Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, sorgt vielfach noch immer für Unbehagen auf beiden Seiten. Zwei Jahre lang entwickelten Anina Woditschka und Daniel Orel von der Menschenrechtsabteilung des Innenministeriums eine elektronische Schulung für Tausende Beamte. Obwohl erst diese Woche präsentiert, zeigten bereits zwei Ministerien, die Wiener Linien und die ÖBB Interesse an einer Übernahme des Programms. Behindertenvereine fordern sogar eine verpflichtende Vorführung für alle Beamte, bisher ist dies nur freiwillig geplant und soll auch in die Polizei-Ausbildung miteinfließen.
Probleme zwischen Exekutive und behinderten Personen fußen vor allem auf Missverständnissen. So wurde beispielsweise unmittelbar vor dem Innenministerium extra ein schmaler Weg für Rollstuhlfahrer gebaut, damit diese nicht über das fast schon gemeingefährliche Kopfsteinpflaster am Minoritenplatz rattern müssen. Bei Demonstrationen werden vor dem Ministerium oft Absperrgitter gelagert - und diese mitunter ausgerechnet auf den schönen Weg der Rollifahrer gestellt. Für manche wird der Platz damit unüberwindbar.
„Niemand kann alles wissen, aber wir wollen Schritt für Schritt ein Bewusstsein schaffen“, erklärt die zuständige BMI-Abteilungsleiterin, Johanna Eteme. Gemeinsam mit der Wiener Polizei wurden Amtshandlungen nachgedreht, die Videos zeigen, wie oft Fingerspitzengefühl notwendig ist. Ist es ein wütender Alko-Randalierer oder leidet derjenige unter dem Tourette-Syndrom? Stellt sich das Gegenüber blöd oder ist es taub und kann nur die Lippen des Beamten nicht lesen, weil dieser gerade eine FFP2-Maske trägt?
Viele Beeinträchtigungen sind auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Es gibt Menschen mit einem Behinderungsgrad von 50 Prozent, der für Außenstehende nicht erkennbar ist.
Im Prinzip lässt es sich auf einen Nenner bringen: Behinderte wollen von Polizisten (wie auch von allen anderen) wie ganz normale Menschen behandelt werden. „Wenn wir mit Pflegern oder Assistenten unterwegs sind, werden sehr oft nur diese angesprochen“, berichtet Orel. Für manche fangen die Berührungsängste schon beim Gespräch an - oder sogar bei der Ausdrucksweise.
Behinderte sind keine „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“, sie haben ganz normale wie jeder andere. Auch ist für die meisten ein Rollstuhl ein Stück Bewegungsfreiheit, niemand ist an ihn gefesselt. Oder zumindest nur äußerst selten. Die Wiener Polizei etwa nahm vor einiger Zeit tatsächlich einen Rollstuhl-Fahrer fest. Der 200-Kilo-Mann hatte seine niedrige Sitzposition dafür ausgenutzt, um Frauen unter die Röcke zu fotografieren.
Doch kein Arrestantenwagen ist rollstuhlgerecht, auch hier gibt es bei der Exekutive noch Aufholbedarf. Somit musste die Rettung helfen, den Mann in eines der drei Wiener Gefängnisse mit entsprechender Ausstattung zu bringen, doch war dort gerade die Behinderten-Zelle besetzt. So musste der Rollstuhlfahrer wieder auf freien Fuß gesetzt werden.
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