„Ist Atomkraft emissionslos? Selbst Grundschulkinder können diese Frage mit Ja beantworten“, kommentiert die Prager Tageszeitung Lidove noviny die neu aufgeflammte Atomstrom-Debatte in Europa. Tschechien zählt wie Österreichs andere (süd-)östliche Nachbarn zu den Verfechtern der Nuklearenergie.
Diese fühlen sich durch die Pläne der EU-Kommission bestätigt, Atomkraft und fossiles Gas unter bestimmten Bedingungen als ökologisch nachhaltige Energiequellen im Sinne der Taxonomie-Verordnung von 2020 einzustufen. Das soll Investments ankurbeln und das Erreichen der europäischen Klimaziele ermöglichen: Verringerung der Treibhausgasausstöße um 55 Prozent bis 2030 und Klimaneutralität bis 2050.
Noch zu verhindern?
Dass AKW kaum CO2 in die Atmosphäre blasen, wie Lidove noviny anführt, ist unbestritten. Dass Nuklearenergie deshalb nachhaltig sein soll, ist für Kritiker aber unverständlich.
Sie erinnern an die ungelöste Frage der Endlagerung radioaktiven Abfalls oder die Gefahr von Reaktorunfällen.
Eine Hochrisikotechnologie wie die Atomenergie dürfe nicht mit Wind- oder Solarstrom gleichgestellt werden, heißt es etwa aus Deutschland. Dort wurde nach dem Super-GAU in Fukushima 2011 der Atomausstieg beschlossen, die letzten drei Reaktoren sollen heuer vom Netz gehen.
"Leistbar und stabil"
Neben Deutschland tritt vor allem Österreich als Atomkraft-Gegner auf. Um die Pläne der Kommission noch zu stoppen, müssten sie bis 12. Jänner von 20 der 27 EU-Mitgliedsstaaten abgelehnt werden. Eine Mehrheit befürwortet Nuklearenergie allerdings als leistbare, stabile und von Drittstaaten unabhängige Energiequelle.
Außer Österreich sind nur Luxemburg, Dänemark und Portugal kategorisch gegen die Etikettierung von Atom- und Gaskraft als nachhaltig. Deutschland sieht Gas als Brückentechnologie, um den Klimawandel zu beenden. Es hat in die Pipeline Nord Stream 2 investiert und plant, Kohlekraftwerke auf Gas umzurüsten.
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat angekündigt, gegen die Kommissionspläne zu klagen, sollten sie umgesetzt werden. Auch die Europäischen Grünen erwägen rechtliche Schritte.
Walter Obwexer von der Universität Innsbruck räumt dem jedoch kaum Chancen ein. In der Taxonomie-Verordnung gelte als „ökologisch nachhaltig“, was einem der sechs EU-Umweltziele diene, ohne die anderen erheblich zu beeinträchtigen, sagt der Europarechtler im KURIER-Gespräch. Eines der Ziele sei der Klimaschutz und dem diene Atomenergie durch den geringen CO2-Ausstoß durchaus.
Er sehe nur zwei Gründe für eine Klage gegen die EU-Kommission vor dem Europäischen Gericht, so Obwexer: ein Verstoß der Kommission gegen die Taxonomie-Verordnung oder eine Ermessensüberschreitung durch die Kommission.
Bei Ersterem müsste Österreich beweisen, dass das Ziel der CO2-Reduktion durch AKW nicht erreicht werde und andere Umweltziele wesentlich beeinträchtigt würden. Da die EU-Kommission für „grüne“ Atomkraft höhere Sicherheitsstandards als heute vorschreibe, sehe er diese Beeinträchtigung nicht. Eine Ermessensüberschreitung sei auch nicht zu erkennen.
Nichtigkeitsklagen hätten keine aufschiebende Wirkung, so Obwexer. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil würden eineinhalb Jahre, bei einem Rechtsmittel an den EuGH drei Jahre vergehen. Frankreich oder Polen dürften in jedem Fall wie geplant neue AKW bauen – würden vielleicht nur schwerer Investoren finden.
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