"Jössas, die Josefstadt!": Die vier großen Häfn-Baustellen
Auf dem Schreibtisch liegt ein überdimensionaler, schwarzer Schlüssel aus Metall. Er war das Einstandsgeschenk für Krista Schipper als neue Leiterin der Justizanstalt Wien-Josefstadt. „Der ist in der hauseigenen Schlosserei gefertigt worden. Über den habe ich mich wirklich gefreut“, sagt sie.
Bereits seit 3. August leitet Schipper die größte Justizanstalt Österreichs (mit bis zu 1.200 Insassen). Von der Öffentlichkeit wurde das bisher nicht wahrgenommen – eine offizielle Amtseinführung ist wegen des Coronavirus noch nicht erfolgt.
Insgesamt gibt es jedoch vier große Baustellen, die die neue Häfn-Chefin anpacken muss.
Den KURIER empfängt sie zu ihrem ersten Interview in ihrem Büro. Es hat sich verändert. Der Raum wirkt freundlich und hell. Neue Farbe an den Wänden, neuer Boden, neue Möbel, LED-Lampen. „Man kann auch mit kleinen Schritten etwas verändern“, sagt Schipper und fügt hinzu: „Das ist nicht nur mein Büro. Hier finden auch die Besprechungen statt.“
Die vier großen Baustellen
Im Jahr 1839 als „Criminalgerichtsgebäude“ von Kaiser Franz I. eröffnet, wurde die Justizanstalt Josefstadt, angeschlossen an das Landesgericht Wien, kontinuierlich ausgebaut und ist nun das größte Gefängnis Österreichs.
Bis Mai wurde es von Helene Pigl geleitet, im August übernahm die Juristin Krista Schipper. Das sind die vier großen Probleme, die sie nun anpacken muss:
Überbelag: Zu Spitzenzeiten waren in dem Gefängnis bis zu 1.200 Menschen inhaftiert, dabei ist es nur für 900 bis 1.000 ausgelegt. Aktuell sitzen in der Josefstadt nur rund 960 Insassen ein. Coronabedingt wurden Haftantritte verschoben, um Platz für Quarantäne-Zonen zu schaffen.
Sanierungsbedarf: Das Mobiliar, die elektrischen Leitungen und die Bausubstanz insgesamt sind stark abgenutzt und nicht mehr zeitgemäß. Der Plan eines Neubaus wurde verworfen, die Generalsanierung wurde immer wieder verschoben – auch aktuell ist unklar, wann sie starten soll.
Mangel bei Justizwache: Österreichweit sind im Strafvollzug mehr als 200 Planstellen unbesetzt, besonders der Josefstadt fehlen Justizwachebeamte. Das Justizministerium hat im Mai eine Joboffensive mit einem Volumen von 2,5 Millionen Euro gestartet. Es sollen nicht nur die offenen Stellen besetzt, sondern auch 110 neue in der Exekutive geschaffen werden.
Mangel an Medizinern: Auch auf der Krankenstation und bei der Betreuung psychisch Kranker fehlt in der Josefstadt Personal: Sechs Arzt-Stellen sind seit Jahren offen – und das bei 61.000 Patienten im Vorjahr.
Modern ist anders
Der erste Schritt für die seit Jahren geplante – und immer wieder aufgeschobene – Generalsanierung? Ein heikles Thema, das Schipper vorsichtig beantwortet: „Dass man so ein Haus nicht mehr bauen sollte, ist jedem klar. Aber ich gehe davon aus, dass wir mit dieser Substanz hier noch länger leben.“
Den Maßstäben eines modernen Strafvollzugs entspricht das Haus längst nicht mehr. Aktuell gibt es in der Josefstadt unter anderem 30 Quadratmeter große Großraumzellen für zehn Personen. Doch das ist – auch – den baulichen Verhältnissen geschuldet. „Dass kleine Einheiten sicher konstruktiver sind als ein Betonbau mitten in der Stadt – das wissen wir alle“, sagt Schipper. Die Juristin hat langjährige Erfahrung im Strafvollzug. Sie leitete unter anderem schon die Justizanstalten Feldkirch, Wien-Simmering und Wien-Favoriten. Doch die Josefstadt hat eigene Dimensionen. Auch, was die Probleme betrifft.
„Jeder sagt: Jössas, die Josefstadt!“, weiß Schipper selbst. „Dieser Stempel, den man jemandem oder einem Haus aufdrückt, der ist ja nur eine Wahrnehmung. Die wichtige Frage ist: Was passiert hinter den Kulissen?“ Und da habe sie das große Engagement der Mitarbeiter und eine hohe Flexibilität gesehen. „Das hier ist ein krisenerprobtes Haus. Für mich war die Josefstadt kein Schreckgespenst.“
Einmal Vollzug, immer Vollzug
Dennoch ließ sich die 51-jährige gebürtige Grazerin mit ihrer Entscheidung, sich für den Leitungsposten zu bewerben, einige Monate Zeit. Schließlich setzte sie sich gegen ihren einzigen Mitbewerber durch. „Dass sich nur zwei Personen beworben haben, hat mich selbst überrascht“, sagt Schipper.
Doch warum bemüht man sich überhaupt um einen Job im Strafvollzug, der so wenig Prestige, dafür umso mehr Probleme bereit hält? „Es gibt eine Redensart: Wenn du einmal im Vollzug drin bist, dann bleibst du lang. Lebenslang“, sagt sie und lacht.
Schipper ist nicht die Art Chefin, die mit ihrem Antritt alles Bestehende wegwischen will. Sie will darauf aufbauen. „ Ich komme mit einem völlig unverstellten Blick her.“
Zunächst will sie vor allem zuhören, um Prioritäten setzen zu können. Die ersten Projekte hat sie für sich bereits gefunden – die Sanierung der Hafträume und eine Reduktion der Arbeitsbelastung für die Mitarbeiter. Ihr Credo: „Mit Ruhe und Ausdauer kann man manchmal mehr verändern.“
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