Kaineder: "Straßen zu bauen, ist Denken aus den 1970er-Jahren"

Stefan Kaineder
Der grüne Landesrat Stefan Kaineder wirft den anderen Parteien und der Industrie altes Denken vor. Er hält nur den öffentlichen Verkehr für zukunftsträchtig.

Stefan Kaineder hat am Petrinum maturiert und Theologe studiert. Der 36-Jährige ist Landessprecher und stellvertretender Bundessprecher der Grünen. Zudem ist er Landesrat für den Umweltschutz. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

KURIER: Die Europäische Kommission hat entschieden, dass die Atomenergie unter grüne Energie fällt. Ist das nicht ein Super-GAU für die grünen Regierungsparteien in Deutschland und Österreich?

Stefan Kaineder: Richtig. Das ist ein Kniefall vor der Atomlobby und eine furchtbare Entscheidung auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Die Frage, ob Atomkraft eingesetzt werden darf, ist eine nationale Entscheidung und die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten ist für die Atomenergie.

Es geht eher um die Frage, wo man investieren darf. Von Atomkraftwerken gehen viel zu große Gefahren aus. Zudem ist Atomenergie eine unglaublich teure Energie. Die Deutschen werden uns in den nächsten Jahren vorzeigen, wie die Grundlast in der Stromerzeugung durch Windkraft ohne Weiteres herzustellen ist. Sie ist viel billiger. Atomkraftwerke zu bauen dauert zudem Jahrzehnte. Diese Zeit haben wir nicht, wenn wir 2040 klimaneutral werden wollen.

Experten prognostizieren, dass Österreich die gesteckten Ziele nicht erreichen wird. Weder das Ziel 100 Prozent erneuerbarer Strom im Jahr 2030 noch die Klimaneutralität 2040.

Das ist eine Frage des Wollens. Wenn Schwarz-Blau in Oberösterreich in dem Tempo weitermacht, dann stimmt das. Gegen die Klimakrise muss man Klimapolitik machen und nicht Sonntagsreden halten. Viele Politiker hängen dem alten Denken nach. Alle sind jetzt erstaunt, dass die Klimaschutzministerin Klimaschutzpolitik macht. Autobahnprojekte aus dem letzten Jahrtausend darf man nicht mehr bauen. Wir dürfen nicht mehr das tun, was Klimaziele verhindert. Die Linzer Ostumfahrung ist ein völlig unsinniges Projekt.

Was muss die Landesregierung machen, um 100 Prozent Strom aus erneuerbarer Energie zu erzeugen?

Die schwarz-blaue Koalition soll sich in Wien mit großem Nachdruck für die Attraktivierung der Summerauerbahn und für das Vorziehen des Baus der Linzer Stadtbahn einsetzen. Damit haben alle PendlerInnen aus der Region eine echte Alternative zum Auto. Sie wollen nicht im Stau stehen. Dann haben wir die Autobahnen, die es jetzt gibt, für den Verkehr frei, den es braucht. Zum Beispiel den Güterverkehr. Das alte Denken sagt, wir brauchen neue Straßen. Das hilft nicht, sondern schadet.

Die Industriellenvereinigung wirft den Grünen vor, stets gegen jedes hochrangige Straßenprojekt aufgetreten zu sein: gegen die Innkreisautobahn, gegen die Pyhrnautobahn, gegen die Welser Westspange, gegen den Linzer Westring. Und nun gegen die Linzer Ostumfahrung. Wären die grünen Vorstellungen umgesetzt worden, würde die internationale Wertschöpfung an Oberösterreich vorbeilaufen und die individuelle Mobilität von Bürgern wäre massiv eingeschränkt. Das wäre eine Sackgasse ohne Wohlstand und Arbeitsplätze.

Es ist sehr altes Denken, dass Wohlstand und Klimaschutz nicht zusammenpassen. Die neue deutsche Regierung geht ein sehr zukunftsträchtiges Projekt an. Es sind dort nun Wirtschaft und Klimaschutz in einer Hand. Es hat niemand ein Interesse daran, dass es dem Land nicht gut geht. Wir dürfen aber nicht die Lebensqualität unserer Kinder und Enkelkinder riskieren. Die Wissenschaft ist eindeutig. Wenn wir mit den Rezepten der 1970er- Jahre, nämlich mehr Beton und Asphalt, Arbeitsplätze schaffen, machen wir den Planeten kaputt. Wir brauchen für das Wirtschaften ein neues Rezept: mit dem Klimaschutz Arbeitsplätze schaffen. Wir müssen beginnen, wirtschaftlichen Erfolg anders zu denken. Nicht alle Industriellen denken so, wie man es von der Industriellenvereinigung hört. Ich war sehr viel unterwegs.

Wer denkt anders?

Die Junge Industrie. Sie sind extrem offen für den Klimaschutz.

Es geht konkret um die Linzer Ostumfahrung.

Bei uns findet man große Verbündete, um neue Infrastruktur zu bauen. Die grüne Infrastrukturministerin hat ein Bahnausprogramm vorgelegt, das unvergleichbar ist. Das sind 17 Milliarden Euro.

Wenn die Grünen regieren, gibt es überhaupt keinen Straßenbau mehr.

Das stimmt nicht.

Wo wird noch gebaut? Ihre Partei ist doch gegen alle Projekte.

Nein, das stimmt nicht. Wenn man heute eine Hochleistungsschienenstrecke von Prag über Linz nach Graz baut, dann ist das ein Leuchtturmprojekt für 100 Jahre. Durch den Schienenausbau schützt man auch das Klima. Wenn Projekte den Klimazielen widersprechen wie die Ostumfahrung, dann dürfen wir sie nicht mehr bauen. Sonst geht uns der Planet kaputt. Was man an den Unwetterereignissen des vergangenen Jahres sehen kann.

Der neue deutsche grüne Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hat gesagt, der Einzelne wird auf Mobilität verzichten müssen, damit die Klimawende gelingen kann. Ist das auch Ihre Meinung?

Viele Menschen erkennen, dass Mobilität eine Frage der Lebensqualität ist. Ich hätte gerne, dass die Menschen nicht in der Früh aufstehen und in die Arbeit stauen. Das ist vergeudete Lebenszeit. Das können wir nur durch attraktive Alternativen verhindern, indem mich ein Bus, ein Zug oder eine Straßenbahn in die Arbeit bringt. Das muss gut, günstig, leistbar und bequem sein. Im Innerörtlichen ist es oft besser, mit dem Rad unterwegs zu sein. Bisweilen ist es auch gefährlich, weil es kaum eine Infrastruktur gibt. Wir Grüne wollen die richtige Infrastruktur. Und nicht immer mehr Straßen.

Wie fahren Sie täglich ins Büro?

Mit einem Elektroauto.

Dafür benötigen Sie Straßen.

Ich bin Regierungsmitglied und habe das Privileg eines Dienstwagens mit Chauffeur. Weil ich sehr viel im Auto arbeite. Ich bin aber das einzige Regierungsmitglied mit einem Elektroauto.

Kommentare