Der blockierte Bio-Bauer: Welche Hürden vom Umstieg abhalten
Martin Schwarzinger hat es vor ein paar Jahren probiert. Mit Salatgurken. In seiner Gärtnerei am Wiener Stadtrand zog er die Pflanzen „nach allen Bio-Richtlinien“, wie er sagt. Ein Bio-Zertifikat hat Schwarzinger dennoch nicht bekommen.
Schwarzinger hat die Gurken nämlich in Töpfen und nicht direkt im Boden gezogen. Und das erlauben die Vorschriften für Bio-Landwirtschaft nicht. Sein Versuch war gescheitert.
Dabei würde Schwarzinger gerne umstellen. Aus Ökologiegründen. Nicht nur Gemüsebauern wie er, sondern auch immer mehr Konsumenten können diesem Prinzip etwas abgewinnen.
Corona gab dem Trend zu Bio einen zusätzlichen Schub: Die eingekaufte Menge an Bio-Lebensmitteln ist laut Landwirtschaftsministerium in den ersten sechs Monaten dieses Jahres gegenüber dem Vorjahr um 14 Prozent gestiegen.
Dass dennoch rund 78 Prozent der heimischen Landwirte konventionell produzieren, hat wohl – auch – mit den Vorschriften zu tun. Sie sind kompliziert, vielleicht zu kompliziert.
Überbordende Regeln
Kurios anmutende Regeln für Landwirte gibt es viele. Derzeit aktuell ist die Weideregelung: Die EU hat eine neue Verordnung geschaffen, wonach Bio-Tiere nur noch auf Weiden grasen dürfen, die sich unmittelbar beim Hof befinden.
Sie trifft all jene Bauern, die solche Flächen nicht haben und ihre Rinder, Schafe oder Ziegen etwa über Straßen oder Bahnübergänge auf die Weide treiben müssen. Ihre Erzeugnisse würden in Zukunft demnach nicht als biologisch gelten.
Diese neue Verordnung hätte bereits heuer in Kraft treten sollen. Nach heftigen Interventionen aus Österreich – zuständig dafür sind die Regierungsmitglieder Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Rudolf Anschober (Grüne) – hat die EU-Kommission eingelenkt und die neue Verordnung auf das Jahr 2022 verschoben. Die bisherige Regelung für Bio-Bauern gilt nun auch noch 2021.
„Dieser gemeinsame Schritt mit der EU-Kommission war wichtig, um die Bauern nächstes Jahr auf die neue Bio-Verordnung vorzubereiten und ihnen ein weiteres Jahr Planungssicherheit und die Möglichkeit für notwendige Anpassungen zu geben“, sagt Landwirtschaftsministerin Köstinger.
Dennoch bleibt die Herausforderung, im kommenden Jahr alles auf die Bio-Schiene der EU zu bringen. Johannes Schmuckenschlager, Landwirtschaftskammerpräsident in Niederösterreich, ist zuversichtlich: „Die Bio-Bauern sind bemüht, die Vorgaben ordnungsgemäß und so rasch als möglich umzusetzen.“
Gemüsebauer Schwarzinger ärgert noch anderes: Seine Glashäuser dürfte er im Winter nur auf zehn Grad aufheizen – das ist zu kalt für die Paprika. Und: Er müsste den ganzen Betrieb auf einmal umstellen, für einzelne Glashäuser sei das nicht möglich.
Teure Übergangsphase
Der Übergang zwischen konventioneller und biologischer Produktion ist für Landwirte finanziell heikel. In den ersten beiden Jahren nach der Umstellung produzieren sie zwar nach Bio-Standards, können die Ware im Lebensmittelhandel in dieser Zeit aber nur zu konventionellen Preisen verkaufen.
