Gewalt in der Haft: Hinter Gittern will keiner Opfer sein
„Es ist ein Gefängnis, kein Kindergarten.“
Gewalt in der Haft ist kein Klischee. Sie passiert. Und das oft. 72 Prozent der Insassen berichten von Gewalt – das geht aus einer Studie hervor, die Veronika Hofinger und Andrea Fritsche vom Institut für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie der Uni Innsbruck veröffentlicht haben.
„Dass es in der Haft viel Gewalt gibt, war erwartbar“, sagt Hofinger. „Aber wie sehr die Haftumstände eine Rolle spielen, das haben wir erst erfasst, als wir mit den Leuten gesprochen haben.“ Es wirkt sich aus, wenn in einem Haftraum für vier Personen sechs untergebracht sind oder es als Kollektivstrafe keine Sportmöglichkeit gibt. „Das Gefühl des Ausgeliefertseins ist groß“, sagt Hofinger.
Spektrum der Gewalt
386 Insassen wurden befragt. Vier von zehn Befragten gaben an, Opfer von körperlicher Gewalt geworden zu sein. Von Schlägen, Tritten bis zu Vergewaltigungen.
„Ich bin da reingekommen, das erste Mal in die Zelle, und da war ein Albaner, der hat gesagt, ihm gefallen meine Schuhe. Und ich hab gesagt, ja super, dass dir die Schuhe gefallen, aber du kriegst sie nicht. Und das war schon mal der erste Kampf, den ich da drin gehabt hab. Also, wo ich auch verloren hab.“
Gewalt ist nicht immer körperlich. Sie umfasst auch Beleidigungen, Drohungen, Beschimpfungen oder Erpressungen (siehe Grafik).
Doch wer wird in Haft zum Opfer? Auch dieser Frage sind die Studienautorinnen nachgegangen. Besonders oft sind es Insassen, die wegen Sexualdelikten verurteilt wurden.
„Pädophile sind Schweine, keine Menschen.“
Es sind aber auch schwächere und wehrlose Personen. Oft trifft es Jugendliche oder junge Ersttäter, Suchtkranke und „Wamser“, also Verräter. Personen, die schon in ihrer Kindheit Gewalt erfahren haben, sind auch in Haft einer größeren Gefahr ausgesetzt. Häftlinge mit österreichischer Staatsbürgerschaft berichten häufiger von Gewalt durch Mithäftlinge als ausländische. Gleichzeitig berichten ausländische und muslimische Häftlinge öfter von Gewalt durch die Justizwache.
Gewalt ist ein Mittel, um Hierarchien hinter Gittern zu schaffen. Eine Rolle spielt aber auch der Grund für die Haft.
„Ich habe den Vorteil wegen meinem Delikt (Mord, Anm.), da geht man mich gar nicht so an.“
Was die Stimmung in den Justizanstalten anheizt, sind oft äußere Umstände. Gibt es keine Möglichkeit, räumlich auszuweichen, entlädt sich der Frust.
„Es gibt Stress wegen viel Männertestosteron auf engem Raum.“
Nacht-Betrieb ab 15 Uhr
Die langen Einschlusszeiten in den Hafträumen verschärften die Situation. Der „Nachtdienst-Betrieb“ in den Justizanstalten beginnt um 15 Uhr. Wer keine Beschäftigung hat, sitzt 155 von 168 Wochenstunden in der Zelle.
„Nicht einmal diese Minimumbewegung im Freien eine Stunde, auf die kannst du auch nicht pochen. Die passiert in der Regel, aber wenn es regnet...“
In modernen Justizanstalten – wie etwa Korneuburg – berichten Häftlinge deutlich seltener von Übergriffen. In alten Anstalten ist die Unzufriedenheit deutlich höher. So hat etwa nur jeder zehnte Befragte die Möglichkeit, im Haftraum zu duschen. In vielen Anstalten ist das Duschen reglementiert.
„Im Sommer bei 40 Grad. Wie stickig, wie schwitzig, wie pickig man ist. Und wenn man da zweimal in der Woche duschen geht, viele nehmen das als menschenunwürdig auf.“
Besonders unter jugendlichen Häftlingen ist Gewalt ein Dauerthema. „Oft sind sie Täter und Opfer gleichzeitig“, sagt Hofinger. Doch als Opfer wollen sie sich nicht sehen. Schon gar nicht, wenn es um sexuelle Übergriffe geht. „Speziell bei diesem Thema wurde uns sehr viel nicht erzählt. Viele Jugendliche haben gelacht, als wir sie danach gefragt haben. Sexuelle Gewalt, das passiert ihnen angeblich nicht.“
Opfer ist niemand freiwillig. Die Scham ist groß.„Das ist eine der Niederlagen meines Lebens, das ist schon hart für einen Mann. Überhaupt, wenn du dich auch über deine körperliche Stärke und Präsenz definierst und auf einmal landest du in einer Situation, wo du umzingelt bist von vier so Eierschädeln.“
Die Befragungen für die Studie wurden noch vor Corona durchgeführt. „Wie sich die Pandemie auswirkt, wissen wir nicht genau. Die Situation ist aber durch die fehlenden Besuche und Ausgänge sicher nicht besser geworden“, sagt Hofinger.
Was getan werden müsste, um die Situation in Haft zu entschärfen, liege auf der Hand: Bessere Haftbedingungen, ausreichend Personal, die Möglichkeit von Beschäftigung. Und: „Es wäre sinnvoll, die Haftzahlen zu senken. Nicht jeder muss so lange sitzen. Speziell bei Jugendlichen sollten wir uns Alternativen überlegen“, sagt Hofinger.
Zahlen zur Haft
Auslastung
In den heimischen Justizanstalten ist Platz für 8.683 Insassen. Aktuell (Stand 1. April) sind es 8.536. 540 Insassen sind weiblich. Der Anteil der „Untergebrachten“ (geistig abnorme Rechtsbrecher) beträgt 15,2 Prozent. Rund die Hälfte der Häftlinge hat die österreichische Staatsbürgerschaft.
Strafdauer
Fast 50 Prozent sitzen eine Strafe zwischen 1 und 5 Jahren ab. 1,6 Prozent wurden zu 20 Jahren bis lebenslanger Haft verurteilt. Bei 35 Prozent beträgt die Strafe bis zu 1 Jahr.
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