Bemannte Reise zum Mars? "So eine große Rakete hat keiner"
Michael Khan ist Senior-Missionsanalyst bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Seine Expertisen entscheiden, zu welchen Himmelskörpern Sonden, Rover oder Raumschiffe geschickt werden. Im KURIER-Interview spricht Europas führender Experte über die Möglichkeit und den Sinn einer bemannten Mission zum Roten Planeten. Und warum Astronauten besser als Roboter sind.
KURIER: Was sind aktuell die größten technischen Hindernisse für eine bemannte Marsmission?
Khan: Das größte technische Hindernis ist ganz sicher die Masse des Raumschiffs. Die Masse ist so hoch, dass ein direkter Start des Raumschiffs zum Mars unmöglich ist. So eine große Rakete hat keiner. Man wird das Raumschiff deswegen im niedrigen Erdorbit zusammenbauen. Viele Starts von Großraketen bringen jeweils einzelne Module in den Orbit, die dort an das langsam entstehende Raumschiff andocken. Die meisten Module sind volle Treibstofftanks, denn eine Mission dieser Art braucht enorm viel Treibstoff. Erstens zum Start von der Erde, dann zum Einfang ins Marsorbit, dann zum Verlassen des Mars und Einschuss in die Rückkehrbahn zur Erde. Wir wissen von Studien, dass die Masse des fertigen Raumschiffs im Erdorbit aktuell mindestens etwa 1500 Tonnen betragen dürfte.
Wie kann das funktionieren?
Wir wissen, dass dies nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Es gibt diverse Wege, diese Masse zu reduzieren. Eine Studie der ESA hat gezeigt, dass die Anfangsmasse ungefähr halbiert werden kann, wenn der Einfang in die Bahn um den Mars auf aerodynamischem Weg erfolgt (Aerocapture, Anm.). Das ist schon ein gewaltiger Sprung, erfordert aber erhebliche Technologieentwicklung auf dem Gebiet aufblasbarer, aerodynamischer Strukturen. Gerade in diesem Gebiet wird aber viel geforscht, mit gutem Grund.
Reicht das?
Andere Stichworte für Techniken zur Reduzierung der Startmasse sind die Nutzung von Ressourcen auf dem Mars zur Treibstoffherstellung und nukleare Antriebssysteme. Problem Nr. 2 wäre die Strahlenbelastung und die Maßnahmen zu ihrer Reduzierung. Auf dem Weg zum Mars wäre das noch kein großes Problem, weil der Treibstoff selbst eine gute Abschirmung darstellt. Auf dem Rückflug dagegen ist nur noch wenig Treibstoff übrig, sodass es schwierig werden könnte, die Besatzung zu schützen.
Ein großes Problem ist die Rückreise, wobei bei der Rückkehr in die Erdumlaufbahn enorme G-Kräfte auftreten. Können Sie sagen, wie das zu bewältigen ist?
Die Frage ist, ob das Rückkehrschiff wirklich in den Erdorbit soll, oder ob nicht einfach wie bei Apollo eine Kapsel den Wiedereintritt und eine Landung bewerkstelligt. Im ersten Fall sehe ich kein besonderes Problem mit der g-Belastung, aber nochmals erhöhten Treibstoffbedarf. Deswegen wird man das nicht so machen. Wie stark die g-Belastung der Eintrittskapsel ist, hängt auch von ihrer Bauweise ab. Wenn die Kapsel eine größere Querschnittsfläche aufweist, beispielsweise durch Verwendung aufblasbarer Strukturen, ist die Abbremsung sanfter. Wenn man das beim Einfang in die Marsbahn machen kann, dann auch bei der viel kleineren Rückkehrkapsel.
Gibt es Ihrer Meinung nach einen sinnvollen Weg, entsprechend Treibstoff für einen Rückflug sicher zum Mars zu bekommen und dort aufzubewahren?
Sinnvoll finde ich die Herstellung von Treibstoff auf Mars aus dort vorhandenem CO2 und Wassereis, das in Methan und Flüssigsauerstoff umgewandelt werden kann. Erstens für die Aufstiegsstufe (Mars Ascent Vehicle, eine Art Raketenaufzug, Anm.), die bereits im Vorfeld dorthin geschickt werden kann und mit einem Sabatier-Reaktor Treibstoff erzeugt.
Glauben Sie an einen Marsflug 2048?
Prognosen über Jahrzehnte hinweg halte ich für müßig, allein schon deswegen, weil Prognosen bekanntlich gerade dann sehr schwierig werden, wenn sie die Zukunft betreffen. Meine Privatmeinung ist, dass sich eine Marsmission mit Frauen und Männern an Bord in einen weitreichenden Entwicklungszyklus einreihen muss. Wir, die Menschheit, werden in den kommenden Jahren Menschen auf dem Mond schicken, die dort eine permanente Basis einrichten werden. Wir werden dabei viele Erfahrungen mit dem Langzeitaufenthalt von Menschen im nicht-erdnahen Weltraum sammeln und auch mit Raumschiffen, die nicht in kurzen Abständen von der Erde versorgt werden. Wir werden auch anfangen, Ressourcen vom Mond zu nutzen, damit nicht mehr alles mühsam von der Erde hochgeschleppt werden muss. Danach werden wir astronautische Flüge zu erdnahen Asteroiden unternehmen. Solche Missionen können von Abflug zu Rückkehr ein Jahr oder länger dauern. Das wäre also so etwas wie eine „Marsmission Light“. Immer noch viel einfacher als eine astronautische Mission zum Mars, aber doch schon eine kleine interplanetare Mission, die weit mehr erfordert als die Mondmissionen, die bis dahin Routine geworden sein werden. Und der nächste Schritt wäre dann die astronautische Mission zum Mars.