Das heißt: „Ich habe bis zu 50 Prozent weniger Ertrag, bekomme aber gleich viel bezahlt wie vor der Umstellung. Und die Fixkosten laufen weiter“, sagt Schwarzinger. „Das ist sehr risikobehaftet.“
Die Frist gibt es unter anderem, damit der Boden definitiv nicht mehr mit Pestiziden belastet ist. (Deshalb baute Schwarzinger die Gurken übrigens in den Töpfen an: Er wollte sich die Übergangsphase ersparen.)
Um die angehenden Bio-Bauern in der Übergangszeit zu unterstützen, fördert etwa die Stadt Wien diese mit 15.000 Euro pro Betrieb. Diese Form der Förderung gibt es noch bis Ende des Jahres.
Die Wiener ÖVP verlangt jetzt mehr Unterstützung. Und zwar deshalb, weil die rot-pinke Rathauskoalition laut Regierungsüberkommen den Bio-Anteil an der Landwirtschaft steigern will.
„Die Erhöhung der Bio-Quote darf nicht zulasten der Stadtlandwirtschaft passieren“, sagt Elisabeth Olischar, türkise Landwirtschaftssprecherin im Wiener Gemeinderat. In einem Antrag verlangt sie von der Stadtregierung nun "Unterstützungsmöglichkeiten“ – wie einen Ausgleich der Preisdifferenz oder Abnahmegarantien in der Übergangsphase.
Aktuell entgeht den Umsteigern an einer weiteren Stelle Geld: Sie könnten ab der Umstellung EU-Förderungen beziehen – und zwar höhere als konventionelle Betriebe.
Derzeit sind die Fördertöpfe aber geschlossen, weil das EU-Agrarbudget (und damit die Förderung) noch verhandelt wird. Frühestens ab dem Jahr 2023 können Bauern wieder in die neue Bio-Förderung einsteigen.
Deshalb springen jetzt so manche Bundesländer ein und motivieren trotzdem zum Umstieg: Vorarlberg etwa bezahlt bis 2023 die Differenz zwischen der Förderung für konventionelle und Bio-Betriebe an die Landwirte. Im Burgenland werden bis dahin pauschal 15.000 Euro pro Betrieb bezahlt.
Unsichere Preise
Nach der Übergangsphase wartet die nächste Hürde. Der Landwirtschaft insgesamt macht der Preisdruck aus dem Handel stark zu schaffen.
Erhielten die Bauern zum Beispiel im Jahr 2019 im Schnitt noch 400 Euro pro Tonne Premiumweizen, waren es 2020 nur noch 316 Euro – ein Rückgang von rund 20 Prozent innerhalb eines Jahres.
Damit sich Bio rechnet, müssen Gemüsebauern den Erzeugerpreis um etwa ein Drittel erhöhen. Dass sie diesen Preis auch bezahlt bekommen, ist aber ungewiss – und das schrecke ab.
Helfen könnte eine Abnahmegarantie zu einem fairen Preis durch die öffentliche Hand. „Die Stadt hat selber Hebel, um Landwirte bei der Umstellung zu unterstützen: Etwa eine Abnahmegarantie über städtische Großküchen“, sagt Gemeinderätin Olischar.
Aktuell stammt in Wien die Hälfte der Lebensmittel für die städtischen Kindergärten, Spitäler und Seniorenwohnhäuser aus Bio-Betrieben.
Fehlende Standards
Bio ist nicht gleich bio – und das verzerrt den Wettbewerb. Die EU schreibt den Bauern zwar grundsätzlich Mindeststandards vor. Aber: Zusätzlich hat jedes Land eigene Richtlinien – und Österreich teils besonders strenge. Dazu kommen teilweise noch genauere Vorschriften von Bio-Verbänden.
Gesetzlich vorgeschrieben ist eine Mitgliedschaft bei einem solchen Verband zwar nicht, aber: „Wenn man im Handel verkaufen will, braucht man de facto ein Siegel von einem Verband“, so Schwarzinger.
Das alles führt dazu, dass in den Supermärkten Produkte konkurrieren, die mit unterschiedlichen Standards erzeugt wurden. Damit die heimischen Bauern mithalten können, brauche es „einheitliche Vorschriften“.
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