Gehasst und gebraucht: "Zweitwohnsitzer werden als Gäste denunziert“
Das Urteil der Fachfrau ist eindeutig: „Das Schreiben ist extrem verunglückt.“
Die Kommunikationsberaterin Heidi Glück hat eine klare Meinung zum Brief der Bürgermeister des Ausseerlandes. Diese haben vor einer Woche aus Angst vor Corona und zu vielen Zweitwohnsitzbesitzern in der Region zu Ostern Verkehrsbeschränkungen gefordert.
Die frühere Sprecherin von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel ist quasi selbst angesprochen. Sie hat einen Zweitwohnsitz in Bad Aussee, seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen wohnt sie dort.
Ihr Haus verlässt sie nur zum Holen der Zeitungen und einmal wöchentlich zum Einkaufen. Glück stört vor allem die Wortwahl des Schreibens. „ Zweitwohnsitzer werden als Gäste denunziert. Das sind sie nicht. Sie sind Teil des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, vor allem im Ausseer Land.“
Mit Bedacht
Gerade in Krisenzeiten müsse man die Worte mit Bedacht wählen. „In der Krise darf man nicht polarisieren. Krisenkommunikation ist ein Handwerk, das nicht jeder beherrscht.“ Wobei sie die Idee des Schreibens versteht. „Es ist nachvollziehbar, dass die Bürgermeister ihre Bevölkerung schützen wollen. Wenn sie das als Appell an Zweitwohnsitzbesitzer machen, hätte das jeder verstanden.“
Allerdings sei der Vorwurf, dass sich Besitzer von Zweitwohnsitzen weniger an die Ausgangsbeschränkungen halten als Einheimische, aus der Luft gegriffen. „Dafür gibt es keine Evidenz.“
„Zweitwohnsitzer sind Teil des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens, vor allem im Ausseerland.“
Klaus Neuper, Bürgermeister von Bad Mitterndorf (SPÖ) und Initiator des Schreibens, sagt, er wollte genau diese Diskussion verhindern. Was ihm doch gehörig entglitten ist. Der Brief sei als Hilferuf zu verstehen. „Ein Hilferuf ist kurz und prägnant. Jetzt in dieses Schreiben Interpretationen hineinzutragen und Formulierungen zu diskutieren, geht am Thema vorbei.“
Der Industrielle Hannes Androsch, der zeitweise in Altaussee lebt, sieht den Brief gelassen. „Das Schreiben war offenbar von Sorge bestimmt. Es ist in verunglückter Form formuliert worden. Der Bürgermeister von Altaussee hat sich öffentlich dafür entschuldigt, damit ist die Sache für mich erledigt.“
Das Ausseerland war zuletzt nicht das einzige Rückzugsrefugium der Wiener, das den Zweitwohnsitzern eine Zornesfalte ins Gesicht zauberte. Auch im Strombadareal Kritzendorf vor den Toren der Hauptstadt gingen die Emotionen hoch. Wegen der Angst, das Virus könnte durch die Zweitwohnsitzer eingeschleppt werden, wollte der Krisenstab Klosterneuburgs die Saison für die Pächter – es sind großteils Wiener – erst Ende April beginnen lassen und dann das Wasser aufdrehen. Die Gemeinde ruderte zurück. Ab 15. April heißt es: Wasser marsch!
Viele sahen das Match Stadt gegen Land eröffnet. Das sieht Alfred Riedl, Präsident des Gemeindebundes, nicht: „Es gibt keine allgemeine Stimmung gegen Zweitwohnsitzer.“ Wo es Aussagen von Ortschefs gegeben habe, wären Entschuldigungen gefolgt. Natürlich könne er die Irritation verstehen, dass zu Ostern nicht einmal die Familien besucht werden sollen, aber mancher Ort wegen der Zweitwohnsitzer auf die doppelte Einwohnerzahl anwachse.
Erlaubt
Dennoch: Seitens der Bundesregierung habe man sich zweimal dazu geäußert und festgehalten, dass „das Fahren zu einem Haupt- bzw. Nebenwohnsitz als notwendiges Grundbedürfnis des täglichen Lebens anzusehen ist“. Ausgenommen seien jene Gemeinden, die als Quarantänegebiet definiert sind.
1,2 Millionen Nebenwohnsitze gibt es in Österreich und rund 3,9 Millionen Hauptwohnsitze.
150 Millionen Euro werden in Österreich jährlich in Wochenendhäusern und Ferienwohnungen ausgegeben.
2.600 Zweitwohnsitze sind in Bad Aussee gemeldet.
4.800 Hauptwohnsitze stehen dem gegenüber.
Nutzung: Die größte Anzahl an Nebenwohnsitzen gibt es in Niederösterreich. Danach folgen Wien und Oberösterreich.
Dass es eine Stimmung gegen Wiener gebe, verneint auch jener Bürgermeister, dem dies unterstellt wird: Hans Stefan Hinter aus Mödling. Er hatte drei Parkplätzen eine Teilsperre verordnet, von denen aus man in den Wienerwald gelangt. „70 bis 80 Prozent der Fahrzeuge hatten ein Wiener Kennzeichen.“ Die Parkplätze seien gesperrt worden, weil es dort eng sei. „Man kann ja auch 400 bis 500 Meter weiter entfernt parken und diese Strecke zum Wald zu Fuß bewältigen.“
Er verstehe die Aufregung nicht: „Wegen ein paar Parkplätzen kommuniziert man, Bürgermeister Hintner hätte etwas gegen Wien.“ Dabei liebe er Wien und habe dort seinen Arbeitsplatz.
Das geht aufs Haus: Was ein Urlaubssitz den Orten bringt
Raus aus der Stadt, rauf auf die Liege unterm Kirschbaum, rein in den See, die Piste runter. So ein Urlaubssitz am Land hat schon einen Reiz. Und gar nicht zu wenig: Rund 1,2 Millionen
gemeldete Neben- oder Zweitwohnsitze gibt es in Österreich. Das sind um vier Prozent mehr als 2012.
Und die Zweitwohnsitzer sind ein gar nicht so kleiner Wirtschaftsfaktor: „Geld, das in urbanen Zentren geschaffen wird, geht an das Land“, sagt Oliver Fritz, Ökonom, der am WIFO unter anderem die Regionalentwicklung erforscht. Laut dem Tourismus-Satellitenkonto für Österreich werden 150 Millionen Euro jährlich in Wochenendhäusern und Ferienwohnungen ausgegeben. Etwa beim Einkaufen oder in den Gasthäusern. Und wenn man den Urlaub im Ausland statt im eigenen Nebenwohnsitz verbringe, würde Geld verloren gehen.
Doch nicht alle sehen nur positive Seiten. Vor allem in Tourismusregionen hat zuletzt der Widerstand gegen Zweitwohnsitze zugenommen. „Es kommt zu unglaublichen Preissteigerungen. Einheimische werden verdrängt, Familien könnten sich das Wohnen nicht mehr leisten“, sagt Fritz. Und dann gebe es da noch die Diskussion um Flächenversiegelungen, die am Land stetig zunehmen.
Einige Bundesländer gehen nun verstärkt gegen die Feriendomizile vor. In Salzburg sind seit dem Jahr 2019 alle Kommunen mit mehr als 16 Prozent Nebenwohnsitzen „Zweitwohnsitz-Beschränkungsgemeinden“. Das heißt konkret: In 82 der 119 Orte sind keine neuen Feriendomizile mehr möglich.
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