Auf der weißen Spur: So steht es um Kokain in Österreich
Die junge Werberin greift zum weißen Pulver als Treibstoff für die ausgedehnte Partynacht. Der Student schnupft es, um Prüfungsangst zu bekämpfen. Der spätere FPÖ-Klubobmann und nunmehrige Ex-Politiker Johann Gudenus wurde mutmaßlich laut Soko-Ibiza beim zweimaligen Konsum gefilmt. Und auch ÖBAG-Chef Thomas Schmid soll es – vor seiner Zeit in dieser Funktion – genommen haben.
Mehrere Fälle, eine Droge: Kokain. „Der Konsum geht quer durch alle Gesellschaftsschichten - und wird auch unterschiedlich eingesetzt“, erklärt Karl Schubert-Kociper, Psychologe und Leiter des Projekts „checkit!“ von der Wiener Suchthilfe. Was Kokain vor allem macht: „Es ist selbstwertsteigernd – das passt gut zu unserer Zeit.“
"Hab' es unter Kontrolle"
Das Konsummuster sehe oft so aus: „Phasenweise wird es intensiv genommen, dann wiederum gar nicht. So entsteht das Gefühl: Ich hab’ es eh unter Kontrolle. Und das ist bei vielen problematisch.“ Und mehrere Stunden tanzen und intensiv "ziehen" im Club können gefährlich sein: Die gefühlte Wirkung lässt nach einer halben Stunde nach – der Drang, permanent „nachzulegen“, steigt. Auch der Herzschlag erhöht sich. „Die Gefahr einer Überdosierung ist da. Es kann auch akut ein Herzinfarkt auftreten.“ Der sei auch als Langzeitfolge nicht auszuschließen.
"Der Konsum geht quer durch alle Gesellschaftsschichten – und wird unterschiedlich eingesetzt."
Wobei: Nur wenige haben überhaupt Erfahrung damit gemacht. „Die Nummer-Eins-Droge ist Alkohol“, sagt Schubert-Kociper. Laut Wiener Suchtmittel-Monitoring von 2019 gaben 6 Prozent von 600 Befragten an, in ihrem Leben irgendwann einmal mit Kokain zu tun gehabt zu haben. Zwei Prozent sagten, es in den letzten 30 Tagen genommen zu haben. Laut Bundeskriminalamt betrafen zwölf Prozent der Drogen-Anzeigen Kokain. Demnach ist es das drittbeliebteste illegale Rauschmittel nach Cannabis und synthetischen Drogen (z. B. Ecstasy und Speed).
2.000 Tonnen Kokain werden ungefähr weltweit pro Jahr hergestellt.
87 Kilo Kokain hat die österreichische Polizei im Jahr 2019 sichergestellt.
70 Prozent der weltweiten Gesamtproduktion stammen aus Kolumbien. Daneben sind auch Peru und Bolivien große Herstellerländer.
50 Euro kann ein Gramm Kokain kosten. 120 Euro kann man aber auch zahlen.
Transportweg: Ein Großteil kommt auf dem See- oder Luftweg nach Europa. Die größten Mengen kommen per Seefracht (Container). Auch Segelschiffe oder Privatjets werden immer häufiger genutzt.
Der Preis pro Gramm schwankt zwischen 50 und 120 Euro. „Es gibt zwei Märkte. Einerseits den auf der Straße, wo es günstig ist. Andererseits das Nachtleben – hier ist es an die Zielgruppe angepasst und teurer“, sagt Schubert-Kociper. Analysen zeigten: „Es gibt schlicht keine Unterschiede bei der Qualität.“ Die sei in den vergangenen Jahren überhaupt angestiegen. Die Droge werde weniger oft gestreckt, als das noch vor einigen Jahren der Fall war – etwa mit dem Wurmmittel Levamisol, das sogar Gewebe absterben lassen kann. Warum das so ist, darüber kann nur gemutmaßt werden.