Würden Sie eine Oneway-Reise für ethisch vertretbar halten?
Soetwas ist noch nie von ernstzunehmender Seite aus in Betracht gezogen worden. Wenn sie mich fragen: Ich weiß zwar nicht, wer die erste astronautische Mission zum Mars anführen wird. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie heute schon in den Kindergarten geht.
China glaubt eher an Roboter-Missionen, wäre das sinnvoller als eine Mission mit Menschen? Was wäre jeweils der Vorteil?
Die Abwägung, ob man auf astronautische Missionen verzichten will, sollte man dann treffen, wenn man zumindest die Erfahrungen mit Langzeit-Mondmissionen gewonnen haben wird, idealerweise aber auch schon einige Erfahrungen mit astronautischen Asteroidenmissionen. Dann erst wird man genau beziffern können, was man noch leisten muss, um Menschen zum Mars zu schicken. Es wird immer robotische Missionen zum Mars geben, unabhängig davon, ob man astronautische Missionen macht. Vieles können Roboter besser, und vor allem braucht man deren kontinuierliche Daten, um die Sicherheit der astronautischen Missionen zu gewährleisten. Manches können Roboter aber eben nicht besser, deswegen braucht man Menschen vor Ort, ebenso wie man auch heute Menschen als Forschende in die Antarktis schickt und nicht Roboter. Wissenschaft, insbeondere Grundlagenforschung ist weitgehend unplanbar, denn wie soll man planen, was man überhaupt noch nicht kennt? Deswegen ist es entscheidend, dass man dort nicht nur den Roboter hat, der stur seinen Bohrer aufbaut und dann damit zufrieden ist, stundenlang ein Loch in den Boden zu bohren. Man braucht Menschen, die in der Gegend herumschauen, etwas sehen, was unerwartet ist, diese Spur weiter verfolgen, zehn seltsame Steine aufheben, von denen dann neun sich als stinknormal herausstellen. Der zehnte aber ist etwas ganz besonderes, weil man in ihm viel später im Labor chemische Spuren von fossilen Lehmverbindungen entdeckt, und genau der lag unter dem neunten verborgen, und man hätte ihn nie gefunden, wenn da nicht die Astronautin etwas gelangweilt herumgelaufen wäre und mit ihrem Geologenhammer auf diverse Steine geklopft hätte.
Roboter sind also nicht besser?
Der Vorteil von Robotern ist halt, das sie in den Standby geschickt warden können, wenn man gerade ein Problem mit der Stromversorgung hat und dass man sie nicht zur Erde zurückbringen muss. Und natürlich, dass es eben nur Maschinen sind und ein Verlust daher nur rein finanzielles Problem ist, aber nicht mehr. Der wesentliche “Vorteil” robotischer Missionen ist, dass der Einstandpreis meist viel geringer ist. Das freut zwar irdische Erbsenzáhler, diese vergessen dabei aber, dass es nicht um die Gesamtsumme geht, sondern um die Kosten pro wissenschaftlichem Ertrag. Ginge es nur um die Gesamtsumme, wäre die optimale Lösung, den Mars gar nicht zu erforschen. Dann sind die Kosten Null, aber auch der wissenschaftliche Ertrag.
Ein interessanter Vergleich ist der von Apollo mit den russischen Probenrückführungsmissionen vom Mond. Apollo hat 382 kg Gestein mit zurück gebracht. Die Kosten des gesamten Programms waren nach damaligem Geld 25 Milliarden Dollar. Also etwa 65 Millionen pro Kilo oder 65.000 pro Gramm.
Also sind Missionen mit Menschen besser?
Die robotischen sowjetischen Luna-Missionen Luna 16, Luna 20 und Luna 24 haben zusammengenommen 326 Gramm Mondproben zurückgebracht, also weniger als ein Tausendstel des Apollo-Ertrags. Ich bin aber sicher, dass diese drei Missionen zusammen mehr als ein Tausendstel des Apollo Programms gekostet haben. Robotische Missionen sind nämlich nicht so billig, wie es sich manche vorstellen.
Also hat allein schon in diesem groben Vergleich Apollo die Nase vorn. Jetzt muss man aber auch mal ins Detail schauen. Apollo hat noch vielerlei weitere wissenschaftliche Daten und Ergebnisse geliefert. Die muss man faierweise auch mit den Missionskosten verrechnen. Und selbst wenn man sich nur die Bodenproben anschaut: Was Apollo mitgebracht hat, ist nicht nur viel mehr, sondern auch viel besser und wissenschaftlich wertvoller. Ganze Steine, eingebettet in anderes Gestein, sodass man den geologischen Kontext erkennen kann, sind weitaus wertvoller als bloßer Staub, aus dem die meisten Luna-Proben zwangsläufig bestanden. Da, wo sie wirklich Sinn machen, liefern astronautische Missionen also im Vergleich zu robotischen Missionen weitaus bessere Qualität zu geringeren Gesamtkosten pro Ertrag.
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