnte, glaubte man ihm schlussendlich.
Denn vielerorts haben es die Opfer schwer, allfällige Übergriffe zu beweisen. Laut der Studie der Uni Wien wiesen viele der hunderten untersuchten Fälle nach Amtshandlungen Hämatome oder Andere Verletzungen auf. Heraus kam selten etwas.
Doch man muss auch die andere Seite sehen. Viele Beamte fühlen sich aufgrund von Videos vorverurteilt. In derartigen Filmen können wichtige Szenen fehlen, oft gibt es keine Vorgeschichte in den Videos. Das schweißt eine Truppe auch zusammen. Und man darf auch nicht vergessen, dass 1.000 Polizisten pro Jahr bei Einsätzen verletzt werden. Eine Festnahme ist nun einmal kein Kindergeburtstag. Das Anlegen von Handschellen beispielsweise ist nicht so einfach, wie manche glauben wollen.
Unter dem Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) wurden viele sinnvolle Projekte zu Menschenrechten außerdem gestoppt oder zumindest gebremst. Auch wurde den Beamten vermittelt, das Innenministerium stünde hinter ihnen, egal was auch immer passiert. Es mag vielleicht kein Zufall sein, dass der Vorfall in Favoriten in Kickls Amtszeit fällt.
Ein weiterer Punkt ist, dass betroffenen Beamten so gut wie nie Konsequenzen drohen. Eine Entlassung gibt es alle zehn Jahre einmal. Vielleicht fünf Mal pro Jahr kommt es zu Geldstrafen. Und das bei über 1.000 Anzeigen pro Jahr.
Fehlt Fehlermanagement?
Der rote Polizei-Gewerkschafter Hermann Greylinger (FSG) sieht außerdem ein „fehlendes Fehlermanagement, um eine Kultur zu fördern, in der leichte Verfehlungen oder Fehler auch zugegeben werden dürfen, ohne mit disziplinären Maßnahmen rechnen zu müssen oder Nachteile im Karriereverlauf eintreten. Das derzeitige System und die damit verbundene Kultur müssen objektiv und professionell nachhaltig verändert werden.“
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