Mehr Kontrollen
Eine Erklärung liefert Daniel Lichtenegger, Leiter des Büros zur Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität im Bundeskriminalamt: „Wenn jemand gute Ware anbietet, schafft das Konkurrenz. Das ist wie im legalen Wirtschaftsleben: Der Konsument geht zu dem, der bessere Qualität zum besseren Preis bietet.“ Und die Polizei entdecke auch mehr Kokain: „Das liegt vor allem an mehr Schwerpunktkontrollen und verstärkten Aufgriffen von Postsendungen, die im Darknet bestellt wurden.“
Drehscheibe
Österreich sei eine Drehscheibe geworden. „In Ecuador wurden 200 Kilo sichergestellt, die nach Österreich gehen sollten. Zuerst dachten wir an eine Verwechslung von Austria und Australia.“
Auch Banden aus dem Balkan mischen häufiger mit. Und die seien nicht gerade zimperlich. Mit derlei Machenschaften dürften auch die tödlichen Schüsse in der Wiener Innenstadt im Dezember 2018 zusammenhängen.
Daher versteht Lichtenegger bei illegalen Drogen keinen Spaß: „Ich will in Österreich nicht Zustände wie in Mexiko, wo Menschen tagtäglich getötet werden – auch wenn wir weit davon entfernt sind.“
Und wie sieht es mit dem Kokainkonsum während der Corona-Krise aus? „Zwar hat es eine Verschiebung von illegalen Substanzen hin zu Alkohol gegeben. Aber man kann nicht grundsätzlich sagen, dass es bei allen weniger geworden ist“, sagt Schubert-Kociper. Etwas anders sieht es Polizist Lichtenegger: „Es ist nicht weniger geworden, da ist immer noch genug im Umlauf.“
Von Freud bis Haftbefehl
In den Andenländern Südamerikas kennt man seit Jahrhunderten die stimulierende Wirkung des Kokastrauchs. Der Mediziner Albert Niemann war es, der den Wirkstoff Mitte des 19. Jahrhunderts chemisch isolierte. Kokain wurde als Betäubungsmittel eingesetzt.
Auch Sigmund Freud experimentierte am Anfang seiner Arztkarriere damit und griff selbst darauf zurück – wenn wohl nicht so intensiv wie in der auf Netflix und ORF ausgestrahlten und gewöhnungsbedürftigen Serie Freud. Später distanzierte er sich von dem Mittel – ein Bekannter war an einer Überdosis gestorben. Er wollte damit seine Morphiumsucht heilen.
„1888 kam ein Getränk auf der Basis von Koka und Cola-Nuss-Extrakten auf den Markt, das als Mittel gegen Kopfschmerzen und als Belebungsmittel für Erwachsene vermarktet wurde – das Getränk hieß Coca-Cola. Doch bereits 1906 wurde in den USA der Zusatz von Kokain in Getränken und rezeptfreien Arzneimitteln gesetzlich verboten“, steht auf der „checkit!“-Homepage.
Als Rauschmittel wurde Kokain in den Goldenen 20ern – vor allem in Berlin – beliebt, wo es die Partys als „Champagner-Droge“ befeuerte. Ab den 1970ern war es in der Unterhaltungswelt angesagt. Mit fatalen Folgen. Der kolumbianische Drogenboss Pablo Escobar überflutete die USA damit und löste in seinem Heimatland einen brutalen Bürgerkrieg aus.
Und wohl keine Droge wurde so oft in Popsongs besungen. Man denke an: Eric Claptons "Cocaine“, Boris Bukowskis "Kokain“. Falco thematisierte es mehrmals – in "Ganz Wien", "Der Kommissar“ oder "Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“. Wanda singt, dass es "kein Weißes ohne Geld“ gibt. Und von Gangster-Rappern wie Haftbefehl – der von sich behauptet: "Ich hab’ mehr Weiß gesehen als ein Eskimo“ – gar nicht zu reden.
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