Behinderte Gefängnis-Insassen: "Die Situation ist unmenschlich"
Ganze Nächte in den eigenen Exkrementen zu sitzen. Auf der Krankenstation isoliert, ohne Hofrundgang, weil es keine geeigneten Rampen für Rollstuhlfahrer gibt. Oder Personen, die wegen einer Amputation auf einem Bein auf das WC hüpfen müssen, weil man mit Krücken keine Türen öffnen kann. Und Duschen mit unüberwindbaren Stufen davor.
Das ist nur ein kleiner Teil an Missständen in den heimischen Justizanstalten, die in den vergangenen Jahren von der Volksanwaltschaft registriert wurden. Die aktuelle Situation im Umgang mit behinderten Insassen ist "menschenunwürdig", meint Peter Kastner. "Leider gibt es nach wie vor Justizanstalten, die keinen einzigen barrierefreien Haftraum haben. Es gibt keinen Bericht der Volksanwaltschaft, der diesbezüglich nicht Kritikpunkte enthält."
Rollstuhlfahrer fordert 150.000 Euro Entschädigung
Ganz oben findet man stets die Hafträume in Wien-Josefstadt. Betroffen sind allerdings auch andere Gefängnisse in Österreich. Die Volksanwaltschaft ortet sogar einen Bruch der Menschenrechtskonvention. Denn behinderte Menschen müssen die gleichen Möglichkeiten haben wie nicht-behinderte. Auch hinter Gittern.
Einem Betroffenen wurde das Ganze zu viel, er klagt die Republik nun sogar auf 150.000 Euro Schadenersatz. Der junge Mann musste sieben Monate in Gefängnissen in Wien verbringen - obwohl er gar nicht hafttauglich war, wie das Landesgericht Wien im heurigen Frühjahr festgestellt hat.
Verbringen musste er die Zeit in den Justizanstalten Simmering und Josefstadt. Großteils hatte der Gelähmte keinen direkten Zugang zu Toiletten, sondern nur wenn jemand Zeit hatte, ihn zu begleiten. Wärter und Pfleger hätten sich über ihn lustig gemacht, auch Fotos seien angefertigt und per Whatsapp verschickt worden.
Nachdem ihm angeblich auch dringend notwendige Medikamente vorenthalten wurden und er sein dringend benötigtes medizinisches Gerät nicht verwenden konnte, weil er die Ladestation monatelang nicht nutzen durfte, musste er nach vier Monaten ins Krankenhaus. Seither hat er irreparable Schäden, möglicherweise benötigt er eine Folgeoperation.
"Da in der Justizanstalt Simmering keine geeigneten barrierefreien Duschen oder sanitären Einrichtungen vorhanden sind, müssen diese Insassen oft bis zum nächsten Tag warten, bevor ihnen Hilfe gewährt wird. In extremen - und leider nicht seltenen - Fällen bedeutet dies, dass sie gezwungen sind, die Nacht in ihren Exkrementen zu verbringen", berichtet der Ex-Häftling.
"Auch keine Zelle der Sonderkrankenanstalt der Justizanstalt Josefstadt weist eine barrierefreie Möglichkeit zur Benutzung einer Toilette auf", erklärt der Rollstuhlfahrer. Ebenso problematisch sei, dass pflegerische Tätigkeiten häufig als durchgeführt dokumentiert werden, obwohl sie in Wirklichkeit gar nicht ausgeführt würden.
Justizanstalt sieht kein Fehlverhalten
Die Beschwerden des Rollstuhlfahrers hatten bisher keine Folgen. Man habe "kein Fehlverhalten erkannt", schreibt ihm die Anstaltsleiterin der Josefstadt und sieht deshalb auch keinen Grund für Konsequenzen.
Das Justizministerium beruft sich auf den Datenschutz und teilt dazu nur Allgemeines mit: "Für Barrierefreiheit sind per se unterschiedliche Maßnahmen erforderlich. Ein barrierefreier Haftraum alleine ist nicht ausreichend, wenn der Zugang zu diesem Haftraum nicht auch barrierefrei möglich ist. Nachdem es sich um unterschiedliche, sprich individuelle Bedarfssituationen handelt, kann es so auch zu Vollzugsortänderungen kommen, wenn sich der Bedarf während des Haftzeitraums der betroffenen Person verändert."
Und weiter: "Im Großraum Wien stehen ausreichend barrierefreie Hafträume zur Verfügung. Wo diese genau verortet sind, ist aus sicherheitstechnischen Gründen nicht im Detail beantwortbar. Grundlage dafür ist bei allen barrierefreien Zugängen und Hafträumen die ÖNORM 1600."